Ermutigung für Patienten Die 1-Minute-Intervention

Praxisführung Autor: K.-D. Hüllemann

Verbale Interventionen, die weniger als eine Minute dauern, sind im klinischen Alltag häufig. Um Patienten Mut zu machen und Hoffnung zu wecken, ist es in den meisten Fällen nicht notwendig, lange Gespräche zu führen.

Eine Patientin, die zur Nachschau nach einer Wundversorgung kommt, wird sich freuen, wenn die Ärztin oder die Helferin sagt: „Oh, die Wunde sieht aber gut aus.“ Und die Patientin wird sich Sorgen machen, wenn gesagt wird: „Oh, die Wunde sieht aber nicht gut aus.“ Sicher, dahinter stehen zwei unterschiedliche Tatbestände. Aber sowohl beim guten wie auch beim schlechten Befund kann eine zusätzlich helfende Intervention das Befinden der Patientin verbessern bzw. noch mehr verbessern.

Das Positive finden und benennen

Bei der gut aussehenden Wunde sollte man den guten Befund auf jeden Fall aussprechen (und nicht nur auf dem Verlaufsbogen dokumentieren). Zusätzlich kann man das Zutrauen der Patientin auf ihre inneren Kräfte mit den (suggestiven) Worten stärken: „Sie haben gute Heilungskräfte (gutes Blut).“ Was sagt man bei der schlecht heilenden Wunde? Man darf den Befund nicht gutreden und falsche Hoffnung wecken. Aber es gibt fast immer auch irgendetwas Gutes, und das soll man benennen. Hier ein paar Vorschläge, die je nach dem aktuellen Befund eine Anregung geben: „Der Befund ist stationär geblieben. Es ist gut, dass die Infektion nicht weitergegangen ist. – Die Wunde werden wir gleich ein wenig säubern, dann sieht das schon besser aus. – Jetzt setzen wir noch ein Antibiotikum ein, dann klingt die Entzündung rascher ab.“

Um Patienten Mut zu machen und Hoffnung zu wecken, ist es in den meisten Fällen nicht notwendig, lange Gespräche zu führen, für die dann auch noch eine spezielle Ausbildung erwünscht wäre. Man kann therapeutisch viel erreichen durch einfache positive Wörter, einfache Gesten wie ein freundliches Zunicken oder eine taktvolle Berührung, z. B. der Hand. Das wissen natürlich Ärzte und Pflegende. Das ist eine der Voraussetzungen, dass unter dem heutigen Zeitdruck nach wie vor ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Hilfesuchenden und Helfenden aufgebaut wird. Doch manchmal misslingt die gute Absicht.

Gut gemeint, schlecht gelaufen

Es passiert immer wieder, dass Patienten durch Worte oder Erklärungen in panische Angst geraten, die von der helfenden Person in bester Absicht ausgesprochen wurden. Das hängt mit der veränderten Informationsverarbeitung zusammen, der kranke Menschen unterliegen. Der Zustand des Krankseins geht mit einem veränderten Bewusstseinszustand einher, einer Art Trance, die kaum zu unterscheiden ist von dem Trancezustand, der durch eine lege artis ausgeführte klinische Hypnose erreicht wird. In diesem Zustand nehmen die Patienten alle verbalen und nicht verbalen Äußerungen wörtlich und ernst. Alles wird ichbezogen empfunden und interpretiert. Das zeigt das folgende Beispiel:

Dem 56-jährigen Patienten war nach der erfolgreichen Operation eines Mitralklappenprolapses von einem befreundeten Arzt ein schönes Ferienhaus am Bodensee zur Erholung angeboten worden. Der Arzt kannte seinen Freund gut: Ein Klinischer Psychologe, der durch Therapiepraxis, Veranstaltungen, Publikationen und Mitgliedschaften in internationalen Fachverbänden immer unter Stress stand. Ein solcher Schaffer will sich auch nach einer Herzoperation nicht erholen, sondern so schnell wie möglich wieder mit der Arbeit beginnen. Um den Patienten trotzdem zu bewegen, das Ferienhausangebot anzunehmen, hatte der Arzt ergänzt: „Wir wollen ja nicht, dass das wieder passiert.“

