Blutdruck-Telemonitoring Ein effizientes Instrument für den Hausarzt?

Praxisführung Autor: Egbert G. Schulz, Claas Lennart Neumann

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Die digitalen Lösungen in der Medizin liegen zurzeit noch hinter ihren Möglichkeiten. Aktuell sind telemedizinische Ansätze meist ohne langfristige Bedeutung für die medizinische Patientenversorgung – und weit entfernt von einer nationalen Standardisierung. Wie die Telemedizin mithilfe von innovativer Technik für alle Beteiligten sinnvoll und sicher genutzt werden kann, zeigt ein Programm zum Blutdruck-Telemonitoring bei Hypertonie-Patienten.

Für die Indikation Hypertonie gibt es bereits diverse digitale Programme, die sich primär auf das Patienten-Selbstmanagement fokussieren – aus medizinischer und sozioökonomischer Sicht sind diese bislang allerdings nicht von Erfolg gekrönt. Für den Einsatz bei Hypertonie-Patienten hat sich aber eine spezielle Form der telemedizinischen Anwendung erprobt: das interventionelle dezentrale Telemonitoring (idTM®). Hier stehen die anwendenden Mediziner, das therapeutische Vorgehen sowie die Arzt-Patienten-Beziehung im Mittelpunkt. idTM® wird eingesetzt auf einem eindeutig identifizierten Indikationsgebiet, wie hier der Hypertonie, bei dem der zu analysierende Parameter, die Benachrichtigungsregeln und Interventionsalgorithmen detailliert definiert werden. Das Programm kommt erst nach seriöser Kosten-Nutzen- und Machbarkeitsanalyse zum Einsatz (EDiMed-Projekt).


idTM® belastet hierbei nicht die Praxis-Ressourcen (Zeit, Mitarbeiter, Budget), sondern soll den täglichen Praxisablauf optimieren durch:

  • kürzere Praxisverweildauer
  • kürzeren Arztkontakt
  • kürzere Wartezeit
  • vergleichbar geringeren Zeitaufwand des Praxispersonals
  • größere Arztbindung, mehr Vertrauen

Die Methode ist bequem und zuverlässig zugleich. Der Patient muss für die Übermittlung seiner Daten nicht aktiv werden und selbst bei älteren Menschen, die mit den modernen Technologien nicht vertraut sind, erhält das Praxispersonal zuverlässige und authentische Daten für die Therapie (Abb. 1).

Wie funktioniert die Datenübertragung?

Der Ablauf des Telemonitorings ist für den Arzt und vor allem den Patienten sehr eindeutig (s. Kasten), doch was passiert "hinter den Kulissen"? Bei der Übergabe eines Telemetrie-Gerätes an den Patienten werden die Daten der Patientenakte aus der Praxissoftware an ein zentrales Datenbanksystem gesendet, und zwar gemeinsam mit der Seriennummer des ausgegebenen Gerätes. Die Datenübertragung erfolgt verschlüsselt über eine abgesicherte Leitung.

Ablauf des Blutdruck-Telemonitorings


Phase 1: Beratung – Der behandelnde Arzt, der den Krankheitsstatus des individuellen Patienten kennt, berät sich mit ihm und informiert über das Verfahren.


Phase 2: Verschreibung und Initialisierung– Der Arzt verordnet eine idTM®-Behandlung und der Patient erhält eine telemetrische Blutdruckeinheit. Der Arzt aktualisiert die Patientenakte in seinem klinischen Reporting-System (CRS). Das System stellt einen Prozess mit einer externen Patienten-ID unter Verknüpfung der Geräte-Seriennummer und der Fallakte in anonymisierter Form her.


Phase 3: Telemonitoring und Intervention – Der Patient misst zweimal täglich seinen Blutdruck, der Arzt erhält eine Status-Nachricht, wenn die Daten außerhalb des Bereichs liegen, und reagiert entsprechend (Interaktion, z. B. telefonisch, und Dosisanpassung).


Phase 4: Erneute Wiedervorstellung (nach 8 Wochen)– Nach der Überwachungs- und Titrationsphase sieht der Arzt seinen Patienten erneut (physischer Status, Labordaten etc.), ggf. erfolgt eine Medikamentenanpassung. Der Patient geht optimal antihypertensiv behandelt in die weitere Regelversorgung

Das Messgerät wird vom Patienten genutzt, um die vom behandelnden Arzt vorgegebenen Messungen durchzuführen, in diesem Fall die Blutdruckmessung. Die Messdaten werden dann automatisch an die zentrale Datenbank gesendet. Dabei wird die Seriennummer des Gerätes als Zuordnungskriterium mit übertragen. Bei der Übernahme der Daten in den zugehörigen Datenbereich des Patienten werden die Messdaten mit Grenzwerten verglichen, die vom behandelnden Arzt vorher festgelegt wurden. Werden die Grenzwerte über- oder unterschritten, wird dies innerhalb des Praxisverwaltungssystems kenntlich gemacht und wenn gewünscht eine anonyme Status-Meldung z. B. per E-Mail an den behandelnden Arzt ausgelöst.

