Tipps vom Visitor (3) Ein subjektiver Blick hinter die QM-Kulissen

Praxisführung Autor: I. Schluckebier

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben!“ Auch als EPA-Visitorin habe ich schon so manche spannende, interessante oder auch kuriose Anekdote erlebt. Von einer Praxis, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist und die ich letztes Jahr im Rahmen des Re-Assessments ein zweites Mal besucht habe, möchte ich kurz erzählen.

Was die Praxiscrew nicht kennt …

Die erste Begegnung hatten wir im Jahre 2007. Ich kam am Morgen des Visitationstermins in die Praxis, als der Chef gerade unter den Schreibtisch gekrochen war, um dort etwas zu suchen. Er hatte mir den Rücken zugewandt und begrüßte mich so mit den Worten: „Na, dann fangen Sie mal mit dem Kram an, dass wir schnell fertig werden mit dem Quatsch!“ Hier war also noch ein gutes Stück Arbeit und Überzeugung nötig, um die positiven Seiten des Qualitätsmanagements aufzuzeigen.

Ich ließ mich nicht beirren. Wie immer sah ich bei der Begehung der Praxis mit meiner Checkliste nicht nur fehlende Punkte und Verbesserungsmöglichkeiten, sondern auch viele positive Dinge, die ein gutes QM ausmachen. So hatte diese Praxis gut sortiertes Material an sinnvollen Aufklärungsbroschüren für ihre Patienten. Das Notfallequipment war ein fantastisch strukturierter Notfallkoffer auf höchstem Niveau. Teamsitzungen wurden schon seit Jahren in der Praxis regelmäßig abgehalten, nicht weil solche ein Baustein des QM sind, sondern weil diese die Kommunikation im Team unterstützen und oft neue Ideen hervorbringen. Unbewusst waren hier also längst Punkte aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und somit von EPA erfüllt. Aus reiner Überzeugung heraus und nicht der Kontrolle wegen – beste Voraussetzungen also für ein lebendiges QM.

…muss sie zuerst kennenlernen…

In der Feedbackrunde am Nachmittag zeigte ich dem Team zuerst, in welchen Bereichen es schon sehr gut war und wo es noch Handlungsbedarf gab. Gemeinsam erkannten wir schnell, dass etwa in puncto Arbeitsbelastung beim Praxischef die Unzufriedenheit sehr hoch war, im Gegenzug aber die MFAs gerne mehr Abwechslung in ihrer Arbeit hätten und bereit und fähig wären, mehr Verantwortung zu übernehmen. Bisher hatte die Praxis eher wenig präventive Maßnahmen angeboten, laut einer Patientenbefragung wünschten sich aber viele Patienten gerade im Bereich Prävention mehr Angebote. Wichtig war nun ganz allgemein, dass ich mit klaren, praxisnahen Aussagen ohne den Druck „Sie müssen noch…!“, dafür aber mit nachvollziehbaren Erklärungen dem Team aufzeigen konnte, warum man z. B. ein Handbuch haben sollte und wofür Checklisten und Arbeitsanweisungen gut sind. Eine Vorgehensweise, die dem Praxisteam das Einführen und Weiterentwickeln des QM so leicht wie möglich machen. Denn wenn man – wie beim Patienten auch – erst die „Diagnose“ (= Ist-Zustand der Praxis) stellt und dann mit der „Therapie“ (= Weiterentwicklung) beginnt, platzt oft schnell der „Knoten“: Das Praxisteam erkennt, dass man alles für sich selbst macht und die Arbeit, die anfangs zu investieren ist, man in Form von verbesserten Abläufen mit mehr Zufriedenheit und Sicherheit wieder zurückbekommt.

… um es dann auch schätzen zu können

Irgendwie muss nicht nur diese Praxis in meinem Gedächtnis, sondern auch ich im Gedächtnis der Praxis hängengeblieben sein. Nach drei Jahren wurde ich als anfangs ungeliebte Visitorin freiwillig wieder eingeladen und mir wurden jede Menge QM-Projekte gezeigt, die sich seitdem weiterentwickelt hatten. Die MFA arbeiteten nun selbstständiger, der Arzt hatte gelernt zu delegieren und die Arbeitszufriedenheit war erheblich in die Höhe geklettert. Mit dem durch EPA angeregten Überdenken von eingefahrenen Strukturen hatten sich einige neue Möglichkeiten ergeben. Dabei auch so einfache Dinge wie mehr Urlaub und einen jungen Kollegen als Vertretungsarzt engagieren, um die Entlastung auch nach dem Urlaub noch zu verspüren. Übrigens, die Begrüßung beim zweiten Besuch war deutlich anders: „Ah, guten Morgen, Frau Schluckebier, schön Sie wieder zu sehen. Wir sind schon ganz gespannt auf ihr Feedback!“


Autorin:
EPA-Visitorin, MFA
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Witten/Herdecke
Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
58448 Witten

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (11) Seite 23
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.