
Oft beschrieben, wenig verstanden
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Für viele Ärzte ist die Katatonie noch immer eine spezielle Form der Schizophrenie mit bizarren motorischen Veränderungen. Dabei stellt sie seit der ICD-11 ein eigenständiges Syndrom dar, das im Rahmen verschiedener Erkrankungen auftreten kann, so Prof. Dr. Stephan Heckers vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville und Prof. Dr. Sebastian Walther von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Bern. Ein Grund, warum die Katatonie oft nicht erkannt wird, ist die Variabilität ihrer Ausprägungen. Sie kann sich in einem nur leicht auffälligen Verhalten äußern oder einen malignen, zuweilen sogar tödlichen Verlauf nehmen. Zudem erschweren Kommunikationsstörungen oft die Anamnese.
Die ICD-11 nennt 14 Diagnosekriterien, von denen drei erfüllt sein müssen (s. Kasten). An Stupor, Mutismus und Blickstarre leiden die meisten Patienten. Katalepsie (starre Körperhaltung) und Echophänomene finden sich dagegen bei weniger als 20 %.
Katatonie-Zeichen laut ICD-11
sehr häufig: Blickstarre, Stupor, Mutismus, Posieren
mittelfrequent: Ambitendenz, Negativismus, Stereotypien, Starre, Agitation ohne externen Stimulus, Grimassieren, Manierismen
selten: Echolalie, Echopraxie, Verbigeration, Flexibilitas cerea, Katalepsie
Eine Katatonie kann jahrelang anhalten
Die Symptome können ihr Maximum innerhalb von Stunden erreichen oder sich innerhalb von Tagen, eventuell sogar Wochen entwickeln. Manche Patienten leiden an rezidivierenden Episoden, bei anderen hält die Katatonie jahrelang an – etwa im Rahmen einer Schizophrenie oder einer neurologischen Entwicklungsstörung wie Autismus.
Die Differenzialdiagnosen sind vielfältig. Zu ihnen zählen Intoxikation (z.B. Cannabis, Kokain) und Entzugserscheinungen (Alkohol, Opioide, Benzodiazepine). Auch ein malignes neuroleptisches Syndrom, eine Autoimmunenzephalitis und das Serotoninsyndrom können sich ähnlich manifestieren, ebenso Delir und Demenz. Innerhalb der Psychiatrie treten katatone Bilder außerhalb der Schizophrenie etwa bei affektiven Störungen, Autismus und Demenz auf.
Das Krankheitsmanagement fußt auf drei Säulen: der spezifischen Therapie der Katatonie, einer Behandlung des Grundleidens und der Prävention von Komplikationen. Alle Patienten profitieren von der Blutdruckkontrolle und einer adäquaten Flüssigkeitsversorgung und Ernährung. Generell empfehlen die Autoren die Prophylaxe von Thromboembolien, Druckulzera und Infektionen.
Die Primärtherapie sollte nach der Diagnose möglichst rasch begonnen werden. Denn mit zunehmender Latenz sinkt die Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen. Lorazepam und im Bedarfsfall eine Elektrokrampftherapie (EKT) wirken bei 60–100 % der Behandelten, die EKT eignet sich auch für benzodiazepinresistente Patienten. Lorazepam kann in einer erhöhten Dosis verabreicht werden (maximal 16 mg/d). Die Wirkung der EKT tritt üblicherweise nach vier bis sechs Applikationen ein.
Als Zweitlinientherapie werden NMDA-Antagonisten, Amantadin und Memantin eingesetzt. Zur Vorsicht raten die Autoren mit Dopaminantagonisten. Diese lindern zwar begleitende psychotische Symptome, verschlimmern aber eventuell die Katatonie.
Nach Ausschluss eines malignen neuroleptischen Syndroms kann man Antipsychotika der zweiten Generation verordnen, v.a. Clozapin. Bei rezidivierenden Episoden hilft eine regelmäßige Verlaufskontrolle, Symptome frühzeitig zu erkennen. Patienten mit chronischer Katatonie können von wiederholter EKT, niedrig dosiertem Clozapin (< 150 mg/d) und psychotherapeutischen Interventionen profitieren. Das betrifft vor allem Menschen mit Schizophrenie-Spektrum-Störungen.
Quelle: Heckers S, Walther S. N Engl J Med 2023; 389: 1797-1802; DOI: 10.1056/NEJMra2116304
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