Von Apathie bis Wahn

Dr. Dorothea Ranft

Ein Delir wird oft zu spät erkannt und zuvor häufig fehldiagnostiziert. Ein Delir wird oft zu spät erkannt und zuvor häufig fehldiagnostiziert. © ysuel – stock.adobe.com

Ein Delir verläuft bei älteren Patienten nach wie vor in bis zu 30 % der Fälle letal. Eine frühe Therapie kann für Abhilfe sorgen – aber die Störung wird oft zu spät erkannt.

Charakteristisch für das Delir sind der akute Beginn und der teilweise stark fluktuierende Verlauf. Zusätzlich müssen eine Aufmerksamkeitsstörung sowie eine Beeinträchtigung des Bewusstseins und/oder kognitiv-emotionale Veränderungen bestehen. Unterschieden werden zwei Typen mit unterschiedlichen Symptomen (siehe Kasten). Diese treten allerdings oft auch im Wechsel oder in einer Mischform auf.

Zwei Typen des Delirs

  • Hyperaktiv: gesteigerte motorische Unruhe, eventuell aggressives Verhalten, Verkennung von Situationen, optische Halluzinationen, wahnhaftes Gefühl der Bedrohung

  • Hypoaktiv: deutliche motorische und kognitive Verlangsamung, reduzierte Aktivität, Antriebslosigkeit bis zur Apathie

Das hyperaktive Delir kommt eher infolge eines Alkoholentzugs vor und wird meist rasch bemerkt. Der hypoaktive Typ findet sich dagegen vorwiegend bei älteren Menschen und wird häufig zu lange übersehen, erklärt Prof. Dr. ­Matthias ­Maschke vom Brüderkrankenhaus Trier. Differenzialdiagnostisch gilt es unter anderem, eine Meningitis, einen Schlaganfall, eine beginnende Parkinsonerkrankung und einen epileptischen Anfall auszuschließen. Zerebelläre Symptome könnten auf eine vorbestehende Alkoholabhängigkeit hindeuten.

Die Therapie zielt auf eine Wiederherstellung der normalen Hirnfunktion ab. Empfehlenswert ist ein multimodaler Ansatz, bei dem nichtmedikamentöse Maßnahmen ebenso wertvoll sind wie Arzneimittel. Dazu zählen vor allem eine aktivierende Pflege und die frühe Mobilisierung der Patienten. Eine Reizüberflutung ist ebenso zu vermeiden wie die Reizdeprivation. Die frühe Einbeziehung der Angehörigen in Form von Besuchen, Videotelefonie oder Familienfotos erleichtert den Betroffenen die Reorientierung.

Die medikamentöse Behandlung besteht aus drei Schritten:

  • Reduktion einer delirogenen Vormedikation
  • Gabe von antidelirogenen und bei Bedarf sedierenden Pharmaka, ohne die Störung zu verschlechtern 
  • Therapie von Begleitfaktoren wie Schlafmangel, Inkontinenz und Schmerzen

Im ersten Schritt müssen alle delirfördernden und nicht benötigten Medikamente sowie Nahrungssupplemente abgesetzt werden. Eine besondere Rolle spielen dabei Arzneimittel mit hohem anticholinergen Potenzial. In der Praxis sind vor allem fünf Substanzen häufig mit dem Auftreten eines Delirs assoziiert: Amitriptylin, Biperiden, Dimenhydrinat, Oxybutynin und Tolterodin. Genauere Informationen zu prodelirogenen Wirkstoffen und ihren möglichen Alternativen finden sich im Internet (s. Infokasten). Substanzen mit hohem Gewöhnungspotenzial (Benzodiazepine, Opioide etc.) sollten allerdings nicht abrupt abgesetzt werden.

Im zweiten Schritt gilt es, selbst- und fremdgefährdendes Verhalten, Unruhe und vegetative Symptome zu reduzieren. Für Patienten mit unkompliziertem hyperaktivem Delir empfiehlt Prof. Maschke die Applikation von Melperon (25–50 mg, ein- bis dreimal täglich) oder Pipamperon (12–40 mg, ein- bis zweimal täglich). Bei vorwiegend nächtlicher Manifestation ist Pipamperon wegen der längeren Halbwertszeit zu bevorzugen. Auf Benzodiazepine sollte man bei geriatrischen Patienten tunlichst verzichten. Nur im Alkoholentzug kommt eine Kombination mit oralem Lorazepam oder Clonazepam (drei- bis viermal täglich 1 mg) in Betracht. Eine Behandlung mit hochpotenten Neuroleptika wie Haloperidol ist nur bei inhaltlichen Denkstörungen indiziert, also bei Wahngedanken, Halluzinationen oder Verkennen der Situation.

Falls eine orale Applikation wegen des Schweregrads der Symptome nicht möglich ist, kann eine parenterale Kombinationstherapie erfolgen. In einer Cochrane-Metaanalyse zeigte im Vergleich mit anderen Optionen nur der Alpha-2-Agonist Dexmedetomidin einen signifikanten Nutzen. Die Datenlage zur Wirksamkeit von Antipsychotika beim Delir bezeichnet Prof. Maschke als ernüchternd. In einer weiteren gepoolten Analyse hatten Neuroleptika keinen Einfluss auf Dauer, Schweregrad, stationäre Behandlungszeit und Mortalität.

Die intravenöse Therapie des Delirs muss auf einer Überwachungsstation unter Monitorkontrolle durchgeführt werden. Diazepam oder Midazolam i.v. kann dann mit intramuskulär appliziertem Haloperidol kombiniert werden. Zur Dämpfung der sympathikotonen Hyperaktivität kann zusätzlich Clonidin eingesetzt werden. Zu bevorzugen ist aber eine Dauerinfusion von Dexmedetomidin, weil diese sich besser steuern lässt. Die Dosis sollte dabei vor allem bei Senioren langsam angepasst werden. Zu beachten ist, dass diese Wirkstoffe bei einem hypoaktiven Delir nicht verwendet werden dürfen.

Auch häufige Begleitfaktoren des Delirs wie Elektrolytstörungen, Infektionen, Schmerzen und Insomnie müssen konsequent behandelt werden, was im dritten Therapieschritt erfolgt. Bei Schlafstörungen steht das Schaffen eines Tag-Nacht-Rhythmus an erster Stelle. Falls dies ohne Medikamente nicht ausreichend gelingt, können das Neurohormon Melatonin, lang wirksame niedrigpotente Neuroleptika wie Pipamperon oder das Antidepressivum Mirtazapin eingesetzt werden. Metaanalysen bescheinigen Melatonin vor allem bei älteren Patienten einen Nutzen. Auf Benzodiazepine und Z-Substanzen wie Zopiclon und Zolpidem sollte man dagegen verzichten.

Quelle: Maschke M. internistische praxis 2022; 65: 705-71

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