Lückenhaftes KV-Landesschreiben "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…"

Praxisführung Autor: Yvonne Schönfelder

Mit den regelmäßig erscheinenden Rundschreiben möchten die Landes-KVen ihre Ärzte über Neuigkeiten im KV-Gebiet und diverse Praxis-Themen informieren. Nachdem allerdings in einem Landesrundschreiben der KV Bremen über die Abrechnungsvoraussetzungen bei der psychosomatischen Grundversorgung wichtige Informationen zur Kodierung fehlten, wird in der Ärzteschaft Kritik geäußert. Unter anderem wird der Verdacht gehegt, es könne sich nicht um ein Versehen, sondern vielmehr um Taktik der KV handeln.

Unklare Herzbeschwerden, chronische Gastritis, wiederkehrende Atemnot – häufig werden in der Hausarztpraxis auf der Suche nach der Diagnose auch die psychosomatischen Zusammenhänge erfasst. Abgerechnet werden diese differenzialdiagnostischen Gespräche mit den GOPs zur psychosomatischen Grundversorgung 35100 (Differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände) bzw. 35110 (Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen). Um die Ziffern ansetzen zu können, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt werden. So darf z. B. die Leistung nur durch den Arzt, dem eine Genehmigung zur Abrechnung der psychosomatischen Grundversorgung vorliegen muss, persönlich erbracht werden und das Gespräch muss mindestens 15 Minuten dauern.

Da die Abrechnung dieser GOPs immer wieder Gegenstand von Beanstandungen und Plausibilitätsprüfungen ist, sollte in der diesjährigen Juli-Ausgabe des Rundschreibens der KV Bremen über die Details und Besonderheiten bei der Abrechnung informiert werden. Hierzu gehört auch die korrekte Kodierung, und hier sei, so lautet es in dem Rundschreiben, wenigstens eine Diagnose aus einer Auflistung von Indikationen notwendig – es folgte eine Liste mit Diagnosen aus dem ICD-Kapitel V (Psychische und Verhaltensstörungen), also die sogenannten F-Diagnosen.

Doch natürlich erweist sich nicht zwangsläufig jeder Verdacht auf einen psychosomatischen Zusammenhang als wahr, sodass nicht immer eine F-Diagnose das Ergebnis des Gesprächs ist. Sollte es nun tatsächlich stimmen, dass die GOPs in diesen Fällen aufgrund fehlender Abrechnungsbegründung nicht angesetzt werden können? Dies anzweifelnd, intervenierte der Landesvorsitzende des Hausärzteverbandes Bremen, Dr. med. Hans-Michael Mühlenfeld. Nachdem die KV den Sachverhalt zunächst mit der Psychotherapierichtlinie begründete, verlangte Mühlenfeld nach einem rechtsmittelfähigen Bescheid. Was folgte, war eine Klarstellung der KV Bremen: Die Liste der Indikationen in dem Rundschreiben sei nicht abschließend gewesen. Beim Ansetzen der GOPs 35100 und 35110 muss es sich also nicht zwangsläufig um eine F-Diagnose handeln. Konkret werden in der Klarstellung auch Indikationen aus dem R-Kapitel (Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind) und Z-Kapitel (Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen) genannt. Ebenso können Kodes, die die Symptome von körperlichen Beschwerden beschreiben, angegeben werden. Diese Klarstellung erschien auch im Landesrundschreiben vom September 2018.

Drei Kritikpunkte

So weit, so gut. In einem hausärztlichen Onlineforum werden allerdings drei Kritikpunkte laut: Zum einen gibt es die grundsätzliche inhaltliche Debatte darüber, dass durch den EBM eine Trennung psychischer und somatischer Diagnosen erzwungen wird, die vielen nicht mehr zeitgemäß erscheint. Daneben steht ein weiterer Punkt im Vordergrund, der sicherlich nicht nur auf die erwähnten GOPs zutrifft: Durch die restriktiven Diagnosemöglichkeiten bei der Kodierung besteht die Gefahr, dass zur Abrechnungsbegründung den Patienten falsche Diagnosen "angehängt" werden. Ein Vorgehen, das zur Stigmatisierung führen und im schlimmsten Fall erhebliche Folgen haben kann, wenn es z. B. für den Patienten darum geht, Berufsunfähigkeits- oder Lebensversicherungen abzuschließen, von Banken Finanzierungen bewilligt zu bekommen oder verbeamtet zu werden.

Neben dieser inhaltlichen Debatte vernimmt man unter den hausärztlichen Kollegen darüber hinaus die Verdachtsäußerung, bei unvollständigen Empfehlungen wie im Falle des Landesrundschreibens könne es sich womöglich auch um Kalkül vonseiten der KVen handeln. Ein bewusstes Vorenthalten von Informationen, um die Ärzte beim Ansetzen bestimmter Ziffern zu verunsichern oder abzuschrecken? Ob dieser Verdacht im dargestellten Fall berechtigt ist, kann wohl nicht eindeutig geklärt werden. Honni soit qui mal y pense? Der Vorstand des Hausärzteverbands Bremen macht jedenfalls nach diesem Ereignis seine Mitglieder darauf aufmerksam, dass es für ihre tägliche Arbeit von Bedeutung ist, die Landesrundschreiben aufmerksam zu lesen. Und eine gesunde Portion Skepsis hat ja zumindest noch nie geschadet.


Autorin:
Yvonne Schönfelder

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (16) Seite 73-74
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.