Die größten Rechtsirrtümer in der Arztpraxis (Teil 5) Ärztliche Kooperationsformen

Praxisführung Autor: Björn Stäwen

Mit dieser Ausgabe führen wir die Artikelserie zu verbreiteten Rechtsirrtümern in der Arztpraxis fort. Der Fachanwalt für Medizinrecht Björn Stäwen LL. M., Lehrbeauftragter der Universität Münster, beleuchtet die mitunter teuren Stolperfallen und gibt Hinweise zu deren Vermeidung. Der vorliegende fünfte und letzte Teil der Serie setzt sich mit dem aktuellen Trend auseinander, dass sich auch im Bereich der ärztlichen Grundversorgung die klassische Einzelpraxis hin zu einer der kooperativen Formen der Berufsausübung entwickelt. Die Vorteile liegen auf der Hand, sei es bereits bei der Finanzierung oder in Bezug auf erleichterte gegenseitige Vertretung, erweiterte Sprechstundenzeiten und ein umfangreicheres Behandlungsspektrum. Doch Kooperationen werfen gleichzeitig auch zahlreiche Fragen und Stolpersteine auf.

Die Qual der Wahl: Die Kooperationsformen

Im Vorfeld jeder Kooperation steht die Frage, wie eng die Zusammenarbeit ausgestaltet werden soll. Es existieren hierfür verschiedene Möglichkeiten. Grundlegend zu unterscheiden ist zwischen einer Kooperation im rein organisatorischen Bereich und einer Kooperation im Bereich der tatsächlichen Berufsausübung.

Kooperationsform festlegen: Fallstricke vermeiden

  • Jede Kooperation sollte gut geplant und gedanklich durchgespielt werden, denn jede Kooperationsform hat neben finanziellen Auswirkungen auch erheblichen Einfluss auf die Art und Weise der Zusammenarbeit. Zu unterscheiden sind die klassische Berufsausübungsgemeinschaft mit gemeinsamer Abrechnung und die Praxisgemeinschaft, die auf rein organisatorischer Ebene verläuft.

Reine Organisationsgemeinschaften verfolgen den Zweck, durch gemeinschaftliche Nutzung von Räumen sowie ggf. Sachmitteln und/oder Personal Kosten zu teilen, ohne jedoch die Eigenständigkeit bei Praxisführung und Berufsausübung zu verlieren. Die eigentliche Berufsausübung ist in diesem Modell zwischen den kooperierenden Praxen strikt getrennt. Dem gegenüber stehen die "echten" Kooperationen, die auch die Berufsausübung selbst mit einbeziehen, in der Regel in Form der Berufsausübungsgemeinschaft ("Gemeinschaftspraxis"). Hierbei wird die ärztliche Tätigkeit selbst vergesellschaftet, also durch die Ärzte in gemeinsamen Räumen mit gemeinsamer Dokumentation, Abrechnung und gemeinsamem Personal auf gemeinsame Rechnung ausgeübt. Anders als bei den Organisationsgemeinschaften werden die Patienten nicht dem einzelnen Arzt, sondern der Gemeinschaftspraxis zugeordnet. Auch der Behandlungsvertrag kommt nicht mit einem einzelnen Arzt, sondern mit der Gemeinschaftspraxis zustande. Ebenso erfolgt die Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung auf Grundlage einer einheitlichen Abrechnungsnummer gemeinsam, während bei Organisationsgemeinschaften jeder Arzt für sich selbst unter eigener Abrechnungsnummer abrechnet.

Wer die Gründung einer Kooperation anstrebt, sollte sich zuvor bewusst machen, welcher Kooperationsgrad zu den beteiligten Personen und der vorliegenden Konstellation passt.

