Depression und Burnout Ein Werkzeugkasten für den Patienten

Praxisführung Autor: Werner Enzmann

© kichigin19 - Fotolia

Depressionen zählen mit einer Jahresinzidenz von 1 bis 2 Erkrankungen auf 100 Personen zu den "häufigsten, aber hinsichtlich ihrer individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung meistunterschätzten Erkrankungen", so die aktuelle S3-Leitlinie. Ein neues Selbsthilfe- und Ressourcenbuch von Dr. med. Sabine Gapp-Bauß will Patienten, aber auch Therapeuten darin unterstützen, die Krise Schritt für Schritt zu überwinden. Dr. med. Sabine Gapp-Bauß erläuterte "Allgemeinarzt"-Redakteur Werner Enzmann, wie ihr Buch die Arbeit des Allgemeinarztes unterstützen kann.

Ärzte in der Allgemeinpraxis sind meist die erste Anlaufstelle von Menschen, die bei sich vermuten, dass sie an einem Erschöpfungssyndrom oder gar an einer Depression leiden. Oft ist es auch der Allgemeinarzt, der eine seelische Ursache hinter vielfach vorgebrachten Beschwerden erkennt. Sein Zeitbudget, um Patienten umfangreich aufzuklären, ist aber meist knapp. Hier setzt "Depression und Burn-out überwinden – Ihr roter Faden aus der Krise: Die wirksamsten Selbsthilfestrategien" von Dr. med. Sabine Gapp-Bauß, Ärztin für Naturheilverfahren, Hypnosetherapeutin in langjähriger Praxis und Referentin zum Thema Stressmanagement, an. Das Buch ist gedacht als leicht verständlicher und praxisnaher Leitfaden für Menschen, die entweder selbst von Depression und Burnout betroffen sind oder Betroffene darin unterstützen möchten, etwas zu ihrer schrittweisen Stabilisierung und Gesundung beizutragen, also auch für Angehörige und vor allem Therapeuten.

Sich selbst besser verstehen

Sie finden darin eine Fülle an praktischen Anregungen, vom "Notfallkoffer" bis zu kleinen unorthodoxen Entspannungsübungen wie dem "Atemsurfen". Sehr konkrete Leidenszustände und Beschwerden werden angesprochen und ihre neurophysiologischen Hintergründe plausibel gemacht, sodass die Betreffenden sich selbst besser verstehen. Die Autorin zeigt gezielte Strategien aus dem Bereich Selbstfürsorge, Bewegung und Entspannung und beschreibt den Umgang mit speziellen Problemen und Nöten. Dabei nimmt sie Patienten in rund 50 überschaubaren Themenkapiteln Schritt für Schritt an die Hand. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass Depressiven oft die Frustrationstoleranz fehlt, um ein Buch systematisch durchzuarbeiten.

Ein Werk in dieser pragmatischen und zugleich fundierten Form existiert bisher nicht. Es lässt spüren, dass die Autorin sich in die vielen Nöte, unbeantworteten Fragen und Probleme der Betroffenen völlig hineindenkt. Ausführungen über allgemeine Therapieformen und medikamentöse Therapien werden nur so weit gemacht, wie sie für den Betroffenen unmittelbar von Bedeutung sind. Für interessierte Ärzte wird die Autorin auf der "practica" 2016 ein Seminar zum Thema halten.

Werner Enzmann


Ein Werkzeugkasten für den Patienten

Dr. med. Sabine Gapp-Bauß erläuterte „Allgemeinarzt“-Redakteur Werner Enzmann, wie ihr Buch die Arbeit des Allgemeinarztes unterstützen kann.

Wie lässt sich der besondere Ansatz in Ihrem Buch beschreiben?

Das Buch geht von der Verständnisebene der unter Leidensdruck stehenden Menschen und deren Bedürfnis aus, konkret mit ihrem jeweiligen Problem verstanden zu werden und Entlastung zu erfahren. Komplizierte psychische und physiologische Mechanismen werden so plausibel erklärt, dass der Leser schließlich ganz selbstverständlich damit umgehen kann. Das Buch ist klar gegliedert und kann an jeder Stelle aufgeschlagen und gelesen werden. Jedes Kapitel steht unabhängig für sich und bildet eine Einheit, die eine spezielle Fragestellung behandelt: schnelle Hilfe mit dem Notfallkoffer, Schlafprobleme, Lethargie, Bewegung, das Morgentief, gute Rahmenbedingungen schaffen…

Welche Hilfestellungen kann der Arzt geben, wenn er Patienten das Buch empfiehlt?

