Nachbesetzung Bundessozialgericht erschwert Sitzverkauf

Praxisführung Autor: Torsten Münnch

Bisher durften niedergelassene Vertragsärzte in einem gesperrten Planungsbereich ihre Zulassung auf dem Umweg über eine sechsmonatige Zeit der Anstellung an einen Nachfolger – etwa ein MVZ – übertragen und so den Praxisaufkauf durch die KV verhindern. Ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts verlängert die Frist auf drei Jahre. Das hat Folgen von der Vertragsgestaltung bis hin zum Arbeitsrecht.

Das Bundessozialgericht hat sich in einem jüngst ergangenen Urteil mit Rechtsfragen der Nachbesetzung von ärztlichen Angestelltenstellen befasst [1]. Das Gericht hat die Gelegenheit für einen Hinweis genutzt, der in Zukunft von größter praktischer Bedeutung werden könnte. Konkret geht es um die Frage, wie lange ein Arzt angestellt gewesen sein muss, bevor das MVZ zur Nachbesetzung berechtigt ist. Der nachfolgende Beitrag stellt das Problem etwas näher vor und gibt erste Hinweise zum Umgang mit der neuen Rechtslage.

Die bisherige Praxis

Die Äußerung des BSG betrifft eine recht häufig vorkommende Konstellation im Rahmen eines Praxisverkaufes. In einem gesperrten Planungsbereich steht der abgabewillige Praxisinhaber nämlich zum einen vor dem Problem, einen sogenannten Praxisaufkauf durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) verhindern zu müssen. Dazu kann es kommen, wenn der Zulassungsausschuss der Auffassung ist, die zum Verkauf stehende Praxis sei aus Versorgungsgründen nicht mehr erforderlich [2]. Ein weiteres Problem ist der Ablauf des Nachfolgebesetzungsverfahrens, falls es nicht zum Praxisaufkauf kommt. Da eine Nachbesetzung im Wege der öffentlichen Ausschreibung erfolgt, muss sich der abgabewillige Vertragsarzt möglicherweise mit zahlreichen, ihm unbekannten Bewerbern auseinandersetzen, anstatt in Ruhe Vertragsverhandlungen mit seinem Wunschkäufer führen zu können.

Als Gegenmittel zu diesen Problemen hat sich in der Praxis ein Verfahren etabliert, das wie folgt abläuft: Der abgabewillige Vertragsarzt sucht sich einen potentiellen Käufer. Das kann ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) sein oder ein niedergelassener Kollege, der beabsichtigt, seine Praxis auszubauen. Ist der potentielle Käufer gefunden, verzichtet der abgabewillige Vertragsarzt auf seine Zulassung, um sich bei dem Praxiskäufer anstellen zu lassen [3]. Der Praxiskäufer erwirbt dann zivilrechtlich die materiellen und immateriellen Werte der Praxis und erhält zudem die ehemalige Zulassung des abgabewilligen Vertragsarztes – jetzt nur in der Form der sogenannten Anstellungsgenehmigung.

Zwei Quartale als Angestellter bremsten bisher die KV aus

Wenn der abgabewillige einstige Vertragsarzt und nunmehrige Angestellte aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, ist der Käufer berechtigt, die dann freigewordene Arztstelle durch einen Kollegen seiner Wahl nachzubesetzen. Erforderlich war bislang lediglich, dass der abgabewillige Vertragsarzt auf der Angestelltenstelle etwa zwei Quartale tatsächlich gearbeitet hatte, weil ansonsten – so die verbreitete Auffassung der KVen und Zulassungsgremien – keine nachbesetzungsfähige Arztstelle mehr existierte.

Insgesamt bot dieses Modell ein relativ zügiges und risikoarmes Prozedere zur Übertragung der Praxis und der Zulassung auf einen Käufer. Weder der Zulassungsausschuss noch die KV hatten nennenswerte Einwirkungsmöglichkeiten. Insbesondere gab es rechtlich keine Möglichkeit, die Zulassung des abgabewilligen Vertragsarztes aufzukaufen.

