Drohender Haftungsfall Dokumentieren, kommunizieren, informieren

Praxisführung Autor: R. Günter

© Coloures-Pic - Fotolia

Schadenersatzforderungen gegen Ärzte wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Behandlungsfehler nehmen nach wie vor zu, das aus solchen Klagen erwachsende Risiko ist nicht zu unterschätzen. Richtiges Verhalten nach einem Behandlungszwischenfall kann die Folgen eingrenzen.

Kein Arzt, und sei er noch so gewissenhaft, ist davor gefeit, dass eine Behandlung anders verläuft als geplant und die Sache vor Gericht endet. Zwei Fälle aus dem Bereich der Allgemeinmedizin verdeutlichen das Haftungsrisiko. Das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG R 2003, 92) hatte über die Klage eines Patienten gegen einen niedergelassenen Allgemeinmediziner zu entscheiden, der grob fehlerhaft eine Meningoenzephalitis nicht erkannt und stattdessen eine Grippe mit Verwirrtheitszustand diagnostiziert hatte. Der Patient musste stationär in der Neurologie behandelt werden, hatte Lähmungssymptome und Sprachschwierigkeiten, erlitt jedoch keine bleibenden Folgen. Nachdem die Klage in der ersten Instanz erfolglos geblieben war, sprach das Oberlandesgericht dem Patienten ein Schmerzensgeld in Höhe von 8 000 Euro zu. Einen Behandlungsfehler verneint hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (NJW-RR 1996, 669) dagegen im folgenden Fall: Ein Allgemeinmediziner hatte einen Patienten mit starken Rückenschmerzen, deren Ursache für ihn nicht festzustellen war, mehrfach Fachärzten (Radiologen bzw. Orthopäden) vorgestellt, die schließlich zur Diagnose eines Bandscheibenvorfalls in der Lage waren. Das Schadenersatzbegehren des Patienten wegen einer nicht rechtzeitig erstellten Diagnose verwarf das Gericht als unbegründet.

Schadensbegrenzung

Auch wenn dieser Fall glimpflich ausging, ist es wichtig zu wissen, wie man sich nach einem Behandlungszwischenfall gegenüber dem Patienten oder dessen Angehörigen verhalten sollte. Zunächst sollte der Arzt versuchen, den drohenden Schaden noch abzuwenden oder einen bereits entstandenen zu beheben oder zu mindern. Dazu ist er unter dem rechtlichen Aspekt der Schadensminderungspflicht auch verpflichtet. Auch die ordnungsgemäße Weiterbehandlung des Patienten muss gewährleistet werden. Dies beinhaltet auch die Information der mit- und nachbehandelnden Ärzte über die erhobenen Befunde und die aufgetretenen Komplikationen.

Persönliches Gedächtnisprotokoll

Da sich rechtliche Auseinandersetzungen in Arzthaftungsfällen regelmäßig über lange Zeiträume erstrecken, empfiehlt sich die Erstellung eines ausführlichen Gedächtnisprotokolls. Es handelt sich hierbei nicht um einen Teil der Patientendokumentation, sondern um Notizen des betroffenen Arztes zum Zwischenfall als Gedächtnisstütze und zur ausschließlich persönlichen Verwendung.

Jedes Detail des fraglichen Geschehens sollte in dieses Protokoll aufgenommen werden (z. B. Angaben zum Behandlungsverlauf, handelnde Personen, Auftreten der Komplikation, weitere Behandlungsmaßnahmen). Das Protokoll muss an einem sicheren Ort aufbewahrt werden, da es ansonsten in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beschlagnahmt werden könnte. Eine Aufbewahrung des Protokolls bei den Krankenunterlagen verbietet sich deshalb.

Krankendokumentation

Es kann erforderlich werden, Nachträge in den Krankenunterlagen vorzunehmen, etwa wenn im Rahmen eines Notfalls eine sofortige Dokumentation nicht möglich war oder wenn zunächst vergessen wurde, aufzeichnungspflichtige Umstände zu dokumentieren. Selbstverständlich muss der Anschein einer Urkundenfälschung vermieden werden. Nachträge sind deshalb als solche kenntlich zu machen. Der Gesetzgeber hat dies durch das Patientenrechtegesetz nunmehr auch ausdrücklich geregelt. Danach sind Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies gilt auch für elektronisch geführte Patientenakten (§ 630 f BGB). Die Krankendokumentation sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt vollständig und leserlich fotokopiert werden. Von Röntgenaufnahmen sind Duplikate anzufertigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach einer Anzeigeerstattung und Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens die Krankenunterlagen regelmäßig aufgrund richterlicher Anordnung komplett beschlagnahmt werden. Im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens kann der Arzt Akteneinsicht in die Krankenunterlagen dann nur über seinen Rechtsanwalt als Verteidiger erhalten. Dies kann erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Wenn vor der Beschlagnahme keine Kopien der Unterlagen gefertigt wurden, steht somit eine wichtige Informationsquelle für die Verteidigung des Arztes zunächst nicht mehr zur Verfügung. Falls vor der Beschlagnahme der Krankenunterlagen diese noch nicht kopiert worden sind, sollte gegenüber den Ermittlungsbeamten der Polizei die Bitte geäußert werden, diese noch kopieren zu dürfen. Dieser Bitte wird häufig entsprochen. Auch der Patient hat Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen, der zweckmäßigerweise durch Überlassung eines vollständigen Satzes Kopien – ggf. gegen Erstattung der Kopierkosten – erfüllt werden sollte. Originalunterlagen sollten grundsätzlich nicht herausgegeben werden.

