Cartoon Gesundheitspolitik

Psychisch Erkrankte stehen laut Experten unter Generalverdacht

Antje Thiel

Fachleute kritisieren die mangelnde Unterstützung für geflüchtete Menschen mit psychischen Problemen. Fachleute kritisieren die mangelnde Unterstützung für geflüchtete Menschen mit psychischen Problemen. © Seventyfour – stock.adobe.com

Angesichts der jüngsten tödlichen Anschläge hat die Debatte um die psychische Gesundheit von Geflüchteten an Schärfe gewonnen. Doch Fachleute warnen vor stigmatisierenden Narrativen: Während Gewalttaten stets individuell zu bewerten sind, bleibt die strukturelle Unterversorgung traumatisierter Geflüchteter ein gravierendes Problem.

Würzburg, Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg … Die Liste der Städte, in denen unschuldige Menschen im öffentlichen Raum Opfer brutaler Gewalttaten geworden sind, ist mittlerweile beunruhigend lang. Für Entsetzen und Empörung sorgen aber nicht nur die Taten an sich, sondern auch die Tatsache, dass die Attentäter als Asylsuchende nach Deutschland gekommen waren, zum Teil eigentlich ausreisepflichtig gewesen wären – und psychische Auffälligkeiten aufwiesen. Viele Menschen im Land haben mittlerweile den Eindruck, die Politik schütze die Bevölkerung nicht ausreichend vor potenziell gewalttätigen Geflüchteten.

Nach Einschätzung von Fachleuten ist die öffentliche Debatte allerdings an etlichen Punkten in eine Schieflage geraten. Das politische Echo auf die jüngsten Attentate stigmatisiert pauschal geflüchtete Menschen sowie Personen mit einer psychischen Erkrankung und stellt sie unter Generalverdacht. So erklärt Yukako Karato von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) in Berlin mit Blick auf das Attentat in Aschaffenburg: „Im konkreten Fall lag zwar eine psychische Erkankung vor, aber das heißt nicht, dass umgekehrt alle psychisch Erkrankten gewalttägig werden.“ Denn die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Menschen mit Fluchterfahrung seien Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS): „Diese Menschen ziehen sich eher zurück. Wenn sie gewalttätig werden, ist die Gewalt meist gegen sich selbst gerichtet.“

Beste Prävention wäre eine Psychotherapie

Etwas höher sei das Risiko für gewalttätiges Verhalten bei psychotischen Störungen, insbesondere im Zusammenspiel mit Alkohol oder anderen Suchtmitteln. So beziffern Studien das Risiko, ein Tötungsdelikt zu begehen, bei psychotisch kranken Menschen auf 0,3 % gegenüber 0,02 % in der Allgemeinbevölkerung. Also signifikant erhöht – aber immer noch verschwindend gering. „Dennoch ist die gesellschaftliche Stigmatisierung psychischer Erkrankungen groß“, mahnt Karato.

Die beste Prävention im Sinne der Betroffenen wie auch der breiten Öffentlichkeit wäre eine frühzeitige psychotherapeutische Identifizierung und Behandlung psychischer Erkrankungen. Allerdings haben Geflüchtete aufgrund der Restriktionen im Asylbewerberleistungsgesetz nur stark eingeschränkten Zugang zu diesen Leistungen. Seit einer Verschärfung im Januar 2024 haben Schutzsuchende 36 Monate lang – statt zuvor 18 Monate – lediglich Anspruch auf eine Akut- und Schmerzbehandlung. Psychotherapie muss meistens beim Sozialamt beantragt werden, wo in der Regel Personen ohne medizinische Fachkenntnisse die Entscheidung treffen. „Unserer Erfahrung nach werden die meisten Anträge abgelehnt“, berichtet Karato. Und selbst wenn eine Therapie bewilligt wird, ist noch nicht geklärt, ob auch die Kosten für die zwingend erforderliche Sprachmittlung übernommen werden.

Dabei benötigen Schätzungen zufolge etwa 30 % der in Deutschland lebenden Geflüchteten psychosoziale und/oder psychotherapeutische Unterstützung. In den Zentren, die sich der BAfF als Dachverband angeschlossen haben, versucht man sie bestmöglich aufzufangen (siehe Kasten). Mit therapeutischen, sozialarbeiterischen und medizinischen Versorgungsangeboten verfolgen sie einen interdisziplinären Ansatz zur Rehabilitation nach schweren Gewalterfahrungen. „Überlebende von Folter machen fast die Hälfte unserer Klient:innen aus, aber auch Opfer von Menschenhandel, schwerer Gewalt im Krieg oder sexualisierter Gewalt“, berichtet Eike Leidgens.