BSG fordert drei Jahre

Genau dies war dem BSG offenbar ein Dorn im Auge. Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, in überversorgten Planungsbereichen zu einer Reduzierung der Anzahl der Zulassungen zu kommen, drohte leerzulaufen. Um dies zu verhindern, hat das Bundessozialgericht nun die Forderung aufgestellt, dass der (ehemalige) Vertragsarzt die Absicht haben müsse, grundsätzlich drei Jahre im Arbeitsverhältnis tätig zu werden. In dieser Zeit sei zwar eine jährliche schrittweise Reduzierung seines Tätigkeitsumfangs um eine Viertelstelle möglich, ein vollständiges Ausscheiden jedoch nicht. Käufer und Verkäufer von Praxen beziehungsweise Zulassung müssen sich also für die Zukunft darauf einstellen, dass ein Zulassungsverzicht mit anschließender Anstellung mindestens für drei Jahre beabsichtigt und wohl auch gelebt werden muss, bevor ein Austausch in der Person des angestellten Arztes erfolgen kann.

Mit den neuen Anforderungen des BSG ist das Anstellungsmodell zwar nicht obsolet, es benötigt jedoch einen weitaus größeren Realisierungszeitraum als bisher – genau genommen nämlich drei Jahre. Eine Verkürzung dieses Zeitraumes ist nicht kategorisch ausgeschlossen, dürfte jedoch auf Ausnahmefälle (z. B. Ausscheiden wegen schwerer Krankheit) beschränkt sein.

Ausgenommen von der Verschärfung hat das BSG die bereits bestandskräftig erteilten Anstellungsgenehmigungen. Bestandskräftig sind solche Genehmigungen, bei denen am Tag der BSG-Entscheidung die einmonatige Widerspruchsfrist bereits ungenutzt abgelaufen war. Diese Angestelltenstellen können auch dann Grundlage einer Nachbesetzung sein, wenn die Tätigkeitsdauer noch nicht drei Jahre erreicht hat.

Ein Urteil mit Folgen für Arbeits- und Kaufverträge

Das Urteil hat aber nicht nur vertragsarztrechtliche Folgen. Zukünftig wird jeder Käufer im Arbeitsvertrag eine ordentliche Kündigung für drei Jahre ausschließen wollen, weil er anderenfalls Gefahr liefe, dass der Angestellte von sich aus das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der vom BSG geforderten drei Jahre beendet. Außerdem wird in den Praxiskaufverträgen zu klären sein, wann eigentlich der Kaufpreis fließen soll. Ein Käufer wird jedenfalls bestrebt sein, zumindest einen Großteil des Geldes erst dann zahlen zu müssen, wenn die drei Jahre geschafft sind und damit die Nachbesetzungsmöglichkeit eröffnet ist.

Bislang hat das BSG nur eine Pressemitteilung zum Inhalt seiner Entscheidung veröffentlicht. Dort wird zwar nur auf eine Anstellung im MVZ abgestellt. Der Sache nach dürften die Äußerungen aber auf Anstellungen in Arztpraxen übertragbar sein. Die genauen Aussagen und damit das ganze Ausmaß des Urteils lassen sich erst ermitteln, wenn der vollständige Urteilstext in einigen Wochen vorliegt. Schon jetzt kann man aber feststellen, dass die neuerliche Verschärfung der Rechtsprechung eine professionelle Projektplanung und -umsetzung erforderlicher denn je macht. Wer hier meint, ohne professionelle Hilfe auskommen zu können, setzt leichtfertig seine gesamten Planungen aufs Spiel.

Literatur:
1. Urteil von 05.04.2016, Aktenzeichen B 6 KA 21/15 R
2. vgl. § 103 Abs. 3a Satz 3 Sozialgesetzbuch 5. Buch – SGB V
3. vgl. § 103 Abs. 4a Satz 1 und Abs. 4b Satz 1 SGB V

Autor:
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Dierks + Bohle Rechtsanwälte, Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (11) Seite 70-73
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.