Gewaltopfer in der Praxis optimal betreuen

Dr. Anja Braunwarth, Foto: fotolia, Piotr Marcinski

Betreuung von Gewaltopfern in der Praxis – kann das gut gelingen? Es gibt dabei einige Aspekte zu beachten, die auch unter juristischen Gesichtspunkten wichtig sind. Als praktisches Hilfsmittel für den behandelnden Arzt stellten Expertinnen u.a. eine Kitteltaschenkarte vor.

Um Opfer von Gewalt angemessen zu betreuen, muss man in der Praxis bestimmte Prozesse und Strukturen implementieren. Privatdozentin Dr. Hildegard Lilly Graß von der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und Kolleginnen liefern dazu nähere Erläuterungen. Die Ansätze zu ihren Ausführungen stammen aus dem Modellprojekt „Medizinische Intervention gegen Gewalt an Frauen (MIGG)“ unter Förderung des Bundesfamilienministeriums.

Notfallkarten und Broschüren in der Praxis diskret auslegen

In diesem Projekt haben sich verschiedene Materialien als sehr hilfreich erwiesen, insbesondere die Med.DocCard© (s. Abb.). Die Karte ist beim Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit NRW* erhältlich. Nützliche Informationen enthält des Weiteren ein 20-seitiger Praxisordner. Darin sind wichtige Aspekte zusammengefasst und auch Kontakte zu regionalen Institutionen angegeben. Der Ordner kann auf Anfrage bei Teilnehmern des MIGG bezogen werden, er dient auch Schulungszwecken und kann je nach individuellen Besonderheiten der jeweiligen Praxis modifiziert werden.

Die Autorinnen empfehlen darüber hinaus, in der Praxis Infobroschüren oder Notfallkarten bereitzustellen, die man z.B. diskret in der Toilette auslegen kann. Eine Markierung der Akte erinnert das gesamte Team immer an die besondere Si­tuation der Betroffenen. Was die Kommunikation betrifft, gilt es zunächst, auf das Zeitmanagement zu achten. Von Ihrer Seite aus sollten Sie das Kontingent klar benennen, kurz begründen und ggf. Folgetermine anbieten.

Gerade beim Thema häusliche Gewalt können sich dann einige Besonderheiten ergeben:

  • Verständigungsprobleme durch fremdsprachlichen Hintergrund der Patienten: Wenn sich das absehen lässt, empfiehlt es sich, rechtzeitig zu klären, ob ein Dolmetscher zur Verfügung steht bzw. welche Alternativen es gibt. Angehörige, vor allem Kinder, bleiben dabei besser außen vor.
  • Schwangerschaft und/oder Kinder: In einer Schwangerschaft ändern sich oft Beziehungsgefüge, Gewaltsituationen können aufkommen oder eskalieren. Bereits in der Familie lebende Kinder geraten unter Umständen in Gefahr. Hierauf müssen Sie vorbereitet sein und Hilfsangebote vorhalten. 
  • Sexualisierte Gewalt: Hier steht – über eine gynäkologische Untersuchung hinaus – die ausführliche Spurensicherung im Vordergrund (Asservieren von DNA-Spuren am Körper, Blut- und Urinproben). 
  • Akute Retraumatisierung im Gespräch: Für den richtigen Umgang mit solchen Situationen bieten z.B. Kurse zur Krisenkommunikation Hilfestellung.  

Um erhobene Befunde vor Gericht verwertbar zu machen, ist die gründliche Dokumentation natürlich das A und O. Festgehalten werden die Patientenaussagen (wortgetreu) sowie die Befunde der Untersuchung von Kopf bis Fuß. Das heißt z.B., bei Hämatomen Farbe, genaue Lage, Größe und Form festzuhalten. Aber auch Negativbefunde, also unversehrte Körperregionen, sollte man exakt vermerken. Fotos – mit Einverständnis der Patienten – verstärken die Aussagekraft Ihrer Beschreibungen (Farbgebung ausweisen per Med.DocCard©). Abschließende Beurteilungen liegen in der Hand von Rechtsmedizinern, aber auch diesen Experten kann das nur mithilfe der initial korrekten Erfassung gelingen.

Virtuelle Patientenakte in der Modellphase

Künftig könnte die Telematik Unterstützung bieten. Aktuell wird das Programm GOBSIS** in einer Modellphase erprobt. Über einen kontrollierten Onlinezugang legt der Untersucher einen Behandlungsfall an und bündelt alle relevanten Befunde in einer virtuellen Akte. Dabei kann er Dokumentationshilfen nutzen und auf eine Beratung „on demand“ (auf Abruf) durch einen Rechtsmediziner zurückgreifen.

Natürlich tragen Ärzte alleine nicht die komplette Verantwortung für ein Gewaltopfer, denn es gilt ja auch psychosoziale und/oder juris­tische Probleme zu lösen. Es bedarf daher flächendeckend regional angepasster Netzwerke, betonen die Autorinnen. Um Rechtssicherheit zu gewinnen, ist es ratsam, sich im Ernstfall kompetenten Rückhalt zu suchen bzw. zur Verfügung zu haben. Hierzu bieten viele deutsche Rechtsmedizin-Institute Unterstützung an – z.B. durch Telefonberatung, Online-Fallkonsile oder eigene Untersuchungsangebote.

*    www.frauenundgesundheit-nrw.de

**Gewaltopfer-Beweissicherungs-Informationssystem

Quelle: Hildegard Lilly Graß et al., Bundesgesundheitsbl 2016; 59: 81-87

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