Verlust von Coping-Strategien

Diese Äußerung ist eigentlich ein Allgemeinplatz. Natürlich will niemand, dass etwas Unangenehmes wieder passiert. Wenn der Psychologe nicht der betroffene Patient gewesen wäre, hätte er der Äußerung wie einer Höflichkeitsfloskel für Mitgefühl kaum größere Beachtung geschenkt. Doch ihm standen die gewohnten rationalen Einschätzungen zur Unterscheidung von Bedrohung und Harmlosigkeit nicht zur Verfügung. Einschränkung oder sogar Verlust von gewohnten Bewältigungsmechanismen (Coping-Strategien) sind typisch für Menschen, die krank sind.

Der Patient rief mich mit angstvoller Stimme an. Er habe nach der Äußerung „Wir wollen ja nicht, dass das wieder passiert“ schweißnasse Hände bekommen. Er sei innerlich aufgewühlt und jetzt schwitze er am ganzen Körper. Ich konnte den Patienten unter Hinweis auf das gute Operationsergebnis und meine guten Erfahrungen mit vergleichbaren anderen Patienten beruhigen. Die Äußerungen des Freundes seien nicht wörtlich zu nehmen; er habe nur seinem Angebot Nachdruck verleihen wollen. Dieses Beispiel war für mich der Auslöser, in einem Buch* eine Beispielsammlung auszuarbeiten, wie Patientengespräche besser gestaltet werden können, d. h. wie sie, ohne zu ängstigen, Sicherheit und Hoffnung vermitteln.

Patienten reagieren manchmal auch dann mit großer Angst, wenn sich der Arzt mehr um sie kümmert, als allgemein erwartet wird, weil Unerwartetes als potentiell gefährlich gesehen wird und eine Abwehrreaktion hervorruft – so wie im nächsten Beispiel.

Bei Anruf Panik

Wenn ein Operateur Patienten oder Angehörige frühzeitig, schon aus dem OP heraus telefonisch unterrichtet, dass alles gut verlaufen ist, gibt das allen Beteiligten Erleichterung und Sicherheit. Doch ein beruhigend gemeintes Telefonat kann auch Panik auslösen, wenn Patienten keinen Anruf erwarten.

Eine Patientin hatte sich im Abstand mehrerer Wochen je eine künstliche Augenlinse implantieren lassen. Das erste Auge war ohne jegliche Komplikation mit sehr gutem Erfolg operiert worden. Während des zweiten Eingriffs traten heftige Schmerzen auf. Die Operation selbst verlief regelhaft. Am Tag nach der Operation rief der Augenarzt bei der Patientin an und fragte nach dem Befinden. Doch die Patientin reagierte panisch: „Ach Gott, warum rufen Sie an? Ist bei der Operation etwas schiefgegangen? Haben die Schmerzen bei der Operation doch etwas zu bedeuten?“

Die Patientin war durch die starken Schmerzen, mit denen niemand gerechnet hatte, bei der zweiten Operation sensibilisiert worden für unerwartete Schmerzen und Gefahren. Der Anruf des Arztes kam unerwartet. Neben der Ankündigung des Anrufs wären heilende Worte möglich gewesen. Sofort nach der negativen Erfahrung durch den Eingriff (die Schmerzen waren zurückgegangen) hätten positive Worte neue Sicherheit und Vertrauen aufbauen geholfen: „Es ist alles in Ordnung. Es tut mir leid, dass es diesmal für Sie doch schmerzhaft war, aber es ist alles in Ordnung.“ Die Wiederholung des Positiven verstärkt die gewünschte suggestive Wirkung. „Ich gebe Ihnen nur zur Sicherheit (wichtig: das Wort „Sicherheit“ aussprechen) meine Telefonnummer. Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie eine Frage haben.“ Entscheidend ist in diesem Zusammenhang das Wort Frage. Würde das Anrufangebot lauten „wenn Sie Beschwerden oder Schmerzen haben“, können diese Wörter wie ein Trigger wirken, der bei der Patientin die Vorstellung von Gefahr und eine Angstreaktion erzeugt. Die Ankündigung des Anrufs kann mit einer wohltuenden Suggestion unterstützt werden: „Wenn ich morgen anrufe, dann hat ja die Heilung schon begonnen.“