Gespräch mit Patient oder Angehörigen

Durch ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Patienten oder seinen Angehörigen kann oft ein Rechtsstreit oder zumindest die Erstattung einer Strafanzeige vermieden werden. In dem Gespräch kann dem Patienten vielleicht verständlich gemacht werden, warum die Nichterreichung des Behandlungsziels schicksalhaft war, oder verdeutlicht werden, wie sich ein Risiko der Behandlung, das schon im Rahmen der Aufklärung angesprochen wurde, praktisch realisiert hat. Zu dem Gespräch, welches sorgfältig vorbereitet werden muss, sollte der Arzt schon aus Beweisgründen einen Zeugen hinzuziehen und den Gesprächsinhalt anschließend dokumentieren. Diese Notiz ist wiederum zu den persönlichen Unterlagen (nicht zu den Krankenunterlagen) zu nehmen und muss vor dem Zugriff Dritter sicher aufbewahrt werden. Inhalt des Gespräches sollten ausschließlich der medizinische Sachverhalt und der tatsächliche Ablauf der Behandlung sein. Dagegen sind Spekulationen, Vermutungen sowie rechtliche Schlussfolgerungen ebenso zu vermeiden wie wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen. Der Arzt gefährdet seinen Versicherungsschutz nicht durch zutreffende tatsächliche Angaben. Ein Schuldanerkenntnis sollte er jedoch keinesfalls abgeben.

Meldung an Haftpflichtversicherer

Jedes Schadensereignis, aus dem sich Haftpflichtansprüche ergeben könnten, muss unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, schriftlich dem Haftpflichtversicherer gemeldet werden. Ansonsten gefährdet der Arzt seinen Versicherungsschutz. Er darf also nicht abwarten, bis ihm ein förmliches Anspruchsschreiben des Patienten oder gar eine gerichtliche Klage zugehen. Vielmehr ist entscheidend, ob konkrete Anhaltspunkte für die etwaige Erhebung von Schadenersatzansprüchen gegeben sind. Der Versicherungsschutz sollte insbesondere im Hinblick auf ausreichende Deckungssummen routinemäßig überprüft werden.

Rechtsanwalt hinzuziehen

Wird ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Arzt eröffnet, geht es um einen persönlichen Schuldvorwurf und eine Vorstrafe mit gravierenden, möglicherweise sogar die berufliche Existenz bedrohenden Folgen. Hier kann nur dringend geraten werden, spätestens nach der Mitteilung, man sei Beschuldigter im Ermittlungsverfahren, keine Angaben zur Sache zu machen und einen Rechtsanwalt als Verteidiger zu beauftragen. Dieser Schritt sollte möglichst früh erfolgen, damit der Rechtsanwalt Einfluss auf den Verfahrensgang nehmen kann. Er ist schon deshalb unabdingbar, weil ein Arzt, der sich selbst in einem Ermittlungsverfahren verteidigt, keine Akteneinsicht erhält, die zu einer angemessenen Verteidigung unbedingt erforderlich ist. Nach Akteneinsicht, Prüfung und Besprechung des Sachverhaltes mit dem Arzt sollte der Rechtsanwalt für diesen eine schriftliche Einlassung zur Sache gegenüber der Staatsanwaltschaft abgeben. Oberstes Ziel muss es sein, das Strafverfahren bereits im Stadium des Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft zu erledigen, damit zumindest die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung mit der damit verbundenen Rufschädigung durch eine negative Medienberichterstattung vermieden wird.

Dem beschuldigten Arzt ist zu empfehlen, mit seiner Verteidigung einen Fachanwalt für Medizinrecht oder einen anderen mit den Besonderheiten des Arztstrafverfahrens vertrauten Rechtsanwalt zu beauftragen, damit gewährleistet ist, dass dieses Ziel mit Nachdruck angestrebt wird. Der „typische“ Strafverteidiger legt den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die öffentliche Hauptverhandlung. Hiermit ist dem Arzt – wie vorerwähnt – keinesfalls gedient.

Diese Verhaltenstipps sind nicht als starre Regeln zu verstehen, sondern stellen vielfach erprobte und in der Praxis bewährte Empfehlungen dar. Das Verhalten nach einem Behandlungszwischenfall ist jedoch stets auf die Erfordernisse des Einzelfalls abzustimmen, sodass sich Modifizierungen der Hinweise je nach Sachlage ergeben können. ▪

Wenn ein Haftungsfall droht:

  • keinesfalls eine „Mauer des Schweigens“ gegenüber dem Patienten oder seinen Angehörigen errichten
  • nachträgliche Ergänzungen der Krankenunterlagen kenntlich machen
  • ein Gedächtnisprotokoll anfertigen
  • das Gedächtnisprotokoll getrennt von den Krankenunterlagen sicher aufbewahren
  • die Krankenunterlagen kopieren
  • ein Gespräch mit dem Patienten bzw. seinen Angehörigen nur mit Zeugen führen und die Gesprächsinhalte dokumentieren
  • den Haftpflichtversicherer unverzüglich informieren
  • im Ermittlungsverfahren sofort einen versierten Rechtsanwalt hinzuziehen
Kontakt
Rechtsanwalt Rudolf Günter
Fachanwalt für Medizinrecht
WOTAXlaw
52070 Aachen
r.guenter@wotax.de
www.wotaxlaw.de

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (6) Seite 26-29
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.