Der medizinische Nutzen und die Wirtschaftlichkeit sind belegt, wenn das System nach dem folgenden, zeitlich klar begrenzten und etablierten Plan durchgeführt wird:

  • 8 Wochen idTM® (tägliche RR-Messung morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Zubettgehen)
  • Erfolgskontrolle: Durchschnittswert erste Woche gegen Durchschnittswert letzte Woche; Ziel < 135/85 mmHg
  • Blutdruckkontrolle mittels idTM® nach einem Jahr
  • Zwischenzeitlich nutzt der Patient das Blutdruckmessgerät für eine standardisierte RR-Eigenmessung ohne Telemonitoring (7 Tage/Quartal morgens und abends)
  • Ambulante Praxiskonsultation: zum Start/Ende des Monitorings, ohne Komorbiditäten 1 x/Jahr, mit Komorbiditäten 2–4 x/Jahr

Welche Patienten sind für idTM® geeignet?

IdTM® dient der Diagnosesicherung, der Therapieoptimierung sowie der Behandlungskontrolle. Folgende Patienten-Gruppen können entsprechend den europäischen Guidelines und nach wissenschaftlicher Datenlage einer idTM®-Intervention zugeführt werden:

  • behandelte Hypertonie
  • Blutdruck in der Praxis > 140/90 mmHg
  • familiäres Erkrankungsrisiko (Hypertoniefall in der Familie)
  • hypertensive ABDM (24-h-Blutdruckmessung): nicht optimale Therapie?
  • hypotensive ABDM (24-h-Blutdruckmessung): Übertherapie?
  • nach vaskulärem Ereignis poststationär (Myokardinfarkt, Apoplex, neue Dialysepflichtigkeit)
  • nach interventioneller antihypertensiver Therapie (Dilatation einer Nierenarterienstenose, CPAP-Maske bei OSAS, Baroreflexstimulation etc.)

Technischer Hintergrund

Eine spezielle Server-Plattform (SciTIM®) ermöglicht eine multidirektionale Datenkommunikation, wobei keinerlei personifizierte Patientendaten die elektronische Patientenakte der anwendenden Praxis verlassen. Die telemedizinisch anonymisiert erhobenen Daten in der elektronischen Patientenakte werden anhand der Tele-Sensor-Kennung des Blutdruckmessgerätes wieder mit der Patientenidentifikation (Name, Geburtsjahr etc.) zusammengeführt. So wird der Praxis ermöglicht, in der Patientenakte bzw. dem jeweils etablierten lokalen Praxisverwaltungssystem mit den telemetrischen Daten zu arbeiten. Die Plattform ist als offene IT-Architektur konzipiert, die verwendeten Datenaustauschformate und Schnittstellen wurden auf Basis international gültiger Standards definiert. Damit ist die Plattform beliebig erweiterbar, so dass auch andere Krankheitsbilder telemedizinisch beobachtet werden können. Für die verwendeten Schnittstellen liegen Guidelines vor, die die Integration verschiedenster Systeme vereinfachen und die Einstiegskosten auf ein Minimum begrenzen. Eine Anbindung weiterer Praxis-Systeme ist jederzeit kurzfristig möglich und geplant. Die Plattform ist so offen konzipiert, dass auch Sensoren anderer Hersteller schnell und günstig in die Plattform integriert werden können.

Datenschutz

Die eingesetzten Systeme erfüllen alle Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicherheit beim Umgang mit telemetrischen Daten. Alle Daten sind in vollem Umfang gegen Verlust, Manipulationen, den Zugriff Unbefugter und andere Bedrohungen gesichert. Durch die Anonymisierung der Patientendaten auf der Plattform ist ein höchstes Maß an Schutz für die Privatsphäre und gegen den Missbrauch personenbezogener Daten gewährleistet. Ein separates Authentifizierungssystem, welches den höchsten technischen Anforderungen genügt, stellt sicher, dass nur autorisierte Personen Zugriff haben, und verhindert den Zugang durch unbefugte Dritte.

