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Krebstherapie verlängert auch altes Leben
? Älteren Tumorpatienten wird häufig eine Krebstherapie nicht in vollem Umfang zuteil. Sollten Ärzte hier forscher vorgehen?
Prof. Ehninger: Es gibt Hinweise, dass ältere Patienten und insbesondere solche mit chronisch myeloischer Leukämie eine deutliche Untertherapie erfahren. Nur etwa die Hälfte der Patienten erhält eine Medikation, die heutzutage allgemein als Standard bei der Erkrankung angesehen wird. Bei anderen Krebsformen ist die Situation nicht grundsätzlich besser.
Aus Befragungen von Ärzten wissen wir, dass viele Kollegen der Ansicht sind, eine Antitumortherapie sei bei geriatrischen Tumorpatienten nicht notwendig – auch wenn zu erwarten ist, dass die Patienten noch eine deutliche Lebensverlängerung dadurch erfahren können. Es gibt keine Verordnungen, die dies vorgeben. Deshalb spreche ich von einer „stillen Rationierung“.
? Bedeutet dies, dass alte Krebspatienten derzeit eine lebensverlängernde Therapie oft nicht erhalten?
Prof. Ehninger: Ja, dafür gibt es gute Daten. Ich denke aber, den meisten Ärzten ist gar nicht bewusst, dass ihre Therapieentscheidung eine Lebensverkürzung beim Patienten impliziert. Sie glauben wahrscheinlich, den Patienten etwas Gutes zu tun, wenn sie ihnen die Auseinandersetzung mit dem Medikament ersparen und damit auch mögliche Nebenwirkungen.
Oft wird auch einfach die verbleibende Lebenserwartung der Patienten unterschätzt und die behandelnden Ärzte nehmen an, eine adäquate Therapie lohne sich quasi nicht mehr.
? Wie lässt sich die Lebenserwartung älterer Menschen genauer abschätzen?
Prof. Ehninger: Generell gilt, dass ein 70- bis 75-jähriger Mann noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 11,8 Jahren besitzt. Eine 70- bis 75-jährige Frau lebt sogar im Mittel noch weitere 15 Jahre.
? Kann man also der Mehrzahl der Menschen über 65 Jahre auch eine aggressive Chemotherapie zumuten?
Prof. Ehninger: Einem über 65-jährigen Patienten, der körperlich fit ist und mit seinen Alltagsaufgaben zurechtkommt, kann man durchaus eine intensive Antitumortherapie zumuten, wenn ein lebensverlängernder Effekt zu erwarten ist.
Grundsätzlich sind auch Stammzelltransplantationen nicht per se kontraindiziert. Voraussetzung ist, dass der Patient neben der Krebserkrankung keine weiteren schweren Leiden aufweist. Sonst ist die Sterblichkeit – wie auch bei jüngeren Menschen – deutlich erhöht.
? Wie treffen Sie konkret die Entscheidung, ob ein alter Mensch noch körperlich fit ist?
Prof. Ehninger: Ein wichtiges Kriterium ist die Frage, ob der Patient weitere Erkrankungen aufweist und ob er regelmäßig mehrere Medikamente einnimmt. Es gibt zudem Aktivitätsindizes, an denen wir uns orientieren können. Es ist zum Beispiel sinnvoll, den Patienten aufzählen zu lassen, was er im Alltag alles allein bewältigen kann und wo er Hilfe braucht. Je mehr fremde Hilfe gebraucht wird, umso höher ist das Risiko, dass Therapiekomplikationen und möglicherweise schwere bedrohliche Nebenwirkungen auftreten.
Erfahrene Ärzte setzen dabei auch ihren klinischen Blick ein. Man kann beobachten, wie lange der Patient braucht, bis er sich auf den Stuhl gesetzt hat, wie kommunikativ er ist, wie seine Auffassungsgabe ist und welche Wendigkeit er im Gespräch hat. Schon anhand dieser Beobachtungen ist oft eine gute Einschätzung der körperlichen Situation des Patienten möglich. Aber wir sollten uns bei der Beurteilung nicht nach unserem Bauchgefühl richten, sondern objektive Parameter heranziehen. Hierzu eignen sich speziell entwickelte Einschätzungssysteme, sogenannte geriatrische Assessment-Scores.
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