Vorsorge ist besser als Nachsorge: Verträge unbedingt einhalten

Ist die Entscheidung zur Kooperation gefallen, geht es um die konkrete Gestaltung. Häufig wird dabei kostenbewusst auf Musterverträge zurückgegriffen, die von verschiedenen Stellen im Internet angeboten werden. Doch in den seltensten Fällen passt ein Mustervertrag wirklich gut auf die gewollte Konstellation. Die meisten Musterverträge sind darüber hinaus veraltet oder in wesentlichen Punkten nur rudimentär ausgestaltet; daneben ist auch die Auswahl des richtigen Musters selbst häufig fehlerbehaftet. Insofern empfiehlt es sich, die Zusammenarbeit auf eine rechtlich sichere und vor allem auf den Einzelfall passende Grundlage zu stellen. Warum eine individuelle Vertragsgestaltung so wichtig ist, kann an folgenden Beispielen verdeutlicht werden:

Wird eine Praxisgemeinschaft vereinbart, ist darauf zu achten, dass sie auch als solche gelebt wird. Die Kooperation darf auch im Arbeitsalltag nicht auf die Berufsausübung übergreifen, sondern muss sich ausschließlich im organisatorischen Bereich bewegen. Das Führen einer gemeinsamen Patientenkartei oder gar eine regelhafte gegenseitige Vertretung (Stichwort "wundersame Scheinvermehrung") sind absolute No-Gos, die im Ernstfall sogar für die Staatsanwaltschaft von Interesse sind. Hier gilt es, die für die Praxisgemeinschaft erforderliche Trennung ausdrücklich zu vereinbaren und dann auch im Alltag darauf zu achten, dass keine über echte Vertretungsfälle hinausgehende Patientenidentität vorherrscht.

Vertragsgestaltung: Fallstricke vermeiden

  • Vermeiden Sie "Musterverträge". Nicht selten werden vermeintliche Einsparungen bei der Planung und Gestaltung der Kooperation Jahre später teuer bezahlt.
  • Achten Sie auf die strikte Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen v. a. in Bezug auf Patientenkartei, Kosten- und Personalverteilung, sonst können steuerliche und rechtliche Konsequenzen sowie Bußgelder drohen.

Ein wahrer Klassiker in der Fehler-Hitliste der Vertragsgestaltung liegt auch in den Regelungen zur Kostenverteilung innerhalb einer Praxisgemeinschaft. Es ist zumeist erforderlich, dass die Kosten so weit wie möglich verursachungsgerecht – und nicht nach einer pauschalen Quote – verteilt werden. Dies wird sehr häufig nicht beachtet, kann aber entscheidend sein. Denn derjenige Gesellschafter, der von einer starren Quote profitiert, weil er im Innenverhältnis weniger als die von ihm verursachten Kosten tragen muss, generiert hierdurch de facto (verdeckte) Einkünfte. Diese Einkünfte stammen aber gerade nicht aus der ärztlichen Tätigkeit, sondern aus einer Beteiligung an den Gewinnen einer anderen Praxis, sodass sie steuerlich nicht privilegiert und damit prinzipiell gewerbesteuerpflichtig sind. Unter Umständen kann eine solche Gewerbesteuerpflicht auch den übrigen Gewinn "infizieren", sodass in der Folge für sämtliche Praxiseinkünfte Gewerbesteuer fällig würde.

Ein weiterer häufig anzutreffender Fehler ist die Zuordnung des Personals – hier ist darauf zu achten, dass Personal, welches in beiden der an der Praxisgemeinschaft beteiligten Praxen tätig werden soll, in der Praxisgemeinschaft selbst angestellt wird (und nicht in einer der Praxen), da ansonsten eine ungenehmigte Arbeitnehmerüberlassung mit entsprechender Bußgeldbewehrung im Raum steht und im Übrigen der Einsatz des Personals in der anderen Praxis einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht darstellen könnte.

