Kontrolle bleibt das oberste Therapieziel

Allergiekongress 2023 Stefanie Menzel

Bei der Urtikaria spielt die Krankheitskontrolle eine wichtige Rolle. Bei der Urtikaria spielt die Krankheitskontrolle eine wichtige Rolle. © kanachaifoto – stock.adobe.com

Die chronische Urtikaria ist – abgesehen von der passenden Anamnese – eine Blickdiagnose. Weil Ursache oder Trigger oft unbekannt sind, lässt sich eine Heilung nicht aktiv herbeiführen. Vielmehr geht es um eine konsequente Krankheitskontrolle zur Verbesserung der Lebensqualität – bis zur irgendwann eintretenden Spontanremission.

Bei der Urtikaria spielen Mastzellen die Hauptrolle. Wenn sie degranulieren und Histamin freisetzen, erweitern sich die Gefäße, seröse Flüssigkeit tritt aus und Entzündungszellen werden angelockt. Die Quaddeln entstehen durch ein Ödem in der oberen und mittleren Dermis. Angioödeme, sofern hist­aminvermittelt, gleichen patho­physiologisch zwar Quaddeln, allerdings sammelt sich bei ihnen die Flüssigkeit in der tieferen Dermis und Subkutis. Die Resorption kann bis zu 72 h dauern, Quaddeln sind dagegen nach 24 h verschwunden.  

40–50 % aller Patienten mit chronischer Urtikaria entwickeln sowohl Quaddeln als auch Angioödeme, 10 % ausschließlich Letztere, erläuterte Dr. ­Burkhard ­Kreft von der Dermatologie am Universitätsklinikum Halle. Auch wenn die Diagnose im Grunde mit einem Blick und passender Anamnese steht, sollte man mögliche Differenzialdiagnosen (s. Kasten) nicht ignorieren. Denn hinter den juckenden Primärefflores­zenzen können Erkrankungen stecken, die falsch oder unbehandelt zu Organschäden führen.

Differenzialdiagnosen der Urtikaria

  • Mastozytose: Bereiche mit rotbraunen Flecken (z.B. an Oberschenkeln und Bauch), positives Darier-Zeichen (Anschwellen bei mechanischem oder physikalischem Reiz)

  • Urtikariavaskulitis: Effloreszenzen hinterlassen Petechien, in der Abheilungsphase häufig Hyperpigmentierung; Episoden > 24 h; oft mit Lymphom- oder Autoimmunerkrankung (Lupus erythematodes) assoziiert

  • Autoinflammatorische Syndrome: (CAPS*, Schnitzler): primär urtikariell, begleitend Fieber, Gelenk- und Knochenschmerzen; Episoden > 24 h; Antihistaminika wirkungslos; durch die chronische exzessive Entzündung drohen auf lange Sicht Organschäden

  • Bradykininvermittelte Angioödeme: nicht histaminvermittelt, sondern hereditär oder erworben (C1-Inhibitor-Mangel) oder durch Arzneimittel induziert (z.B. ACE-Hemmer, Sartane, Gliptine)

* Cryopyrin-assoziiertes periodisches Syndrom

An chronischer Urtikaria (> 6 Wochen) leidet etwa 1 % der Bevölkerung – Frauen doppelt so häufig wie Männer. Sie tritt meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf und wird unterteilt in chronisch spontane Urtikaria (CSU) und induzierbare Varianten. Hinter der CSU vermutet man seit einigen Jahren ein auto­immunes Geschehen mit zwei Formen:

  • Typ-I-Autoimmunität („autoal­lergische CSU“): Patienten entwickeln IgE gegen bestimmte Autoantigene (z.B. Thyreoperoxidase (TPO), IL-24). Das Gesamt-IgE ist erhöht, das Anti-TPO-IgG oft leicht erniedrigt. 

