Führungstools für Einsteiger Die ersten 100 Tage als Praxisinhaber

Praxisführung Autor: Petra Korioth

Sie als Praxisinhaber oder als Praxisinhaberin* stehen in der Führungsverantwortung. Leider glauben viele Neueinsteiger, sie könnten sich zunächst um den eigenen Patientenzulauf und um die Medizin kümmern. Doch das reicht i. d. R. leider nicht aus. Wenn Sie nicht führen, führt jemand anderes, oft hinter Ihrem Rücken. Nehmen Sie die Herausforderungen in der Personalführung an und zwar ab dem ersten Tag!

Erfolgreiche Führungskräfte saugen die neue Organisation und ihre Kultur geradezu in sich hinein. Sie achten auf Sprache, fragen nach den Regeln und beobachten Gewohnheiten.

Die ersten 100 Tage gelten sozusagen als Faustregel für die Zeit, die einem "Neuen" gegeben wird, sich zu bewähren, erste Weichen zu stellen, Erwartungen zu begegnen, Beziehungen aufzubauen, ein Veränderungsklima positiv zu fördern und zu initiieren, Rituale zu prägen. Je nachdem, welche Praxisstrukturen Sie übernehmen, stellt dies eine ziemlich große Herausforderung dar.

Praxiskultur und Werte

Die Gestaltung einer Praxiskultur spielt eine erhebliche Rolle im Umgang miteinander und im Umgang mit dem Patienten. Sie haben darauf aktiven Einfluss, indem Sie das Miteinander vorleben und fördern. Ihre Mitarbeitenden werden Ihr Verhalten zumindest in Teilen imitieren. Ein positives Miteinander, ein wertschätzendes, respektvolles Klima wirkt sich ausgesprochen fördernd auf die Leistungen der Mitarbeitenden aus. Auch der Patient wird dieses Klima spüren.

Womit wir in der Welt der Werte sind. Der Praxisinhaber legt die Grundwerte der Praxis fest – bewusst oder unbewusst. Hier stellt sich wiederum die Frage: Sind mir meine gewünschten Werte bewusst und lebe ich diese auch selbst (denn nur dann sind sie glaubhaft)? Werte beschreiben die Grundsätze, nach denen ein Unternehmen, seine Führung und seine Mitarbeiter handeln, um die Unternehmensziele zu erreichen. Die Umsetzung wird im Rahmen von Verhaltensnormen oder Spielregeln festgelegt, die bei Nichteinhaltung sanktioniert werden. Viele Werte sind jedoch das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, weil die Führungskräfte nicht danach leben. Was nutzt es, wenn Sie Werte wie Verantwortung, Vertrauen und Transparenz als Praxiswerte festlegen, aber in der Praxis Revierkämpfe, Intrigen und Mobbing wüten? Eine wichtige Botschaft lautet deshalb: Leben Sie als Praxisinhaber in Ihrer Vorbildfunktion unbedingt Ihre Werte vor!

Einstiegsszenarien

Mit einer Praxisübernahme haben Sie nicht nur den Patientenstamm, sondern auch die Praxiskultur und die gelebten Praxiswerte übernommen. Dessen sollten Sie sich bewusst sein. Es wird sich herausstellen, ob sich die Werte mit Ihren Werten als kompatibel erweisen.

Aber auch hier gilt: Veränderungen haben ihren Preis und brauchen Zeit. Erfolgreiche Führungskräfte saugen die neue Organisation und ihre Kultur geradezu in sich hinein. Sie achten auf Sprache, fragen nach den Regeln und beobachten Gewohnheiten. Sie hören Geschichten und erfahren, wer in der Vergangenheit die Praxis wesentlich mit beeinflusst hat. Sie beobachten den Umgang mit Kritik und Fehlern, auch die Art und Weise, wie man über die Patienten spricht und wie das Praxis-Image kommentiert wird. So formt sich ein erstes Bild von der neuen Praxis, womit sich die Mitarbeiter identifizieren, mit welcher Form der Medizin sie sich identifizieren und was sie miteinander verbindet. Der Blick auf die bestehende Praxiskultur ist vor allem dann von größter Bedeutung, wenn Sie im Rahmen Ihrer Praxisübernahme Veränderungen planen. Dabei erweisen sich die sogenannten "weichen Faktoren" schnell als harte, entscheidende Realität [1].


Merkmale eines positiven Veränderungsklimas sind:

  • Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten
  • Blick nach vorne
  • Offene Kommunikation, auch über Fehler und Misserfolge
  • Fähigkeit, Erfolge wahrzunehmen und zu feiern
  • Respekt vor unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen
  • Langfristige Zeitorientierung
  • Geduld und Flexibilität

Im Folgenden werden drei beispielhafte Einstiegsszenarien betrachtet, die wiederum unterschiedliche Herausforderungen und Bewährungen für den neuen Praxisinhaber bei einem Wechsel mit sich bringen:

Nachfolger eines Pensionärs

Ein Vorteil wäre, dass möglicherweise die Mitarbeitenden sich eine Veränderung dringend wünschen und Sie sich diesen Wunsch zunutze machen können. Vermutlich hat es in den Teams länger keine Innovation mehr gegeben. Veränderungen, die nun von dem neuen Praxisinhaber angedeutet werden, können aber Verunsicherung und Ängste auslösen. Möglicherweise kommen jetzt Konflikte ans Licht, die vorher aus Rücksicht auf den Vorgänger zurückgehalten wurden. Das Paradoxe daran ist, dass sich die Mitarbeiter eine Veränderung wünschen und gleichzeitig Angst davor haben, "mauern" und sich nach den guten alten Zeiten zurücksehnen. Empfohlen werden kann hier eine rituelle Verabschiedung des Vorgängers, ein "glanzvoller Abschied", ein deutliches Markieren, dass diese Periode beendet ist. Lassen Sie den Abschied vom alten Vorgänger intensiv ausleben und setzen Sie dann ein Zeichen, dass eine neue Zeit beginnt, die Sicherheit und Zuversicht verspricht.

