Barcamp für Ärzt:innen Digitalisierung: Eine Hilfe – oder nur problembeladen?

Praxisführung Autor: Redaktion

© Kirchheim

Durch die Corona-Pandemie sind Fragen zur digitalen Transformation in der Praxis drängender geworden. Eine gute Plattform für einen Austausch auf Augenhöhe bot das erste Barcamp für Ärzt:innen zu diesem Thema, das Ende November (passend zum gerade erschienenen PraxisBarometer Digitalisierung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung) als Pionier-Veranstaltung in diesem Sektor virtuell stattgefunden hat. Gastgeber des Barcamps war der Kirchheim-Verlag, unterstützt wurde es von der Berlin-Chemie AG.

"Es wächst, es wächst, es wächst, es wird also zunehmend mehr digitalisiert. Einmal ist es gesetzliche Vorgabe, da entsteht ein bisschen Druck, aber auch viele Praxen erkennen den Nutzen von Digitalisierung. Aber es ist fast trivial zu sagen, nur wenn der Nutzen kommt, dann wird Digitalisierung auch als Verbesserung empfunden und auch schnell eingeführt. Daran hapert es noch ein bisschen, an dem Nutzen."

Dieses Zitat von Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der sich in einem Interview (als Video und Text auf kbv.de) zum PraxisBarometer Digitalisierung 2020 äußerte, fasst genau die Stimmung der Ärzt:innen zusammen, die sich in den virtuellen Räumen des Barcamps Diabetologie Digital über die Chancen und Hemmnisse der Digitalisierung in ihrer Praxis ausgetauscht haben. Zu Beginn des Barcamps hatten die Teilnehmer:innen die für sie interessanten Themen selbst festgelegt. Während der Diskussionsrunden (Sessions) wurden Wissen und Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsam über Problemlösungen nachgedacht – gemäß dem Grundsatz, dass aus Teilnehmer:innen während eines Barcamps Teilgeber:innen werden.

Die Teilnehmer:innen und -geber:innen des Barcamps waren überwiegend niedergelassene Diabetolog:innen, die durch die vielen digitalen Devices in der Diabetestherapie schon lange nicht mehr ohne digitale Kenntnisse auskommen. Und so ist die Diabetologie zwar durchaus eine digitale Vorreiterin – aber trotzdem ist die Digitalisierung mitnichten ein Selbstläufer. Wie sehr viele Praxisinhaber:innen kämpfen auch die Teilnehmer:innen des Barcamps mit den Herausforderungen und Unzulänglichkeiten der neuen Technologien.

Heiß diskutiert: Kosten und Technik

Großen Diskussionsbedarf unter den Teilnehmer:innen gab es zu den Kosten und der Technik der Digitalisierung: Sich um die Technik zu kümmern, entwickele sich in der Praxis zu einem Arbeitsfeld, das immer mehr Aufmerksamkeit beanspruche und auch oft Probleme verursache (z. B. mit der Telematikinfrastruktur). "Wir haben am Freitagnachmittag keinen Praxisbetrieb mehr, sondern kümmern uns dann ausschließlich um EDV-Probleme und Updates", berichtete der Inhaber einer diabetologischen Schwerpunktpraxis. Einige Ärzt:innen in dieser Session würden gerne einen Netzwerkadministrator engagieren – "aber das ist kaum bezahlbar".

INFO - Was ist ein Barcamp?

  • Ein Barcamp ist keine typische Konferenz, sondern ein offenes Veranstaltungsformat. Austausch und Diskussion stehen im Vordergrund; alle Teilnehmer:innen können und sollten sich einbringen.
  • Das Wort "Bar" kommt aus der IT-Sprache, steht für "Variable" und gibt einen Hinweis auf das Konzept: Das Programm des Barcamps wird von den Teilnehmer:innen selbst und variabel gestaltet. Sessions heißen die Diskussionsrunden und Workshops.
  • Vorgegeben ist nur das übergreifende Thema, über dessen viele Facetten sich die Teilnehmer:innen auf Augenhöhe austauschen.

