
Hörverlust durch Cisplatin: Hilft Natriumthiosulfat?

In der pädiatrischen Onkologie ist Cisplatin ein Bestandteil von Standardregimen u.a. bei Neuroblastomen, Osteosarkomen, malignen Keimzelltumoren, nasopharyngealen Karzinom sowie Medulloblastomen. Ein großes Problem mit dieser Substanz ist dabei ihre systemische Toxizität, die sich neben den Nieren auch auf das Innenohr erstreckt, wo sie durch Schädigung der äußeren Haarzellen in der Cochlea zu progredientem, irreversiblem, beidseitigem und oft von Tinnitus begleitetem Hörverlust führt.
Soziale und emotionale Entwicklung kann beeinträchtigt werden
Insbesondere bei Kindern – allein in den USA erhalten jährlich mehr als 2000 Kindern im Alter von bis zu 15 Jahren Cisplatin – sind die Konsequenzen erheblich, weil dadurch Spracherwerb, Lernen, schulische Leistungen, soziale und emotionale Entwicklung und Lebensqualität ganz erheblich beeinträchtigt werden können.
Auf der Suche nach einem Mittel gegen diese Nebenwirkungen des Platins stieß man vor einiger Zeit auf Natriumthiosulfat, das als Antidot bei Zyanid-Vergiftungen eingesetzt wird. Im Tierexperiment verminderte Natriumthiosulfat den durch Platin verursachten Hörverlust, ohne die onkologische Aktivität des Zytostatikums zu beeinträchtigen – solange es in einem gewissen zeitlichen Abstand nach der Cisplatin-Applikation gegeben wird.
Die US-amerikanische Children´s Oncology Group initiierte nach ersten positiven klinischen Ergebnissen deshalb eine Phase-III-Studie, in der in 38 Zentren 125 Kinder mit onkologischen Erkrankungen im Alter zwischen einem und 18 Jahren, die Cisplatin erhalten mussten, eingeschlossen wurden. Sie wurden randomisiert, entweder sechs Stunden nach jeder Cisplatin-Dosis 16 mg/m2 Natriumthiosulfat i.v. zu bekommen oder nur beobachtet zu werden. Primärer Endpunkt war das Auftreten eines Hörverlusts vier Wochen nach der letzten Cisplatin-Dosis. Dieser Endpunkt war bei 104 der Teilnehmer auswertbar:
- Ein Hörverlust wurde bei 14 Patienten im Thiosulfat-Arm (28,6 %),
- aber bei 31 im Kontrollarm (56,4 %) zu verzeichnen – eine Halbierung des Risikos, das statistisch hochsignifikant ausfiel (p = 0,00022).
- Nach Korrektur für Stratifizierungs-Variablen, die das Risiko zusätzlich beeinflussen können – Alter, Dauer der Cisplatin-Infusion und kraniale Bestrahlung –, fiel die Risikoreduktion mit 69 % sogar noch deutlicher aus (HR 0,31; p = 0,0036).
Nebenwirkungen vom Grad 3 oder 4 traten in beiden Armen gleich häufig auf und waren praktisch ausschließlich der Chemotherapie zuzuschreiben. Die häufigste schwere Nebenwirkung war eine Abnahme der Neutrophilen mit 26 Episoden bei 14 Teilnehmern.
Kein Unterschied bei den onkologischen Endpunkten beobachtet
Die onkologischen Ergebnisse, beispielsweise das Gesamtüberleben und die Ereignisfreie Zeit, unterschieden sich nicht zwischen den beiden Armen. Die Autoren empfehlen trotzdem, mit einer formellen Empfehlung zum Einsatz von Natriumthiosulfat in dieser Indikation zu warten, bis die endgültigen Ergebnissen einer weiteren, internationalen randomisierten Studie (SIOPEL-6) vorliegen. In dieser wird die Gabe des Antidots ausschließlich bei Kindern mit Hepatoblastom, die eine Cisplatin-Monotherapie bekommen haben, erprobt.
Quelle: Freyer DR et al. Lancet Oncol 2017; 18: 63–74
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