  • Typ-IIb-Auto­immunität („autoimmune CSU“): Es gibt IgG-Antikörper gegen IgE oder seinen hoch affinen Rezeptor auf der Mastzelloberfläche. In diesem Fall ist das Gesamt-IgE oft ernie­drigt. Daher bleibt die Therapie mit Omalizumab (Anti-IgE) bei dieser Form manchmal frustran.

Verschiedene Triggerfaktoren können bei der CSU eine Rolle spielen. Dazu zählen Entzündungen und Infektionen (meist im Dental- und HNO-Bereich), Nahrungsmittel, Stress, Schilddrüsenerkrankungen und Medikamente (z.B. ACE-Hemmer, Sartane). „25 % aller Menschen mit einer chronischen Urtikaria haben eine Exazerbation, eine Verschlechterung durch nicht-steroidale Anti­rheumatika. Das scheint eine Rolle zu spielen, ist aber nicht die Ursache der Urtikaria“, so Dr. Kreft.

Diagnostik an Situation und Symptomschwere anpassen

Die Basisdiagnostik umfasst Differenzialblutbild, CRP bzw. BSG. Steht der Einsatz von Omalizumab im Raum, sollten Gesamt-IgE und Anti-TPO bestimmt werden. Bei länger als ein halbes Jahr persistierender Urtikaria, besonders schwerem Verlauf oder anamnestischen Hinweisen müssen weitere Schritte unternommen werden. Das bedeutet z.B. nach Helicobacter pylori, Yersinien, einem Zahn- oder HNO-Fokus bzw. Schilddrüsenproblemen zu suchen.

Im Praxisalltag sieht man regelmäßig chronische induzierbare Urtikaria­formen, die nicht selten fälschlich als CSU gewertet werden, betonte Dr. Kreft:

  • Der symptomatische Dermographismus (früher: U. factitia) kommt mit am häufigsten vor. Bei diesem führt eine mechanische Irritation (z.B. Kratzen) zu Quaddeln. 

  • Die Kälteurtikaria ist ebenfalls sehr häufig. Sie kann mit einer anaphylaktischen Reaktion einhergehen, wenn ein Patient z.B. in kaltes Wasser springt. 

  • Bei der Druckurtikaria entstehen die Schwellungen – mit vier bis sechs Stunden Zeitverzögerung  – in tieferen Schichten der Dermis; per Definition also ein Angioödem. Die meisten Patienten spüren eher ein Brennen als ein Jucken.

  • Die cholinergische Urtikaria tritt z.B. in Zusammenhang mit Anstrengung und Schwitzen auf. Die nur stecknadelkopfgroßen Quaddeln verschwinden nach etwa einer halben Stunde wieder. 

  • Eine aquagene Urtikaria bekommt man selten zu Gesicht. Im Gegensatz zum aquagenen Pruritus entwickeln sich nach Wasserkontakt zusätzlich zum Juckreiz auch Quaddeln. Die Unterscheidung ist wichtig, betonte Dr. Kreft, weil aquagener Pruritus auf eine hämatologische Erkrankung hinweisen kann. 

  • Wärmekontakt- und die durch sichtbares Licht, UVA oder UVB ausgelöste Lichturtikaria gehören zu den echten Raritäten.

Zur Beurteilung des Schweregrads und der Krankheitskontrolle empfahl der Experte v.a. den Urtikaria-Aktivitäts-Score. Zu dessen Erhebung müssen Patienten eine Woche lang täglich Quaddeln zählen und die Symptomstärke bewerten. Sehr schwer betroffen ist z.B. jemand, der an mehreren Tagen mehr als 50 Quaddeln und sehr starken Juckreiz hat. Der Urtikaria-Kontrolltest ist deutlich weniger aufwendig und beruht auf vier Fragen zu Symptomen und Lebensqualität, die der Patient monatlich beantwortet. Score und Test gibt es als Angioödem-Variante. Digital Affine finden z.B. unter cruse-control.com/de auch eine Urtikaria-App.

