Leitlinie Typ-1-Diabetes - Debatte um neue Empfehlungen

Sonja Böhm, Foto: thinkstock

Die aktualisierte Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes liegt vor. Der primäre Einsatz von Insulinanaloga gibt Anlass zur Diskussion.

Nicht alle Empfehlungen der neuen Typ-1-Diabetes-Leitlinien werden von der gesamten Expertengruppe getragen. Einer der Beteiligten gab ein Minderheitenvotum gegen den primären Einsatz von Insulinanaloga ab. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) unterstützt dieses Votum.

HbA1c-Wert unter 7,5 % bei Typ-1-Diabetes

Im Großen und Ganzen bringt die neue Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft keine überraschenden Neuigkeiten. Als allgemeines Therapieziel für Patienten mit Typ-1-Diabetes hat man sich lediglich auf einen HbA1c-Wert unter 7,5 % geeinigt, der ohne schwerwiegende Hypoglykämien zu erreichen sei.


Die Empfehlung nennt als Referenz vor allem die DCCT-Studie, die bereits in den Jahren 1983 bis 1993 stattfand. Allerdings, so heißt es mit gleichrangiger Evidenz, sei ein individueller Zielwert im Einzelfall mit dem Patienten zu vereinbaren – und dieser sollte ein Kompromiss zwischen der Hypoglykämie-Gefährdung und der zu erwartenden Risikoreduktion für diabetische Folgekomplikationen sein.

HbA1c-Werten unter 7% reduziert das Risiko für Folgeschäden

Bei genauerem Studium der Leitlinie findet sich in den Begründungen auch dieser Satz: In Anbetracht der Tatsache, dass die Menschen in DCCT zuvor wahrscheinlich schon jahrelang schlecht eingestellt waren und in der Studie weniger als die Hälfte mit der intensivierten Insulintherapie ein HbA1c unter 7 % erreichte, ist davon auszugehen, dass bei niedrigeren HbA1c-Werten direkt ab der Diabetesmanifestation das Risiko für Folgeschäden noch effektiver reduziert werden kann.


Es gebe keine Hinweise auf einen Schwellenwert beim HbA1c, unterhalb dessen keine weitere Risikoreduktion für mikroangiopathische und neuropathische Folgekomplikationen möglich sei. Doch werde die absolute Risikoreduktion mit abnehmendem HbA1c-Wert immer geringer.


Für die Praxis bedeutet dies wohl: Je niedriger das HbA1c, umso besser in puncto Folgekomplikationen – doch sollte man dabei nicht die Risiken einer sehr strikten Blutzuckereinstellung, vor allem hinsichtlich Hypoglykämien, aus dem Auge verlieren.

Vier Therapiesäulen sind die Basis beim Typ 1

Zur Frage, wie das HbA1c gesenkt werden sollte, nennt die Leitlinie „vier Therapiesäulen“: Insulin, Schulung, Ernährung und psychosoziale Betreuung. Dass die intensivierte Insulintherapie bei den Patienten mit Typ-1-Diabetes heute der Standard ist, darüber besteht Einigkeit.


Insulinpumpen sind eine mögliche Alternative, wenn mit der intensivierten Therapie keine zufriedenstellende Einstellung erreicht wird, bei unregelmäßigem Tagesablauf, bei häufigen rezidivierenden Hypoglykämien, bei geplanter Schwangerschaft oder einfach auch allgemein zur Verbesserung der Lebensqualität.

Humaninsulin und Insulinanaloga - gleichrangige Therapieoptionen?

Was die Insulinarten angeht, die bei der Therapie vorrangig verwendet werden sollten, waren sich die Experten nicht einig: Während die allgemeine Empfehlung Humaninsulin in kurz oder lang wirkender Form als gleichrangige Option mit kurz und lang wirkenden Insulinanaloga aufführt – und es im Kommentar heißt, dass aufgrund der besseren Steuerbarkeit davon auszugehen ist, mit den Analoga eine im Tagesverlauf gleichmäßigere Blutzuckersenkung zu erreichen –, plädiert ein Sondervotum dafür, Humaninsulin bevorzugt einzusetzen.