Nachfolge auf einen Charismatiker (als starke Führungskraft)

Diese ist mit die schwierigste und konfliktreichste Nachfolgesituation. Die Enttäuschung von dem Nachfolger ist praktisch vorprogrammiert, vor allem, wenn der Vorgänger den Nachfolger selbst ausgesucht hat. Die Enttäuschung und ggf. Trauer der Mitarbeiter (vor allem, wenn dieser geliebte Chef verstorben ist) braucht Raum und Anerkennung. Hier bedarf es eines hohen Maßes an Empathie, die Trauer/den Schmerz anzuerkennen und nicht zu schnell in eine nutzenorientierte Sachargumentation einzusteigen. Als Maßnahme wird auch hier eine formelle Verabschiedung, die den Vorgänger würdigt und gleichzeitig die Beendigung dieser Zeit mit dem Vorgänger markiert, empfohlen [1]. Der Nachfolger tut gut daran, auch äußere Anzeichen für einen Unterschied anzubringen (Raumausstattung, veränderte Rituale). Klug ist es, den Vorgänger als auch die Loyalität der Mitarbeiter zum Vorgänger zu respektieren und wertzuschätzen. Haben Sie dabei Geduld und Selbstvertrauen zum Aufbauen einer neuen Beziehung und des eigenen Profils als neuer Praxisinhaber.

Der Seiteneinstieg

Sie steigen als Mitinhaber in eine Gemeinschaftspraxis ein, ein Seniorpartner steht an Ihrer Seite und wird möglicherweise mittelfristig die Praxis verlassen. Das Team kennt das Regelwerk, Sie gelten als junge Kraft und sollen "frischen Wind" mit in die Praxis bringen. Viele starten nun mit Tatendrang und Enthusiasmus, kommen dann aber in der ernüchternden Realität an, wenn sie feststellen, dass der "frische Wind" weder für den Seniorpartner noch für das Personal gilt. Formulieren Sie Ihre mittelfristigen und langfristigen Ziele klar und deutlich. Setzten Sie auf Zeit und Vertrauensaufbau bei den Mitarbeitern, klare Absprachen mit dem Seniorpartner machen hier Sinn. Manche Ziele lassen sich in dieser Konstellation allerdings erst nach Ausscheiden des Partners realisieren.

Umgang mit Skepsis

Begegnen Sie der Skepsis der Mitarbeiter positiv! Sie schützt vor überzogenen Erwartungen und wirft den Blick auf mögliche Hindernisse, die gern übersehen werden. Werten Sie zunächst die kritischen Anmerkungen als Interesse der Mitarbeiter am Thema! Einer der häufigsten Fehler von Führungskräften ist die sofortige Kritik an der skeptischen Haltung, von der sie sich bedroht fühlen und diese schnellstmöglich verändern wollen. Damit bringen Sie sich jedoch in die Gefahr, sich in Frontstellung zu den Mitarbeitern zu bringen.

Symbole und Rituale

Sie eignen sich gerade in den ersten 100 Tagen, um Grundwerte zu vermitteln, die eigene Position zu bestimmen und einen Wandel zu initiieren. Symbole und Rituale haben die faszinierende Eigenschaft, auf emotionale Art und Weise den Menschen anzusprechen. So enthält zum Beispiel die Veränderung der Tagesordnung in Teambesprechungen neben praktischen Hintergründen auch immer eine Botschaft über die Absicht des neuen Praxisinhabers. Eröffnet dieser beispielsweise die Teammeetings regelmäßig mit einem Bericht über zufriedene Patienten anstatt eines Mängelberichtes, so wirkt dies wesentlich mehr als eine sachliche Umstrukturierung.

Fazit

Eine Veränderung in der Praxis in Form eines Inhaberwechsels oder Inhaberzuwachses bringt zunächst emotionale Unruhe in den Praxisalltag. Dies will mit Zeit gewürdigt werden. Ein positives Veränderungsklima mit gelebten Werten hilft bei der Umsetzung von neuen Strukturen. Dabei ist es wichtig, die Mitarbeiter mit ins Boot zu holen, unterschiedliche Sichtweisen zu respektieren und mit Geduld und Gelassenheit vorzugehen. Symbole und Rituale können helfen, "das Neue" zu markieren.* Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur noch von Praxisinhabern geschrieben, selbstverständlich sind Praxisinhaberinnen mit eingeschlossen.

Literatur:

1. Peter Fischer: Neu auf dem Chefsessel. München: Redline, 12. Auflage, 2016


Weiterführende Literatur:

A. Schüller / M. Dumont: Die erfolgreiche Arztpraxis. Heidelberg: Springer, 2. Auflage, 2006

T. Heisig / A. Wittwer: Emotionen bei Veränderungen in Wirtschaftspsychologie aktuell 1/2017



* In diesem Text wurde aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur von Praxisinhabern geschrieben, selbstverständlich sind Praxisinhaberinnen mit eingeschlossen.


Autorin:
Kommunikationstrainerin, BusinessCoach, Mediatorin
40883 Ratingen
www.petrakorioth.de

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (2) Seite 73-75
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.