Kosten und Einnahmen

Je nach Hard- und Softwarevoraussetzungen kann man SciTIM® bereits ab einer monatlichen Basis-Lizenz von 79,00 € pro Praxis und 49,00 € pro Messgerät nutzen. Dem gegenüber stehen mögliche Einnahmen zwischen 190,00 und 200,00 € pro Monat und Patient, die private Krankenversicherer und Beihilfestellen bereit sind zu liquidieren.

Wer steckt dahinter?

Die TIM UG (Telemonitoring Interventions in Medicine) ist Spezialist auf dem Gebiet der Telemedizin-Anwendung und Software-Lösungen in der Praxis und der Wissenschaft. Besteht der Wunsch, idTM® in der eigenen Praxis oder Klinik anzuwenden, ist die TIM UG der Ansprechpartner für die Realisierung. Sie organisiert die Schnittstellenrealisierung zu den jeweiligen bereits etablierten Praxisverwaltungssystemen. Ebenso sorgt die TIM UG für die Versorgung mit Telemedizin-tauglichen Messgeräten (z. B. Blutdruckmessgeräte, Waagen). TIM übernimmt ebenfalls die Schulung von telemedizinisch tätigen Ärzten wie auch des Praxispersonals.

Literatur:

Neumann CL, Schulz EG, Therapeutische Umschau 72(9): 587-591

Schulz EG et al., Swiss Medical Weekly 14; 145:w14077

Schulz EG, Neumann CL, Kidney and Blood Pressure Research, 2015

Neumann CL et al., Telemed J E Health; 21(3):145-50. doi: 10.1089/tmj.2014.0058 Jahr

Neumann CL, Schulz EG, PRAXIS, Schweizerische Rundschau für Medizin, 2014;103 (9): 519–526

Neumann CL et al., Telemed J E Health, 19(6):480-6. doi: 10.1089/tmj.2012.0188. Jahr

Brockes C et al., Journal für Hypertonie, 2013, 17 (1) Seite

Neumann CL et al., Journal of Human Hypertension, 25 (12): Seite

Schulz EG et a., PRAXIS, Schweizerische Rundschau für Medizin 2009, 98 (10): 527–533

Schulz EG et al., Niedersächsisches Ärzteblatt 2014; 05: 48-51

Realistische Ziele- Neue europäische Leitlinien zur Hypertonie-Behandlung: Ein Zielwert für alle Erwachsenen – "the lower the better" – ist Geschichte! Kinder rücken in den Fokus

Schulz EG et al., Niedersächsisches Ärzteblatt, 1/2014 Seiteund aushgabe

Stahmann A, Soltani N, Schwanke S, Neumann CL, Olschewski D, Schulz EG, Rienhoff O; Der Einfluss von Datenschutz und Datensicherheit auf die Rekombinierbarkeit von Prozessen bei telemedizinischen Dienstleistungen in Deutschland – Effizienzbewertung von Dienstleistungskonfigurationen in der Telemedizin (EDiMed); Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Verlag), ISBN: 978-3-658- 04085-7

Schulz EG et al., Dialyse Aktuell; 2010, 14 (2): 88–9611:

Gewicht- und Blutdruck-Telemonitoring bei Hämodialysepatienten: Eine neue Strategie zur Optimierung der Hämodynamik und des Volumen-Managements.

Neumann CL, Wagner F, Fischer N, Weber MH, Schulz EG, Medreview, 2010 (12)

Middeke M, Schulz EG Goss, Middeke, Mengden und Smitek: Telemetrische Blutdruck- und Gewichtskontrolle in der Schwangerschaft; praktische Telemedizin in der Kardiologie und Hypertensiologie, Thieme-Verlag, 2009

Schulz EG, Wagner F, Goss, Middeke, Mengden und Smitek: Blutdruck- und Gewichts-Telemetrie bei Dialysepatienten; Praktische Telemedizin in der Kardiologie und Hypertensiologie, Thieme-Verlag, 2009

Autor:
Nephrologisches Zentrum Göttingen GbR
An der Lutter 24
D-37075 Göttingen

Dr. med. Claas Lennart Neumann
TIM Telemonitoring Interventions in Medicine UG
D-82049 Pullach im Isartal
www.tim-med.com

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (8) Seite 59-63
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Abb. 1:  Datentransfer: Wie sind Arztpraxis und Patient beim idTM® miteinander vernetzt? Abb. 1: Datentransfer: Wie sind Arztpraxis und Patient beim idTM® miteinander vernetzt?
Tab. 1: Blutdruck-Grenzwertregeln: Wann sollte der Arzt intervenieren? Tab. 1: Blutdruck-Grenzwertregeln: Wann sollte der Arzt intervenieren?