Dazu passt ein Ergebnis aus dem PraxisBarometer Digitalisierung 2020 (Grundlage: eine Befragung unter knapp 2.200 vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Praxen): "Aus Sicht der Ärzte und Psychotherapeuten sind Umstellungsaufwand (d. h. Kosten, Informations- und Schulungsaufwand, Zeitbedarf), Sicherheitslücken in den EDV-Systemen, ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis sowie die Fehleranfälligkeit der Systeme die größten Hemmnisse der Digitalisierung." Ist also die Technik in der Praxis ein reines Ärgernis? Das nun auf keinen Fall, meinten die Ärzt:innen im Barcamp: Es gebe viele innovative und gute digitale Neuerungen, aber wie sie dann in der Praxis implementiert und dauerhaft genutzt werden können, sei oft nicht klar.

Digitale Tools: Hilfreich, aber oft nicht nutzbar

Noch konkreter wurde es in der Session "Der eArztbrief und andere digitale Praxis-Tools". Noch könne kein eArztbrief versendet werden; die Technik sei eingerichtet, aber noch nicht nutzbar. Ein weiteres noch recht neues Tool ist der elektronische Medikationsplan – eigentlich eine tolle Sache, aber das Erstellen/Pflegen sei zeitaufwendig, so die Teilnehmer:innen. Auch in dieser Session wurde das Fazit gezogen: Viele neue Techniken sind zwar sinnvoll und haben das Potenzial, Prozesse im Praxisalltag zu erleichtern, stecken aber noch sehr in den Kinderschuhen und müssen noch in der Praxis erprobt werden und sich etablieren.

Datenschutz und IT-Sicherheit

Hinter der Einführung neuer digitaler Technik steht immer die Frage, ob hinsichtlich des Datenschutzes Rechtssicherheit besteht – ein Thema, das viele Barcamp-Teilnehmer:innen sehr beschäftigt; die fehlende Rechtssicherheit sei für Praxen rechtlich und finanziell oft existenzgefährdend. Die Unsicherheit in diesem Bereich ist groß.

Was kann die Lösung sein? Nach Meinung der Teilnehmer:innen kann die Ärzteschaft nicht noch die Rolle der Datenschutzbeauftragten übernehmen. Bis es eine rechtliche Lösung gibt, müssen Offline-Lösungen angeboten werden, hieß es in der Runde.

Informationen zur Digitalisierung

Ein weiteres Thema in den Sessions war die Frage, wie Ärzt:innen an zuverlässige und aktuelle Informationen rund um die Digitalisierung in der Praxis gelangen. Man sucht sich derzeit die Informationen selbst zusammen. Die Teilnehmer:innen wünschten sich stattdessen eine Anlaufstelle/Plattform für Ärzt:innen mit allen nötigen Informationen, auch ein Leitfaden für den Start ins Digitale sei sinnvoll.

Am Ende dieses ersten (Pionier-) Barcamps Diabetologie Digital waren sich alle einig: Es werden viele (scheinbar) innovative digitale Neuerungen eingeführt – aber die Wurzel des Problems wird oft übersehen. Durch den konstruktiven kollegialen Austausch – wie während des Barcamps – und viel eigenes Engagement kann nicht alles aufgefangen werden. Hier ist die Politik gefordert, eine bessere Basis für Ärzt:innen zu schaffen. Dazu passend noch einmal Dr. Thomas Kriedel von der KBV: "Die Ärzte wissen, dass die Digitalisierung kommt. Sie verstehen auch, dass es notwendig ist, sie sehen auch die Vorteile. Sie sind aber unzufrieden mit dem bisherigen Ausbaustand. (…) Der Nutzen ist noch nicht angekommen." (re) |

Quelle:
PraxisBarometer Digitalisierung 2020 – Stand und Perspektiven der Digitalisierung in der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung; Autoren: Martin Albrecht, Marcus Otten, Monika Sander, Ender Temizdemir, mit Unterstützung von Wiebke Wichtrup. Ergebnisbericht für die Kassenärztliche Bundesvereinigung, abrufbar unter www.kbv.de/media/sp/IGES_KBV_PraxisBarometer_2020.pdf


Redaktion

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (1) Seite 58-59
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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