Die Scheinsozietät

Bis vor gar nicht allzu langer Zeit bestand die einzige Chance einer dauerhaften ambulanten Tätigkeit im Bereich der GKV in der Niederlassung. Erst im Zuge der Gesundheitsreformen der frühen 2000er-Jahre wurde überhaupt die Möglichkeit der regelhaften Anstellung von Ärzten auf einem Angestelltensitz geschaffen. Doch schon immer gab es auch einen erheblichen Teil von Ärzten, die das finanzielle Risiko der eigenen Niederlassung scheuten oder für die dieser Schritt aus anderen Gründen nicht infrage kam. Für diese Fälle wurden die sogenannten "Nullbeteiligungen" populär; ein Modell, in dem der betreffende Arzt zwar offiziell den Status eines Gesellschafters erhielt und Vertragsarzt im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis wurde, finanziell jedoch nur sehr eingeschränkt an Gewinn, Gesellschaftsanteilen und Mitspracherechten beteiligt wurde. Auch heute sind solche Konstellationen noch anzutreffen – zum Teil handelt es sich dabei noch um Alt-Kooperationen, zum Teil gibt es aber immer wieder auch Neugründungen, denen ein solches Modell zugrunde liegt. Gründe dafür sind z. B. die Beschäftigungsgrenzen für angestellte Ärzte; so kann ein Unternehmer-Arzt, der bereits drei angestellte Ärzte beschäftigt und alleine nicht mehr Ärzte beschäftigen dürfte, versucht sein, einen vierten Arzt zum Schein als Gesellschafter aufzunehmen. Eine solche Gestaltung stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko für alle Beteiligten dar, das einige Gemeinschaftspraxen auch schon in die Insolvenz getrieben hat. Denn nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung führt die Aufdeckung von Scheinsozietäten zu Regressen auf mehreren Ebenen.

Scheinsozietät: Fallstricke vermeiden

  • Prüfen Sie die in Ihrer Gemeinschaftspraxis vorliegende Konstellation kritisch: Gibt es Gesellschafter minderen Rechts? In diesem Fall sollte fachkundiger Rat eingeholt werden.
  • Wollen Sie in eine Gesellschaft einsteigen, lassen Sie sich nicht auf grenzwertige Modelle ein – wer nach außen als Gesellschafter auftritt, haftet mit, unabhängig von seiner Beteiligung.

Grund dafür ist, dass der Scheinsozius (also der Beteiligte, der nur nach außen als Gesellschafter auftritt, aber z. B. nur an seinen eigenen Umsätzen gewinnbeteiligt ist und möglicherweise für den Fall seines Ausscheidens keinen echten Abfindungsanspruch hat) nicht als echter Gesellschafter, sondern als "verkappter" Angestellter qualifiziert wird. Davon ausgehend verlangen die Sozialversicherungsträger in diesem Fall auf sämtliche Gewinnanteile, die der Scheinsozius erhalten hat, die Nachzahlung von Sozialversicherungsabgaben wie für Angestellte üblich. Dass die Sozialversicherungsabgaben bis zur Nachzahlung – ggf. über Jahre – vorenthalten worden sind, stellt gleichzeitig eine Straftat dar, die von der Staatsanwaltschaft gesondert verfolgt wird. Viel dramatischer ist aber, dass eine Gemeinschaftspraxis, die nur zum Schein bestand, nach dem Vertragsarztrecht die vereinnahmten KV-Honorare zu Unrecht erhalten hat. Die Kassenärztliche Vereinigung kann also sämtliche ausgezahlten Honorare zurückverlangen. Der Einwand, dass aber die honorierten Leistungen doch alle erbracht worden seien, hilft dabei nicht weiter – der streng "formalisierte" Schadensbegriff im Vertragsarztrecht lässt dies unbeachtet. Eine Gemeinschaftspraxis, die als Scheingesellschaft enttarnt wird, muss also damit rechnen, dass ihre Gesellschafter das gesamte KV-Honorar etlicher Quartale vollständig zurückzahlen müssen. Schließlich tritt in solchen Fällen regelmäßig auch noch das Finanzamt auf den Plan und fordert für den "selbstständigen Angestellten" die Nachzahlung von Gewerbesteuer.

