Insuffizienzfrakturen nicht übersehen

DGRh 2023 Dr. Sonja Kempinski

Bei einer MTX-Osteopathie sollte das Medikament schnellstmöglich abgesetzt werden. Bei einer MTX-Osteopathie sollte das Medikament schnellstmöglich abgesetzt werden. © Walter_D – stock.adobe.com

Mythos oder Fakt? Bei der Frage, ob es die MTX-Osteopathie wirklich gibt, scheiden sich die Geister. Mittlerweile spricht einiges für die Existenz der Komplikation – unter anderem über 80 publizierte Fälle.

Für die in Baden-Baden niedergelassene Rheumatologin Dr. Jutta Bauhammer ist die Sache klar: Die MTX-Osteopathie ist zwar selten, aber keine Einbildung. Als Beleg stellt sie die Leidensgeschichte einer Patientin vor, deren multiple, schmerzhafte und immobilisierende Stressfrakturen erst nach Absetzen der MTX-Therapie abheilten (siehe Kasten). Die Frau ist kein Einzelfall, betonte Dr. Bauhammer. Bisher hatte die Rheumatologin in ihrer Praxis elf Patienten mit einer MTX-Osteopathie. Aus der Literatur sind inzwischen 82 Fälle bei Erwachsenen bekannt. 80 davon wurden 2022 in einem Review publiziert.*

Erst Absetzen ließ die Frakturen heilen

Bei einer heute 60-jährigen Patientin wurde 2017 eine seropositive rheumatoide Arthritis diagnostiziert. Unter Methotrexat (MTX, zunächst 15 mg s.c./Woche, dann 20 mg p.o./Woche plus Folsäure) kam die Patientin in Remission. In der Folge konnten auch die Glukokortikoide, die sie über vier Monate erhalten hatte, ausgeschlichen werden. Ein Jahr später erlitt die Frau eine Stressfraktur in Talus und Kuboid. Eine vom Orthopäden verordnete Orthesenbehandlung nutzte wenig: Die Kontroll-MRT vier Monate später ließ keinerlei Heilungstendenzen erkennen. Stattdessen sahen die Ärzte eine weitere Stressfraktur, diesmal in der distalen Tibia. Ein halbes Jahr später kam es zu einer schmerzhaften Stressfraktur im rechten Talus. Nach einer Knochendichtemessung mit einem T-Wert von -1,7 erhielt die Frau zwar Risedronat, war aber weiterhin auf Gehstützen angewiesen.

2020 stellte sich die Patientin in der Praxis von Dr. Bauhammer vor. Die veranlasste MRT zeigte eine neue Stressfraktur in der rechten Tibia, zudem berichtete die Frau von starken, belastungsunabhängigen Schmerzen in beiden Sprunggelenken. Dr. Bauhammer setzte das MTX ab und stellte die Patientin auf Etanercept um, was die RA weiterhin in Remission hielt. Drei Monate später konnte die Frau wieder ohne Hilfsmittel gehen, nach sechs Monaten waren die Schmerzen fast, nach neun Monaten ganz verschwunden. Bis Ende 2021 heilten alle Frakturen ab. Mittlerweile geht die Patientin wieder wandern, berichtete Dr. Bauhammer.

Die Mehrzahl dieser Menschen litt an einer rheumatoiden Arthritis (RA), weitere Gründe, aus denen die Patienten das immunmodulierende Zytostatikum erhalten hatten, waren u.a. Psoriasisarthritis, systemischer Lupus erythematodes, Polyarteriitis nodosa oder Morphea. Frauen waren von der MTX-Nebenwirkung insgesamt häufiger betroffen als Männer. 

Typisch für die durch MTX ausgelöste Osteopathie ist, dass die Patienten über einen belastungsunabhängigen, oft immobilisierenden Knochenschmerz berichten. Die Stressfrakturen treten überwiegend an Tibia, Kalkaneus und Talus auf, aber auch an distalem Femur, Kuboid oder Metatarsalknochen. In der MRT präsentieren sich die Knochenschäden mit einer band- oder mäanderförmigen Frakturline entlang früherer Wachstumsfugen. Oft sind mehrere Bereiche auf beiden Körperseiten betroffen. 

MTX-Dosis sowie Dauer und Art der Applikation stehen in keinem Zusammenhang zu Lokalisation und Anzahl der Frakturen, berichtete die Rheumatologin. Gleiches gelte für Dauer und die Aktivität der Grunderkrankung.

Therapeutisch wichtigste Maßnahme ist das Absetzen des Medikamentes. Außerdem sollten Kalzium- und Vitamin-D3-Spiegel geprüft und eventuell ausgeglichen werden. Ob eine knochenspezifische Therapie erforderlich ist, bleibt unklar. In genanntem Review wurde dies mit unterschiedlichen Wirkstoffen und Kombinationen in 78 % der Fälle vorgenommen. Ob die Frakturen darunter besser abheilten, ließ sich aus den Daten allerdings nicht ableiten. Eines war aber eindeutig: Führten die Patienten das MTX weiter, heilten ihre Frakturen nicht, auch wenn parallel eine knochenspezifische Therapie eingeleitet wurde.

Größter Kritikpunkt bei der MTX-Osteopathie ist, dass die der Erkrankung zugeschriebenen Stressfrakturen auf einer glukokortikoidbedingten Osteoporose beruhen könnten. Von den 80 publizierten Patienten hatte die Hälfte keine Glukokortikoidtherapie erhalten, die im zeitlichen Zusammenhang mit den Frakturen stand, entkräftete Dr. Bauhammer dieses Argument. Außerdem litten zwar 58 % der Betroffenen unter einer Osteoporose und 36 % unter einer Osteopenie. Klassische osteoporotische Frakturen (z.B. der Wirbelkörper) lagen aber nur bei 6 % vor. 

Über die Genese der MTX-­Osteopathie wird noch spekuliert. Offenbar führt der Wirkstoff nicht zu einer generellen Minderung der Knochendichte bei RA-Patienten. Aus Tierversuchen und der Klinik weiß man allerdings, dass es lokal im Bereich von Metaphysen und früheren Wachstumsfugen bei einzelnen Individuen zu erhöhten Knochenumbauprozessen kommt. 

Für Dr. Bauhammer ändert der Fakt, dass die Genese im Unklaren bleibt, nichts an der Tatsache, dass die MTX-Osteopathie real ist. Für die Praxis bedeute das: Entwickelt ein entsprechend behandelter Patient an der unteren Extremität gelenknahe, immobilisierende Knochenschmerzen, sollte man die Möglichkeit einer MTX-Osteopathie erwägen und ihn gegebenenfalls zum MRT schicken, empfahl die Kollegin.

* Ruffer N et al. Semin Arthritis Rheum 2022; 52: 151952, DOI: 10.1016/j.semarthrit.2022.151952

Quelle: Kongressbericht Deutscher Rheumatologiekongress 2023

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