Als Therapieziel wird bei chronischer Urtikaria eine vollständige Krankheitskontrolle angestrebt, inklusive Beschwerdefreiheit und normaler Lebensqualität. Da man Ursachen und Trigger nicht immer kennt oder beseitigen kann, steht keine Bedarfs-, sondern eine konsequente pharmakologische Therapie im Vordergrund, evtl. mit einer Toleranzinduktion. „Die Therapie dient nicht dazu, dass die Quaddeln schneller weggehen, sondern dass sie gar nicht erst entstehen. Das muss man dem Patienten sagen und man muss ihm auch sagen, dass die chronische Urtikaria irgendwann wieder verschwindet“, stellte der Experte klar. Bis dahin wird der Patient behandelt. 

Das Therapieschema der Leitlinien ist dreistufig und startet mit einem H1-Rezeptor-Blocker. „Verabschieden Sie sich davon, dem Patienten Antihistaminika der 1. Generation aufzuschreiben“, betonte Dr. Kreft. Dimetinden, Clemastin usw. haben nur noch einen Stellenwert in der Notfallbehandlung. Stattdessen solle man zu modernen H1-Anti­histaminika greifen, z.B. (Levo)Cetirizin, (Des)Loratadin, Fexofenadin, Rupatadin, Bilastin, Ebastin. Diese seien gut verträglich, haben keinen sedierenden Effekt und eine wesentlich längere Halbwertzeit als ihre Vorgänger.

In der Pipeline

Derzeit sind einige neue Therapieansätze in der Pipeline. So wird z.B. die Inhibition von Mastzellmediatoren über Dupilumab (Mepolizimab, Benralizumab) oder die Inhibition der Mastzellaktivierung über Remibrutinib (Fenebrutinib, Rilzabrutinib)getestet. Weitere Möglichkeiten könnten in Zukunft Lirentelimab, ein Antikörper (AK) gegen SIGLEC8, einem Transmembranprotein auf Mastzellen und eine Mastzelldepletion über Barzolvolimab (Anti-KIT-AK) bieten.

Laut aktueller S3-Leitlinie erhält der Patient das Antihistaminikum zunächst in der Standarddosierung, die bei ausbleibendem Erfolg oder unerträglichen Schmerzen off label bis auf das Vierfache gesteigert werden kann. „Geben Sie aber nicht vier Tabletten pro Tag, also 1-1-1-1, sondern zwei Tabletten morgens, zwei abends. Das ist in der Regel gut verträglich“, empfahl Dr. Kreft.

Omalizumab oder Ciclosporin als Partner für Antihistaminika

Bleibt auch dann eine Wirkung aus, kommt zusätzlich Omalizumab (vierwöchentlich 300 mg s.c.) ins Spiel. Bei Patienten mit autoimmuner Urtikaria muss man ggf. wegen des schlechteren Ansprechens die Dosis steigern oder das Intervall verkürzen (beides off label!). Stellt sich nach sechs Monaten kein ausreichender Effekt ein, rät Dr. Kreft dem H1-Antistaminikum off label Ciclosporin hinzuzufügen. Dieses werde als Intervalltherapie und angesichts der Nebenwirkungen nicht länger als sechs Monate gegeben. Eine kurzzeitige (max. 10 Tage) Off-Label-Therapie systemischen Glukokortikoiden mit 20–50 mg Prednisolon kommt nur bei schwerer Exazerbation infrage.

In der Schwangerschaft sind laut Embryotox (Des)Loratadin und (Levo)Cetirizin unproblematisch, nach Möglichkeit sollte man innerhalb der einfachen Dosierung bleiben. Auch Omalizumab gilt als sicher, berichtete Dr. Kreft. Bei Kindern sollte man auf Desloratadin wegen der hepatischen Metabolisierung verzichten. Die Darreichungsform wird jeweils altersgemäß angepasst.

Quelle: Kongressbericht Allergiekongress 2023

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