„Schwierige“ Patienten Die richtige Rolle wählen

Praxisführung Autor: C. Beneker

Sogenannte „schwierige“ Patienten sind die ungeliebten Kinder jeder Arztpraxis. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber eigentlich gar keine schwierigen Patienten. Sehr wohl kann es allerdings im Praxisalltag zu schwierigen Gesprächen, komplizierten Begegnungen und verkorksten Situationen kommen. Wir wollen Sie ermutigen, solche Situationen etwas differenzierter unter die Lupe zu nehmen, um sie freier gestalten zu können.

Weder gibt es die schwierigen Patienten noch die ultimative Zehn-Punkte-Liste zum erfolgreichen Umgang mit schwierigen Begegnungen. Diese Liste, gäbe es sie, läge ja längst auf jedem Arztschreibtisch und das Problem des vermeintlich „schwierigen“ Patienten wäre gelöst. Aber jeder Hausarzt weiß, dass herausfordernde Begegnungen immer zum Praxisalltag gehören werden, und jede Ärztin, jeder Arzt ahnt zu Recht, dass es mit ein paar Tipps nicht getan ist.

Die Sache professionell angehen

Ein tieferes Verstehen misslingender Situationen und Know-how zu ihrer Bewältigung sind beides: Teil ärztlicher Professionalität und Weg innerer persönlicher Reifung. Nach und nach wird klarer werden, dass nicht „der Patient X“ oder die „Patientin Y“ an sich schwierig ist, sondern dass da im Behandlungszimmer ein Mensch auftaucht, den Sie als unangenehm, übergriffig, aggressiv oder überkritisch erleben. Nicht der Mensch ist schwierig, die Begegnung ist es. Gewiss, mit dieser Einsicht werden Sie aggressive Patienten nicht in Lämmerschwänze verwandeln. Aber damit Sie als Ärztin oder Arzt in solchen Fällen auch nicht das Handtuch werfen müssen, erfahren Sie in den nachfolgenden Absätzen einige Hintergründe zum Thema.

Menschen spielen Rollen

Zum Beispiel die Patientin Frau Y. Sie ist nicht immer und überall „schwierig“, sperrig und angriffslustig. Manchen Mitarbeiterinnen in der Praxis fällt dieser vermeintliche Wesenszug noch nicht einmal auf. „Wieso schwierig? Frau Y ist doch ganz normal! Ich komme gut mir ihr aus.“

Diese unterschiedliche Einschätzung rührt daher, dass Frau Y – wie jeder Mensch – in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Rollen spielt. Die unter Umständen aggressive Patientin ist auch eine geduldige Mutter, eine vergnügte Kegelschwester im Sportverein und eine zuverlässige Mitarbeiterin im Büro. Aber eben in der Begegnung mit dem Arzt ist sie anders, eben „schwierig“. So mag sie sich den MFAs schwesterlich verbunden fühlen, aber dem Herrn Doktor gegenüber will sie zeigen, was sie von Autoritäten hält – nämlich gar nichts. Entsprechend unterschiedlich verhält sie sich: An der Anmeldung ist sie fröhlich und offen, im Sprechzimmer diskutiert sie lange und zäh jede Therapieempfehlung. Kurz: andere Bühne – andere Rolle. Nun sind an diesen beiden so verschiedenen Situationen wie gesagt immer mindestens zwei Personen beteiligt: die Dialogpartner. Ein Arzt wird seine Gesprächspartnerin in der verfahrenen Situation nicht einfach ändern können. Sie ist, wie sie ist. Aber er kann sein eigenes Verhalten variieren.

Jeder Arzt wird sicher sein Rollenmuster haben, nach dem er gewöhnlich greift, wenn ein Patient ihm „schräg“ kommt: ärgerlich, ratlos, abweisend oder vielleicht überfreundlich. Doch er kann auch entscheiden, ob er auf der Bühne des schwierigen Gesprächs vielleicht eine andere Rolle wählt als die gewohnte.