Der Arzt kann den Patienten, die selbst etwas tun möchten, das Buch als „Werkzeugkasten“ an die Hand geben, aus dem die Betreffenden sich die für sie ganz individuell passenden Kenntnisse und Strategien heraussuchen können, zum Beispiel, wie man mit dem typischen „Morgentief“ umgeht, wie man mit Schlafstörungen, mit tiefer Traurigkeit und Lethargie, mit Grübelschleifen, Angst und Panik fertig werden kann. Patienten können darin Maßnahmen zur Körperaktivierung durch individuelle Arten der Bewegung sowie unorthodoxe, aber sehr effektive Methoden zur schnellen Beruhigung finden. Der Arzt kann Menschen auch erklären, dass sie anhand des Buches besser verstehen, was da im Gehirn bei ihnen geschieht und wie man das Gehirn, genauer gesagt das limbische System oder emotionale Gehirn, aus seinem Hochalarmzustand herausholt. Sinnfragen und heilsame Einsichten, die Angst vor dem Gesundwerden und die Klippen einer Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess werden ebenfalls in kurzen, verständlichen Texten besprochen, sodass die Betroffenen immer etwas Tröstliches oder Aufbauendes finden, um sich selbst zu stabilisieren. Auch traumabedingte Depressionen werden angesprochen.

Welche weitere Unterstützung kann sinnvoll sein?

Was Betroffene an Unterstützung zu ihrer Stabilisierung benötigen, ist ganz individuell. Am wichtigsten ist jedoch immer ein kompetenter, Mut machender Arzt und Therapeut, der dem Patienten ein stabiles „Geländer“ bietet, an dem er Halt findet. Die Anwendung von Medikamenten ist schweren Zuständen von innerer Unruhe, schwerer Schlaflosigkeit, Panik und schwerster Niedergeschlagenheit vorbehalten und gehört in erfahrene Hände.

Grundsätzlich ist eine therapeutische Unterstützung sinnvoll, um neue Muster im Gehirn zu bahnen und so die Rückfallgefahr zu bannen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn Patienten dazu bereit sind und ernsthaft an sich arbeiten wollen. Man muss auch bedenken, dass Antidepressiva zwar meist eine stabilisierende Wirkung haben, aber nicht immer den gewünschten Erfolg bringen.

Welche Patienten werden von der Lektüre am ehesten profitieren?

Patienten, die sich gerne informieren wollen, für die Lesen eine Ressource bedeutet und die selbst etwas tun wollen, unabhängig von der Diagnose. Einem akut in der Übererregung befindlichen Patienten, für den ein Psychia­trieaufenthalt überlegt wird, ist das Buch eher später zu empfehlen. Selbst bei schweren Verläufen können jedoch oft neue Erkenntnisse einen Schub nach vorne bewirken. Dem kommt entgegen, dass das Buch nur sehr kurze, fundierte und aufbauende Texte von wenigen Seiten zu einem der etwa 50 Themen enthält, die allesamt für sich stehen und unabhängig voneinander gelesen werden können und die jeder verstehen kann. Jeder findet darin etwas, was genau zu seiner speziellen Problematik passt und sie handhabbar macht. Auch von Gesunden und gerade von Therapeuten wird das Buch gerne als Fundgrube für die eigene Gesundheitsfürsorge genutzt.

Wie kann der Arzt seine Patienten zur „Selbstheilung“ motivieren?

Ein Arzt sollte im alten hippokratischen Sinne ein Gefühl dafür haben, wie er mit dem ihm bekannten Menschen umgeht und die Sprache finden, die den Betroffenen erreicht. Menschen, die dafür offen sind, kann man sehr gut vermitteln, dass Medikamente und therapeutische Unterstützung sehr viel besser wirken, wenn sie selbst etwas für sich tun. Das praktische Vorbild eines Arztes, einer Ärztin, die gut für sich sorgt, ist entscheidend. Mut zu vermitteln, die neurophysiologischen Gegebenheiten zu kennen und das fachliche Wissen auszustrahlen, dass tatsächlich eine Stabilisierung erreicht werden kann, wenn der Patient ein neues Gefühl für sich, seinen Körper, seine Gefühle und seine Überzeugungen bekommt, ist neben der notwendigen technischen Abklärung nach wie vor einer der wichtigsten Faktoren ärztlichen Handelns. Viele Menschen wissen die Hilfe zur Selbsthilfe durch ihren Arzt sehr zu schätzen.

Dr. med. Sabine Gapp-Bauß: Depression und Burn-out überwinden. Ihr roter Faden aus der Krise: Die wirksamsten Selbsthilfestrategien



1. Auflage 2015, 336 Seiten, Paperback (15 x 21,5 cm)
18,95 € (D) / 19,50 € (A),
ISBN 978-3-86731-172-4
VAK Verlags GmbH, Kirchzarten

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (10) Seite 68-70
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Dr. med. Sabine Gapp-Bauß: Depression und Burn-out überwinden. Ihr roter Faden aus der Krise: Die wirksamsten Selbsthilfestrategien Dr. med. Sabine Gapp-Bauß: Depression und Burn-out überwinden. Ihr roter Faden aus der Krise: Die wirksamsten Selbsthilfestrategien