Therapie mit Absetzproblemen

Dr. Angelika Bischoff

Manchmal hilft nur die schnelle Wiederaufnahme. Manchmal hilft nur die schnelle Wiederaufnahme. © joyfotoliakid – stock.adobe.com

Wenn Patienten die Einnahme von Antidepressiva abrupt beenden oder die Dosis zu schnell reduziert wird, kann es innerhalb weniger Tage zum sogenannten Absetzsyndrom kommen. Darüber sollte man die Betroffenen unbedingt aufklären. 

Eine Therapie mit Antidepressiva irgendwann auch wieder zu beenden, ist integraler Bestandteil des Behandlungsplans. Treten dann Absetzsymptome auf, frustriert dies Patient und Arzt – vor allem dann, wenn das Medikament nicht einmal den erhofften Erfolg gebracht hat, sondern die Einnahme wegen Nebenwirkungen oder unzureichender Wirksamkeit gestoppt wurde.

Absetzphänomene beim Abbruch der Therapie oder bei zu schneller Dosisreduktion von Antidepressiva sind für die meisten Wirkstoffgruppen beschrieben, erläutert ein Autorenteam um Dr. ­Michele ­Fornaro von der Universität ­Neapel in einem Übersichtsartikel. Die Symptome sind in Schweregrad und Dauer variabel und umfassen typischerweise systemische und neuropsych­iatrische Zeichen:

  • grippeähnliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Lethargie, Müdigkeit, Gelenkschmerzen
  • Schlafstörungen, darunter auch intensive Träume
  • Übelkeit, mitunter mit Erbrechen
  • Reizempfindlichkeit und Wahrnehmungsstörungen
  • Übererregtheit mit Angst, Unruhe, Aggressivität

Die meisten Daten liegen für selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) vor, weil ältere Substanzen kaum diesbezüglich untersucht wurden. Bei Medikamenten mit kurzer Halbwertszeit wie ­Paroxetin kommt ein Absetzsyndrom häufiger vor als bei solchen mit langer Halbwertszeit wie ­Fluoxetin.

Die Mechanismen sind noch weitgehend unklar

Die physiologischen Mechanismen hinter den Absetzphänomenen sind noch weitgehend unklar. Theo­retisch sollte das Problem bei den Nicht-SSRI-Antidepressiva geringer ausfallen, da durch sie keine Stimulation postsynaptischer 5-HT2A-­Rezeptoren erfolgt. Bei der anhaltenden Stimulation durch SSRI dürfte es hingegen zur Rezeptor-Downregulation kommen. Beim abrupten Absetzen der SSRI käme es dann zur kompensatorischen Hochregulation mit entsprechender Symptomatik.

Es wird angenommen, dass auch die sogenannte Rezeptorreserve die individuelle Vulnerabilität für die Absetzphänomene beeinflusst. Eine hohe Rezeptorreserve besteht dann, wenn ein Signalmolekül nur einen kleinen Anteil der Rezeptorgesamtheit aktivieren muss, um eine maximale Antwort zu erzielen. Je größer die Reserve ist – also je mehr dieser Moleküle frei bleiben –, desto höher ist die Wirkstärke des Agonisten im Gewebe. Theoretisch könnte dies auch die Anfälligkeit gegenüber Nebeneffekten und Absetzsymptomen bei einer serotonergen Medikation erhöhen.

Insgesamt scheint mehr als die Hälfte der Patienten, die ihre Therapie mit Antidepressiva beenden, ein Absetzsyndrom zu entwickeln. Manchmal lässt sich das Problem nur durch eine schnelle Wiederaufnahme der Medikation beseitigen, vor allem dann, wenn man abrupt abgesetzt hat. Das gilt vor allem für sedierende Antidepressiva. 

Das lineare Absetzen hat ebenfalls Tücken

Für die klinische Praxis wird empfohlen, die Dosis nur ganz allmählich herunterzufahren. Das gilt besonders für Substanzen mit kurzer Halbwertszeit und sedierenden Eigenschaften wie ­Paroxetin. Das Risiko für ein Absetzsyndrom lässt sich mit einer hyperbolischen Dosisreduktion besser senken als durch lineare Reduktion. Bei der hyperbolischen Reduktion verringert man die Dosis so lange, bis diese deutlich unter der therapeutisch wirksamen Minimaldosis liegt. Dennoch schützt auch dies nicht unbedingt vor den Absetzeffekten. Lineares Absetzen birgt auch ein gewisses Risiko dafür, dass auftretende Beschwerden als Rezidiv der Depression fehlinterpretiert und irrtümlich und unnötigerweise mit erneuter antidepressiver Medikation angegangen werden.

Jeder Patient, der Antidepressiva erhält, sollte darüber aufgeklärt werden, dass er die Medikamente nicht eigenmächtig und abrupt absetzen darf. Wenn eine antidepressive Therapie beendet werden soll, kann eine begleitende Pharmako- und Psychotherapie dazu beitragen, belastende Effekte zu mildern. Als wirksam hat sich vor allem die kognitive Verhaltenstherapie erwiesen. Für das Absetzen von sedierenden trizyklischen Antidepressiva wird empfohlen, begleitend Anticholinergika oder Anti­histaminika zu geben.

Quelle: Fornaro M et al. Eur Neuropsychopharmacol 2023; 66: 1-10;  DOI: 10.1016/j.euroneuro.2022.10.005

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