Wenn Sie in problematischen Konsultationen eine neue Rolle wählen, machen Sie Ihrem Patienten unter Umständen sogar den Weg frei, sich selber anders verhalten zu können als „schwierig“. Denn „wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“

Stichwort „Stimmigkeit“

Wann ist eine Reaktion auf übergriffige, sture oder wütende Patienten „stimmig“? Die Antwort des Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun lautet: Stimmig ist ein Verhalten, wenn es sowohl der Situation angemessen ist als auch authentisch zur Ärztin/zum Arzt passt. Also: Worum geht es gerade im Sprechzimmer? Wie ist meine Beziehung zum Patienten? Was muss der Patient wissen? Aber das Oberhaupt des inneren Teams schaut auch nach innen: Was brauche ich jetzt? Welche Gedanken, Impulse und Absichten melden sich? Von Thun formuliert: „Wie kann ich kommunizieren angesichts dessen, wie die Situation konstruiert ist und was sie mir in meiner Rolle abverlangt, sowie angesichts dessen, was sich in mir regt und wofür ich stehe?“ Die Frage muss sich das Oberhaupt, der innere Chef des inneren Teams, stellen und mit den verschiedenen Teammitgliedern in einer inneren Konferenz beraten. Von Thun nennt das innere Team deshalb unter anderem ein „Instrument zur Selbstklärung“. Funktioniert es, so erleben Patienten einen Arzt/eine Ärztin, der oder die in Übereinstimmung mit sich selbst, also „stimmig“ agiert und reagiert.

Das „innere Team“

Schauen wir etwas genauer hin. Bei jeder Begegnung gibt es nicht nur äußere Gesprächspartner, sondern bei den Beteiligten auch innere Wortmeldungen, umso mehr bei schwierigen oder verstimmenden Zusammentreffen im Sprechzimmer. Da Patienten kaum zu ändern sind, sollten Ärzte bei schwierigen Begegnungen das eigene Verhalten wägen.

Während des Gesprächs mit Frau Y werden sich beim Arzt mehrere „innere Ratgeber“ melden: zum Beispiel der „Diplomat“, der „Helfer“, der „Patientinnenversteher“ oder der „sachliche Mediziner“, der „Entnervte“ und so weiter. Und jede dieser inneren Figuren gibt seinen Kommentar: „Jetzt zeig‘ Frau Y mal‚ wo der Hammer hängt: Schmeiß‘ sie raus!“, poltert der Entnervte. „Diskutiere es mit ihr aus, egal, wie lange es dauert“, empfiehlt der Diplomat. „Hör weg und hoffe das Beste!“, erklärt der Ermüdete. „Ein bisschen ‚Halbgott in Weiß‘ kann auch nicht schaden“, rät schließlich der Traditionalist im Arzt, und so weiter. Diese Stimmen sind natürlich nicht zu hören, sondern kommen als Impuls, als „unbestimmtes Gefühl“ oder penetranter Gedanke daher.

Solche oft auseinanderstrebenden Verhaltenstipps sind eine bereichernde innere Vielfalt, wenn man sie zu nutzen weiß. Der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun hat für die Ansammlung dieser Muster den treffenden Namen „inneres Team“ gefunden (siehe Kasten).

Nun ist es eine Frage der inneren Autorität des Arztes, sich von den verschiedenen Stimmen nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, sondern sie als Berater zu begrüßen. Hier ist die Kunst gefragt, sich selber zuzuhören und streng parteilos zu bleiben. Erst dann kann er als Chef des inneren Ensembles ausgewogen entscheiden: Wie will ich Frau Y begegnen? Welche Alternativen zu meinen sonstigen Verhaltensmustern passen sowohl zur Arzt-Patienten-Situation im Sprechzimmer als auch zur inneren Befindlichkeit? Am Schluss kann der Arzt eine abgestimmte Entscheidung treffen. Vielleicht wird er der überkritischen Frau Y – wenn gar nichts mehr geht – eine Kollegin, einen Kollegen empfehlen? Oder er schafft eine Atmosphäre entwaffnenden Humors? Oder, oder …

Natürlich lässt sich die Arbeit mit dem inneren Team nicht kurzerhand in den Praxisalltag verpflanzen. Das Werkzeug „inneres Team“ braucht Engagement für die Sache. Aber der Ertrag ist groß. Sicher finden Sie in Ihrer Umgebung entsprechende Seminare.

Buchempfehlungen zum Thema

  • „Der schwierige Patient“ von Gert Kowarowsky, Kohlhammer Verlag, 2. überarbeitete Auflage, Stuttgart 2011.
  • „Miteinander reden 3, Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation“, von Friedemann Schulz von Thun, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1999.

Autor:
Christian Beneker
28211 Bremen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 354 (7) Seite 22-23
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.