
Welche Strategien bei schwerer Anorexia nervosa helfen können

Selbst nach vielen Jahren der Erkrankung können Patienten mit schwerer Anorexie in Remission kommen. Damit dies gelingt, sollte die Psychotherapie bei ihnen weniger auf die Gewichtszunahme zielen, sondern vielmehr auf Lebensqualität und Schadensbegrenzung, betonte Professor Dr. Martina de Zwaan von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover.
So führt eine kognitive Verhaltenstherapie mit dem Ziel eines stabilen, sicheren (niedrigen) Gewichts bei schwer und lang erkrankten Patienten häufig zu einer höheren Lebensqualität und einem höheren BMI – vorausgesetzt, die Betroffenen halten die Therapie durch. Adjuvant komme die Behandlung mit Olanzapin, Dronabinol, Ketamin oder Duloxetin infrage.
Vielversprechend sind nach Aussage der Psychiaterin die Ergebnisse einer Untersuchung, in der Patienten mit schwerem Verlauf mittels repetitiver transkranieller Stimulation behandelt wurden. In der Ein-Jahres-Katamnese zeigten sich nach 20 Sitzungen signifikante Verbesserungen in der depressiven Symptomatik, der essstörungsspezifischen Pathologie sowie dem BMI. In einer Fallserie konnten zudem positive Effekte auf Gewicht, Stimmung und Zwang nach tiefer Hirnstimulation beschrieben werden. Dies sollte allerdings sehr kritisch gesehen und keinesfalls überbewertet werden, warnte Prof. de Zwaan. Das Verfahren sei für diese Indikation noch experimentell.
Schwerkranke sofort hochkalorisch ernähren
Ihr Kollege Professor Dr. Ulrich Voderholzer von der Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee betonte, dass bei Patienten mit einem extrem niedrigen BMI von unter 13 kgKG/m² das Überleben Priorität habe. Ohnehin seien die Betroffenen kognitiv meist gar nicht in der Lage, eine Psychotherapie durchzuführen. Sie müssten erst auf ein Gewichtsniveau kommen, auf dem eine Auseinandersetzung mit psychischen Konflikten möglich werde.
Genau auf die Begriffswahl achten
Zwangsernährung wird als traumatisierend erlebt
In der ambulanten Versorgung erwachsener Anorexiepatienten sei die Pharmakotherapie mit Olanzapin eine Behandlungsoption. Die Medikamente wirken zwar weniger auf die psychischen Symptome, ihre Gabe war in einer randomisiert-kontrollierten Studie im Vergleich zu Placebo jedoch mit einer moderaten Gewichtszunahme assoziiert. Auch in diesem Punkt sollte man überlegen, die aktuelle Leitlinie zu überarbeiten, so der Referent. Die intravenöse Nährstoffzufuhr eignet sich bei den Schwerkranken nicht, da aufgrund schnell auftretender Elektrolytverschiebungen vermehrt mit Todesfällen gerechnet werden muss, warnte Prof. Voderholzer. Kurzfristig komme eher die Ernährung via Nasogastralsonde infrage, längerfristig die über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG). Droht Lebensgefahr, könne man darüber auch zwangsernähren, was von den meisten Patienten im Nachhinein jedoch als traumatisierend beschrieben werde. Seiner Erfahrung nach seien nur wenige für diese Rettung dankbar.Kongressbericht: DGPPN-Kongress 2020 – digital (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde)
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