Jameda – "der ganz normale Wahnsinn" im Internet

Dr. Peter Ruf, Foto: Montage/jameda/thinkstock

Gerade noch stand da die 1,6 als Bewertungsdurchschnitt seiner Praxis. Doch manchmal reicht ein einziger böswilliger Zeitgenosse aus, um den guten Schnitt in die Tonne zu treten. Dr. Peter Ruf erzählt aus seiner Praxis.

Abendsprechstunde am Donnerstag: Eine 75-jährige internistisch schwerkranke Frau ist umgezogen. Sie würde gerne bei mir bleiben, aber eine telefonische „Fernbeziehung“ scheint mir einer fahrlässigen bis vorsätzlichen Körperverletzung gleichzukommen. Wir suchen einen Arzt. Einen neuen Hausarzt in der neuen Heimat.

Jameda macht’s möglich – und schon haben wir jemanden gefunden, der maßgeschneidert scheint: Zum Praxisschwerpunkt Diabetologie kommt auch noch eine ausgesprochen gute Patientenbewertung. „Dieser hier ist nicht nur kompetent, sondern auch gewissenhaft und freundlich“, meine ich. Und setze hinzu, „mit dem Bewertungsschnitt von 1,1 übertrifft der mich bei Weitem – ich glaube, mein Schnitt ist nur 1,6“.

Zum Scherz mache ich meine Seite tatsächlich auf. Und mir stockt fast der Atem: Auf 2,1 ist meine Gesamtnote bei insgesamt 7(!) Bewertungen gestiegen, seit mir am 29.05.2012 ein unfreundlicher Zeitgenosse eine glatte Sechs (6,0) gegeben hat. So steht es da geschrieben.

Das muss ein Akt im Affekt gewesen sein, eine regelrechte und gezielte Exekution aus dem Anfall heraus. Ich habe eine Ahnung. Mein Team und ich werden im Praxis-Programm schnell fündig: 29.05.2012, das war doch …. Ja klar.

Treffer: Die junge Frau ist 42. Sie kam in mein Sprechzimmer geradezu geschossen. Nicht etwa hinkend oder schwerfällig oder leidend wirkend. Was immer sie für einen Schicksalsschlag erlitten hatte, sie war jetzt „schwerkrank“. Sagt sie. Der Arztwechsel war erzwungen. Der Kollege, 5 Jahre jünger als ich, hatte altersbedingt aufgehört. Ich bin leider erst 65. Ich mache noch weiter: Nachfolger (noch)nicht in Sicht.

Ich versuchte mich, in sie hinein zu fühlen, zu denken. Das Labor war gemacht: blütenweiße Weste. Jetzt die Lebensgeschichte, dann sollte die körperliche Untersuchung folgen. In zwei Terminen wurde mein kompletter Zeitplan über den Haufen geworfen: Die Frau wollte erst mal Medikamente, Diclo, Tilidin und Valoron, das „Tripelpack“ gleich in der „Familienpackung“.

Ich bremste und meinte, ich müsse sie doch erst richtig kennenlernen, ich wüsste doch noch gar nicht die Symptome richtig zu deuten. Angeblich hätte sie Bandscheibenvorfälle gehabt. Sei an der WS operiert. Aktuelle Facharztbefunde und -empfehlungen existierten aber nicht.

„Ihr Vorgänger hat mir das anstandslos immer gegeben“. Ich vermutete  einen chronischen Analgetika-Missbrauch. Die Zeit verrann. Bei 55 Minuten „verbratener Zeit“ war Schluss, ich kapitulierte. Zufrieden ging sie erst mal dahin mit ihrer Beute: 100 Diclo, 100 Valoron.

Ein neuer Termin, die alte Leier: Intensives Nachfragen führte nicht weiter, geduldiges Erklären und das Werben für eine Alternative jenseits der Schmerzmittelabhängigkeit mit Orthopäde, Neurologe und Schmerztherapeut prallte ab an der harten, eingefahrenen Linie: Ich will Analgetika, und zwar reichlich, und zwar plötzlich.

Und dann noch: Eine Blanko-AU für die nächsten Wochen und Monate, alle zwei Wochen, „das hat ihr Vorgänger auch so gemacht!“ – Aber ich weiß doch noch gar nichts von ihr.

Da weiß ich, was ich tun muss: Ich sage ihr, ich bin ein alter Mann und höre bald mit meiner Praxis auf. Und überhaupt: Wir passen einfach nicht zusammen. Sie möge bitte gehen. Und sie tobt und schreit, schnappt ihren verdutzten Wartezimmermann und verschwindet.

Im Internet tobte sie dann weiter: Behandlung 6,0 (dabei habe ich sie ja noch gar nicht behandelt), Aufklärung 6,0 (bei so viel Zeit, wie ich in die Aufklärung gesteckt habe), Vertrauensverhältnis 6,0 (recht hat sie hier!), genommene Zeit 6,0 (fast 2 Stunden für zwei Termine“), Freundlichkeit 6,0. Alles noch diskutabel aus der anderen Sicht.

Aber jetzt: Wartezeit Termin 6,0 (dabei bekam sie auf Anhieb ihren Wunschtermin), Wartezeit Praxis 6,0 (diese Bewertung hätte ich jedem anderen Patienten verzeihen, der ihretwegen warten musste!), Sprechstundenzeiten 6,0 (die kennt sie gar nicht!), Betreuung 6,0 (na ja, wenn mein geduldiges zuhören und erörtern nicht üppig viel Betreuung war?), Entertainment 6,0 (die schreiben doch tatsächlich „Entertainment“!: ach so, die Dame wollte unterhalten werden, hat wohl keinen Fernsäh?), alternative Heilmethoden 6,0 (damit arbeite ich überhaupt nicht), Kinderfreundlichkeit 6,0 (wie kann sie das beurteilen?), Barrierefreiheit 6,0 (sie durfte barrierefrei von dannen ziehen!), Praxisausstattung 6,0 (was hat die von meiner Praxis schon gesehen vor lauter G´schwätz?), Telefonische Erreichbarkeit 6,0 (dabei hat sie kein einziges Mal telefonisch uns nicht sofort an der Strippe gehabt!), Parkmöglichkeiten 6,0 (die ganze Straße rund um die Praxis steht meinen Patienten zur Verfügung nebst 4 staatlich verordneten und vorhandenen Parkplätzen), öffentliche Erreichbarkeit 6,0 (ich glaube, das ist ein Punkt, den ich mit ihr teile: ich weiß genauso wenig, was das bedeutet, wie sie. – Aber sie benotet´s sicherheitshalber mal.)

Jameda fragt zum guten Schluss: „Wie hilfreich fanden Sie diese Bewertung?“ Sehr hilfreich. Ein Fall für die Juristerei? Oder wie kann und darf der Bewertete seine Bewerter bewerten?

Dr. Peter Ruf am 02.10.2012

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