Zwischen Ess- und Zwangsstörung

Dr. Andrea Wülker

Orthorektisches Verhalten wird als zeitaufwendig, übertrieben und extrem beschrieben. Orthorektisches Verhalten wird als zeitaufwendig, übertrieben und extrem beschrieben. © Vadym – stock.adobe.com

Bei manchen ist eine Diät der Auslöser, bei anderen ein belastendes Lebensereignis: Menschen mit Orthorexie beschäftigen sich intensiv bis zwanghaft mit Ernährungsweisen, die sie für gesund halten, teilen Lebensmittel in „gut“ bzw. „schlecht“ ein und geraten mit ihrem Ernährungsfanatismus oft in soziale Isolation.

Unter Orthorexie versteht man nach der Definition internationaler Experten eine sorgenvolle Beschäftigung mit gesunder Ernährung, die dazu führt, dass die Gedanken der Betroffenen fast nur noch um das Thema gesundes Essen und „erlaubte“ Lebensmittel kreisen. Daraus resultieren eine anhaltende Beunruhigung und stereotypes Verhalten. Orthorektisches Verhalten wird als zeitaufwendig, übertrieben und extrem beschrieben – als eigenständiges Krankheitsbild ist die Orthorexie aber bisher nicht anerkannt.

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Soziale Medien beeinflussen das Essverhalten insbesondere junger Menschen. Eine Studie ergab, dass es einen Zusammenhang zwischen erhöhten Orthorexie-Werten und einer häufigeren Nutzung von Instagram gibt. Allerdings wurde einer anderen Untersuchung zufolge der Hashtag #orthorexia oft im Zusammenhang mit #edrecovery (eating disorders recovery) genutzt – vielleicht handelt es sich bei den Usern auch um Menschen, die versuchen, Essstörungen durch gesündere Ernährungsgewohnheiten zu überwinden.

Orthorexie-Betroffene zeigen sowohl Aspekte, die typisch für Essstörungen sind (etwa das Einteilen von Lebensmitteln in „erlaubt“ und „verboten), als auch Merkmale, die bei Zwangsstörungen auftreten (z.B. Angst und Schuldgefühle, wenn die selbstauferlegten Essensregeln übertreten werden), schreibt Diplom-Psychologin Dr. Friederike Barthels, Abteilung Klinische Psychologie der Universität Düsseldorf. Eine aktuelle Metaanalyse kommt zu dem Schluss, dass orthorektische Symptome stärker mit Essstörungen als mit Zwangsstörungen assoziiert sind – aber eine eindeutige nosologische Zuordnung ist wohl erst nach weiteren Forschungsarbeiten möglich. Zumal eine kürzlich publizierte Arbeit darauf hinweist, dass orthorektisches Ernährungsverhalten oft auch mit Symptomen aus dem Autismus-Spektrum einhergeht, beispielsweise mit Inflexibilität, Ritualen oder mit der gedanklichen Fixierung auf „gesundes“ Essen.

Zur Erfassung orthorektischen Verhaltens gibt es eine Reihe von Fragebögen – einige davon sind allerdings nicht in der Lage, die Störung spezifisch genug zu erfassen. Das erklärt laut Dr. Barthels nicht nur unrealistisch hohe Orthorexie-Prävalenzzahlen in manchen Publikationen, sondern auch divergierende Befunde in verschiedenen Studien. Empfehlenswert und bereits recht etabliert sind die Fragebögen „Eating Habits Questionnaire“ und die „Düsseldorfer Orthorexie Skala“, wobei sich die Autorin auch hier weitere Evaluationen wünscht.

Ein im Jahr 2018 publiziertes Messinstrument ist die „Teruel Orthorexia Scale“. Neu ist, dass diese Skala bei gesundheitsbewusstem Ernährungsverhalten zwei Varianten unterscheidet:

  • Orthorexia nervosa: gezügeltes Essverhalten, Symptome aus dem Zwangsspektrum, Perfektionismus, geringes Selbstwertgefühl, Leidensdruck, soziale Isolation.
  • Healthy Orthorexia: nicht-pathologisches Interesse an gesundem Essen, das keinen Leidensdruck verursacht, sondern eher als Lebensstil einzustufen ist.

Die weitere Forschung wird zeigen, ob Orthorexie ein eigenständiges Störungsbild darstellt und ob sich das Konzept der „Healthy Orthorexia“ als nützlich erweist, fasst Dr. Barthels zusammen.

Quelle: Barthels F. Ernährungsumschau 2023; 70(3): 36-40

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Orthorektisches Verhalten wird als zeitaufwendig, übertrieben und extrem beschrieben. Orthorektisches Verhalten wird als zeitaufwendig, übertrieben und extrem beschrieben. © Vadym – stock.adobe.com