Der Koordinator der Expertengruppe, Professor Dr. Manfred Dreyer von der Abteilung für Kardiologie und Angiologie im Asklepios Westklinikum Hamburg, begründet sein Sondervotum vor allem mit fehlenden Langzeitdaten zu prognoserelevanten Endpunkten mit den Insulinanaloga.

Minderheitsvotum: Insulinanaloga nur in besonderen Fällen

Die DEGAM plädiert in ihrem Minderheitsvotum dafür, Insulinanaloga nur dann einzusetzen,„ wenn durch die besondere Pharmakokinetik individuelle Blutglukoseziele unter Vermeidung von Hypoglykämien verbessert werden können“. Bisherige Studien seien nicht geeignet gewesen, einen klinisch bedeutsamen Zusatznutzen der Analoga nachzuweisen, heißt es. Deren Nutzen wird vor allem bei denjenigen Patienten gesehen, die Probleme mit Hypoglykämien haben.

Spritz-Ess-Abstand bei Humaninsulin unnötig?

Zwar wird aufgrund der bisherigen Daten kein begründeter Verdacht auf ein erhöhtes Krebsrisiko, z.B. unter Glargin, gesehen, doch werden weitere Studien hierzu für erforderlich gehalten. Noch ein interessanter Aspekt: Patienten sollen zwar über die unterschiedliche Pharmakodynamik von Analog- und Humaninsulin aufgeklärt werden, doch so heißt es: „Aus der Literatur ist ein verbindlicher Spritz-Ess-Abstand für Humaninsulin nicht abzuleiten.“ Es sei nicht eindeutig geklärt, ob durch das Einhalten eines Spritz-Ess-Abstandes eine signifikante Besserung des HbA1cWertes erreicht werden könne.


Ein für die Praxis relevanter Abschnitt der Leitlinie widmet sich den regelmäßigen, vierteljährlichen Inspektionen der Spritzstellen, um rechtzeitig Lipodystrophien, also Verdickungen des Fettgewebes, zu erkennen. Den Patienten sollte die Bedeutung des regelmäßigen Wechsels der Injektionsstellen deutlich gemacht werden. Denn das Spritzen in lipohypertrophische Bereiche kann massiv die Insulinabsorption stören.

Spezielle „Diabeteskost“ ist nicht erforderlich

In puncto Ernährung sollten Patienten mit Typ1-Diabetes ausführlich beraten werden, heißt es weiter – dies vor allem zur Wirkung verschiedener Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße auf den Blutzucker, aber auch zum Hypoglykämierisiko unter Alkohol.


Es werden keine bestimmten Ernährungsformen empfohlen, vielmehr wird auf die allgemeinen Empfehlungen zu einer gesunden Kost verwiesen. Spezielle „Diabetiker Produkte“ sind nicht erforderlich – das sollten die Patienten ebenfalls wissen.

Umfassende Diabetes-Schulungen für alle Patienten

Für alle Patienten mit Typ-1-Diabetes ist zudem eine umfassende Schulung (mit einem validierten Schulungsprogramm) erforderlich. Diabetikern mit einer Hypoglykämie Wahrnehmungsstörung sollten zusätzlich spezifische Programme angeboten werden.


Als vierte Behandlungssäule wird in der Leitlinie schließlich die „psychosoziale Betreuung“ genannt. Es gibt dazu sogar eine separate Praxisleitlinie „Psychosoziales und Diabetes“. Inhalt sind vor allem Maßnahmen zur Stressreduktion und die Verbesserung der Krankheitsbewältigung bei Typ1-Diabetes. Die Patienten sollen Hilfen bei der Lösung von (Kommunikations) Problemen sowie bei mangelnder sozialer Unterstützung erhalten.

Quelle: www.deutschediabetesgesellschaft. de/redaktion/news/Aktualisierung TherapieTyp1Diabetes_1_201102140f.pdf

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