Cartoon Patientenmanagement

„Um einsam zu sein, braucht es andere um einen herum“

Maximilian Rossol

Viele Menschen in Deutschland sind einsam. Dieses Gefühl kann in jedem Alter und allen Lebenslagen entstehen. Viele Menschen in Deutschland sind einsam. Dieses Gefühl kann in jedem Alter und allen Lebenslagen entstehen. © krissikunterbunt - stock.adobe.com

Viele Menschen in Deutschland sind einsam. Dieses Gefühl kann in jedem Alter und allen Lebenslagen entstehen. Der Psychiater und Stressforscher Prof. Dr. Mazda Adli erklärt, wie sich Einsamkeit und soziale Isolation auf unsere Gesundheit auswirken und was das hausärztliche Praxis­team dagegen tun kann.

Herr Prof. Dr. Adli, was genau versteht man unter Einsamkeit? 

Einsamkeit ist eine Unterform von sozialem Stress. Diese Stressform entsteht aus dem Zusammenleben und der Interaktion mit Menschen oder erwächst durch das Fehlen davon. Einsamkeit entsteht, wenn man das Gefühl hat, dass es an Menschen mangelt, die einem helfen, die einen mögen oder mit denen man Zeit verbringen kann. Sie muss dabei vom Alleinsein unterschieden werden. Das ist etwas, was man aus eigener Kraft beenden oder verändern kann. Wir fühlen uns in der Regel nicht einsam, wenn wir allein einen Waldspaziergang unternehmen, sondern empfinden das vielleicht als sehr erholsam und angenehm. Um einsam zu sein, braucht es andere Menschen um einen herum, zu denen man sich nicht zugehörig fühlt.

Hat die Coronapandemie das Problem der Einsamkeit noch verschärft?

Das junge Erwachsenen- und das hohe Lebensalter waren schon vor der Pandemie ein Risikoalter dafür. Um das Alter von 30 Jahren gibt es einen ersten deutlichen Einsamkeits-Peak, der durch die Pandemie größer geworden und weiter in jüngere Jahre gerückt ist. Die deutlichste Zunahme dieser Werte sieht man in verschiedenen Studien bei den jüngeren Altersgruppen. Die Pandemie hat dem Thema mehr Aufmerksamkeit verschafft. Vor allem für die Einsamkeit jüngerer Menschen besteht eine größere Sensibilität.

Bestimmt spielt neben dem Alter auch die Persönlichkeit der Betroffenen eine Rolle …

Ja, es gibt Menschen, die besser mit Einsamkeit umgehen und sie überwinden können. Jemand, der eher schüchtern, sozial scheuer oder ängstlicher ist und sich damit schwerer tut, auf andere Menschen zuzugehen, hat natürlich ein größeres Risiko. Das sieht man z. B. dann, wenn Menschen umziehen –  etwa im jungen Erwachsenenalter, wenn jemand zum Studieren oder für den Beruf in eine neue Stadt zieht. Gerade wegen solcher Lebensveränderungen ist diese Lebensphase ein besonders sensibles Zeitfenster für Einsamkeit.

Wo sind die Menschen tendenziell einsamer: auf dem Land oder in der Stadt?

Dazu gibt es kontroverse Daten. Die Anzahl der Alleinlebenden ist in großen Städten sehr viel größer als in kleinen. In Deutschland lebt in Städten mit über 500.000 Einwohnern etwa ein Drittel der Menschen allein. In Orten unter 5.000 Einwohnern sind es gerade mal 14 % der Bevölkerung. Das erhöht natürlich das Risiko für Einsamkeit in der Großstadt. Das haben wir in der Pandemie gesehen. Wenn das soziale Leben zum Erliegen kommt – das kann ich auch aus meiner ärztlichen Praxis berichten – traten bei den vielen Alleinlebenden in den Großstädten häufig Einsamkeitsprobleme auf. Dazu kommt: Großstädte gehen mit einem höheren Maß an Anonymität einher und die erscheint gerade für junge Menschen attraktiv, um z. B. der sozialen Kontrolle einer ländlich geprägten Umgebung zu entfliehen. Allerdings fällt der Umgang mit Anonymität nicht allen leicht. Der Städtebau kann hier ansetzen, indem z. B. bei größeren Wohnhäusern Begegnungsräume geschaffen werden, die soziale Kontakte erleichtern, und Wert auf attraktive öffentliche Räume gelegt wird. Sie wirken Einsamkeit entgegen.

Wie äußern sich diese Einsamkeitsprobleme gesundheitlich?