Das Gute ist: Aufgrund der Reformen der letzten Jahre lassen sich die mit einer Nullbeteiligung verfolgten Ziele durch erweiterte Gestaltungsoptionen mittlerweile auch legal umsetzen.

Bedenke das Ende …

So wie sich Ehepaare mit der Zeit auseinanderleben können, tritt auch bei Gemeinschaftspraxen immer wieder der Wunsch nach einer "Scheidung" auf, im Guten oder im Schlechten. Das Gelingen einer Beendigung der Zusammenarbeit ohne "Rosenkrieg" hängt jedoch maßgeblich davon ab, wie gut die Rahmenbedingungen hierfür in dem Kooperationsvertrag ausgestaltet wurden. Die Erfahrung zeigt, dass bereits vor Kooperationsbeginn ein mögliches Ende mitbedacht und bestmöglich geregelt werden sollte. Der wichtigste – zugegebenermaßen aber auch komplizierteste – Teil eines Gesellschaftsvertrages regelt daher umfassend die in Betracht kommenden Ausscheidens- und Auflösungsszenarien. Die Kündigungsfolgen sind in aller Regel anders zu bewerten als das Ausscheiden eines Partners aufgrund von Tod oder Berufsunfähigkeit. Im Rahmen dessen sind insbesondere Kündigungsfristen, Wettbewerbsverbote und Abfindungsansprüche genau zu bezeichnen und zu regeln.

Beendigung der Kooperation: Fallstricke vermeiden

  • Setzen Sie sich bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen ausführlich mit dem Thema der möglichen Beendigung der Kooperation auseinander und treffen Sie möglichst differenzierte Regelungen für die typischen Szenarien im Beendigungsfall.

... oder vielleicht doch ein MVZ?

Neben den klassischen Kooperationsformen Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft hat sich auch das Medizinische Versorgungszentrum mittlerweile einen festen Platz unter den ambulanten Versorgungsformen erkämpft. Dabei ist es mitnichten so, dass MVZ lediglich für Schwergewichte wie Krankenhäuser oder Fremdinvestoren das geeignete Vehikel sind – auch für die "Landpraxis" kann die Gründung eines MVZ eine attraktive Option sein, bietet es im Vergleich doch einige nicht zu vernachlässigende Vorteile. In einem überversorgten Planungsbereich ermöglicht das MVZ etwa eine stärkere Bindung der Vertragsarztsitze an die Trägergesellschaft. Scheidet dann ein auf einem Kassensitz tätiger Arzt aus, wird das normalerweise notwendige Ausschreibungsverfahren vermieden. Darüber hinaus bietet ein MVZ auch größere Wachstumsmöglichkeiten, wenn man auf die Aufnahme weiterer Gesellschafter verzichten möchte. Denn die Anzahl der anzustellenden Ärzte ist in einem MVZ, anders als in einer Berufsausübungsgemeinschaft, nicht limitiert. Auch ermöglicht das MVZ, die ärztliche Tätigkeit in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auszuüben, was neben haftungsrechtlichen Vorteilen im Einzelfall sogar steuerlich attraktiv sein kann.

Die Alternative MVZ: Fallstricke vermeiden

  • Schließen Sie die Gründung eines MVZ nicht von vorneherein aus.
  • Gehen Sie ergebnisoffen in die Kooperationsplanung. Nicht selten stellt sich heraus, dass ein anderes als das zunächst vorgestellte Modell viel besser auf die geplante Konstellation passt.

Autor:
Fachanwalt für Medizinrecht, kwm rechtsanwälte – Kanzlei für Wirtschaft und Medizin PartG mbB
Lehrbeauftragter der Universität Münster im Masterstudiengang Medizinrecht für den Bereich Vertragsarztrecht

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (16) Seite 58-63
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.