Fakten und Zahlen zur BafF

Derzeit organisieren sich 51 Psychosoziale Zentren unter dem Dach der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF). Im Jahr 2022 wurden durch sie 25.861 Personen versorgt. Trotz des kontinuierlichen Anstiegs der Zahl über die Jahre konnten die PSZ und ihre Kooperationspartner 2022 nur 3,1 % des potenziellen Versorgungsbedarfs abdecken. Die BAfF fördert als Netzwerk den Austausch zwischen den Zentren, betreibt Lobby- und Medienarbeit, bietet Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte an, die mit Geflüchteten arbeiten und veröffentlicht einen jährlichen Versorgungsbericht sowie Stellungnahmen und Positionspapiere.

Der psychotherapeutische Leiter des Therapiezentrums für Überlebende von Folter und Krieg in Bochum erzählt am Beispiel eines jungen unbegleiteten Geflüchteten aus Guinea, wie diese Versorgung konkret aussehen kann. „Der junge Mann hat während seiner Flucht in der Sahara Menschen verdursten sehen, hat selbst in Libyen schwere Gewalt erlebt.“ In den Transitländern seien Ausbeutung, Folter und Erpressung an der Tagesordnung. „Als er nach Deutschland kam, war er schwer traumatisiert und akut suizidgefährdet, auch weil er Angst vor einer drohenden Abschiebung hatte“, berichtet Leidgens weiter.

In Fällen wie diesen versucht man in den Psychosozialen Zentren in erster Linie, den Betroffenen eine konkrete Perspektive aufzuzeigen – etwa in Form von äußerer Unterstützung im Asyl- und Klageverfahren. Parallel würden Folterspuren dokumentiert und gesundheitliche Bedarfe geklärt. Manchmal sei es möglich, eine Verbeserung der Unterbringung zu erreichen, um eine beruhigendere Lebensumgebung zu schaffen. Parallel versuche man, die Klientinnen und Klienten auch psychisch zu stabilisieren. „Doch all dies ist schwer unter Rahmenbedingungen, die darauf ausgelegt sind, es Migrant:innen in Deutschland möglichst schwer zu machen“, kritisiert Leidgens.

Durch welche Maßnahmen lassen sich Taten verhindern?

Insbesondere die aktuell diskutierten Maßnahmen zur Begrenzung von Migration würden die Situation noch einmal verschlechtern – „Stichwort Bezahlkarte, Verlängerung der  eingeschränkten Asylbewerberleistungen, Einschränkungen beim Familiennachzug etc. Alles auf Grundlage der widerlegten Theorie, dass Sozialleistungen Pull-Faktoren sind, die Menschen angeblich nach Deutschland ziehen.“ Für ihn sind die aktuell diskutierten Maßnahmen daher „nichts als populistische Scheinlösungen“. Gewalttaten ließen sich nicht durch pauschale Maßnahmen wie Abschiebungen oder eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung verhindern.
Tatsächlich erhöhten Verschärfungen den Stress, dem Geflüchtete ohnehin schon ausgesetzt sind. „Oft ist das Zusammenspiel aus all diesen Stressoren erst der Grund dafür, dass Menschen zu uns kommen“, erklärt der Psychologe. Leider müssten die Psychosozialen Zentren zwei Drittel der potenziellen Klientinnen und Klienten aus Kapazitätsgründen ablehnen. Denn die Zentren bangen jedes Jahr aufs Neue um ihre Finanzierung.

Öffentliche Fördermittel stammen aus Landes- und Bundesmitteln, von den Kommunen und aus internationalen Fördertöpfen der Flüchtlingshilfe. „Die Kostenübernahme von Therapien über die gesetzlich verankerten Leistungsträger, insbesondere die Sozialämter, Krankenkassen und Jugendämter, bildete lediglich 6,3 % der Gesamtfinanzierung der PSZ ab“, heißt es dazu im Versorgungsbericht der BAfF von 2024.

„Wenn wir Vorschläge zur besseren Versorgung machen, bekommen wir zu hören, dass kein Geld da ist“, kritisiert Leidgens, „doch sobald eine Gesetzesverschärfung geplant wird, spielt Geld auf einmal keine Rolle mehr.“ Nordrhein-Westfalen etwa plane gerade ein neues Abschiebegefängnis, dessen Inbetriebnahme rund 300 Millionen Euro kosten soll. „Das ist für uns schwer nachvollziehbar.“ 

Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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