Durch die Einsamkeit wird das gesamte stressabhängige System aktiviert. Die Folge ist eine Reihe von Stressfolgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder immunologische Erkrankungen. Auch psychische Erkrankungen, wie etwa Depressionen, können auftreten. Wer sozial isoliert lebt, kümmert sich tendenziell schlechter um seine Gesundheit. Arztbesuche werden vernachlässigt. Es gibt nachweislich eine Einsamkeitssterblichkeit. Das zeigen zwei große Metaanalysen. Dabei ist das Alleinewohnen die effektstärkste Form von sozialer Isolation. Diese Studien haben auch gezeigt, dass Einsamkeit einen stärkeren Einfluss auf die Sterblichkeit hat als Rauchen, Alkoholmissbrauch und Übergewicht.

Gibt es Erkrankungen, die wiederum Einsamkeit begünstigen oder auslösen können?

Ja, Einsamkeit ist einerseits ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen, andererseits kann sie auch Folge psychischer Erkrankungen sein. Jede Form von chronischer Erkrankung, jede Erkrankung, die mobilitätseinschränkend ist, die das Aktivitätsniveau beeinflusst und Menschen verunsichert, in die Öffentlichkeit zu treten, ist ein Risikofaktor.

Wie können Hausärztinnen und Hausärzte damit umgehen, wenn sie Einsamkeit bemerken?

Wenn sie den Eindruck haben, dass das ein Problem sein könnte, dann sollten sie nachfragen und die Personen darauf ansprechen. Das Thema ist schambehaftet und tabuisiert. Sehr vielen Menschen fällt es wahnsinnig schwer, darüber zu sprechen. Vielen fällt es leichter, über Depressionen und Suizidgedanken zu reden.

Inzwischen spielen sich viele Kontakte in sozialen Medien ab. Können diese Freundschaften über soziale Medien über Einsamkeit hinweghelfen oder diese verhindern?

Verbindungen über soziale Medien können einen hohen Wert haben, es kommt aber auf die Qualität dieser Verbindung an. Der Anschluss an ein Netzwerk, in dem ein Austausch mit Gleichgesinnten stattfindet und das Stabilität vermittelt, ist viel wert. Die Qualität einer Freundschaft im virtuellen Raum auf einem adäquaten Niveau zu halten, ist schwieriger als im persönlichen Kontakt. Letzten Endes sind es die „echten“ Beziehungen, die uns verlässlich vor Einsamkeit schützen können, egal wie sie entstehen.

Gibt es bereits Angebote für Betroffene?

Es gibt natürlich spezifische Angebote, wie Begegnungsstätten und Nachbarschaftstreffs. Aber sie sind längst nicht alles. Es hilft, sich erst einmal bewusst zu machen, welche Interessen und Wertevorstellungen man hat oder mal hatte. Dann erkennt man leichter, wo man auf Gleichgesinnte treffen könnte. Angeleitet durch diese Überlegungen kann man dann beispielsweise Sportvereinen beitreten, gemeinsam musizieren oder in einem Chor singen. Es gibt auch spezielle Initiativen oder Vereine, die darauf ausgerichtet sind, gemeinsame soziale Erfahrungen zu vermitteln. Das reicht von Spaziergängen bis hin zu Spielerunden. Es gibt natürlich auch Hotlines und Krisentelefone, die erste Hilfe bei Einsamkeit leisten. Das „Silbernetz“ betreibt eine bundesweite Telefonhotline für ältere Menschen, es gibt den Krisen-Chat für alle Altersgruppen und Nachbarschaftsnetzwerke wie „nebenan.de“. Gemeinden und Kirchen bieten Programme an. Die Liste ist schier endlos, eine gute Übersicht bietet die Internetseite des Kompetenznetzes Einsamkeit. Betroffene zu ermutigen, solche Angeboten zu nutzen – darauf kommt es vor allem an.

Wie gehen andere Länder mit Einsamkeit um? Gibt es Best-Practice-Vorbilder?

Es gibt Vorreiterprojekte wie das  2018 gegründete Einsamkeitsministerium in Großbritannien. Dadurch hat das Thema einen großen PR-Aufwind erfahren. Anschließend hat Großbritannien eine Loneliness Reduction Strategy entwickelt, die das Thema verständlich und tabufrei aufbereitet. Wir sehen immer mehr solcher Projekte. Durch die Einsamkeitsstrategie der Bundesregierung holt Deutschland langsam auf.

Quelle: Medical-Tribune-Interview

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