Es ist nun keineswegs so, dass in der Patienten-Arzt-Beziehung oder der Patienten-Pflegerin-Beziehung immer die Gefahren ängstigender Missverständnisse lauern. Das Wichtigste ist ein tragfähiges Vertrauensverhältnis; da stören dann selbst unglückliche Formulierungen meist nicht. Doch manchmal fehlt die Zeit, um ein gutes Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Angst auslösende Formulierungen meiden, positive Wörter nutzen

Es gibt trotzdem Möglichkeiten, wie selbst in kurzen Kontakten das Bedürfnis der Patienten nach Sicherheit und Hoffnung unterstützt werden kann. Vor allem denke man daran, nicht mit unbedachten Äußerungen Angst auszulösen. Man mache sich immer bewusst, dass kranke Menschen oft nicht mehr in der Lage sind, ihre Situation so rational zu überprüfen, wie sie es sonst gewohnt sind. In dieser Krankheitstrance ist die Aufmerksamkeit auf die Worte der helfenden Person gerichtet wie auf die Worte des Hypnotherapeuten bei induzierter Hypnose. So können Worte wie ein sogenannter posthypnotischer Auftrag wirken, positiv wie auch negativ und zum Teil über Jahre. Deshalb muss es in der Bewusstseinsroutine verankert sein, dass Formulierungen zu vermeiden sind, die in der veränderten Interpretation des Patienten heftige Angst auslösen können. Hilfreich ist dagegen der wiederholte (!) Gebrauch positiver Wörter, z. B. Heilung, Sicherheit, Besserung, gut, sehr schön, günstig, erfreulich. Positive Wörter oder Aussagen werden jedoch diskreditiert, wenn ohne genügend zeitlichen Abstand negative Formulierungen fallen – etwa bei einer Patientin mit Marfan-Syndrom: „Gratuliere, die Operation ist erfolgreich gelungen!“ Und im gleichen Atemzug: „Aber das kann jeden Augenblick wieder passieren.“

Humor ist eine Möglichkeit, Angst aufzulösen und eine gute Stimmung aufkommen zu lassen. Doch dazu bedarf es viel Fingerspitzengefühls. Unangebrachte Witze kränken eher. Mit einiger Übung kann man die angeführten Möglichkeiten in die Alltagsarbeit integrieren. Das dient nicht nur den Patienten; die Arbeit macht auch mehr Spaß. Die humorvolle Darstellung einer Bergrettung mag die Bedeutung der richtigen Wortwahl noch einmal illustrieren:

Eine Gruppe von Schwaben war im Ötztal in eine Gletscherspalte gefallen, nicht sehr tief, aber sie konnten sich nicht selbständig befreien. Die Bergwacht kam zu Hilfe. Nach einer Seilsicherung pirschte sich ein Bergwachtmann an den Rand der Spalte und rief: „Geben Sie mir Ihre Hand.“ Aus der Spalte schallte es: „Mir gäbet nix.“ Erst als der Bergwachtler sagte: „Nehmen Sie meine Hand“ haben die Schwaben zugegriffen.

Diese und viele weitere Praxisbeispiele aus der Allgemeinmedizin und anderen Gebieten finden sich in dem Buch. Eigene Kapitel widmen sich dem Aufklärungsgespräch, der chronischen Krankheit und der Sprachlosigkeit bei schwerer Prognose. Es bietet kurze Gebrauchsanleitungen für helfende Kommunikation.

* Klaus-D. Hüllemann: Patientengespräche besser gestalten. Gebrauchsanleitungen für helfende Kommunikation. 124 S., Carl-Auer Verlag, Heidelberg, 2013. € 12,95

Eine Bitte: Für Ihre Beispiele zum Thema bin ich sehr dankbar. Sie sollen in folgenden Auflagen berücksichtigt werden. Schreiben Sie an klaus-d@huellemann.net


Autor:
Facharzt für Innere Medizin sowie für Psychosomatik und Psychotherapie, Sportmedizin, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen,
München

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (22) Seite 40-42
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.