Hausärzt:in hautnah Erfahrungen mit der Corona-Impflage

Praxisführung Autor: J. Demmerle, M. Schorrlepp, M. Berg, V. Gall

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Für die Hausarztpraxen hat sich bei den Impfungen viel getan: von Modellprojekten mit COVID-19-Impfungen durch ausgewählte Praxen bis hin zur breit angelegten Impfkampagne, die endlich auch Hausärzt:innen aktiv miteinbezieht.

Enormer bürokratischer Aufwand in der Test-Impfphase

Wieso jetzt der Wirbel? An der Sache an sich kann es sicher nicht liegen. In welchem Kurs habe ich gefehlt, dass man erst Modellprojekte starten muss, um auszuprobieren, ob Hausärzt:innen in der Lage sind, Corona-Impfungen durchzuführen? OK (…,), wenn es der Impfvorgang nicht ist, dann muss es wohl die Vorbereitung des Impfstoffes sein. Verdünnen und Spritzen aufziehen? Sollte man bereits im Studium unabhängig der späteren Fachrichtung schon mal gelernt haben. Das kann also auch nicht das Problem sein. Na, was denn nun? Ach ja: Die Bürokratie und deren Umsetzung! Die hatte ich kurz vergessen. Ich soll mich also, um meine immobilen Patient:innen in der Testphase zu Hause impfen zu dürfen, auf einer Plattform anmelden. Und natürlich die zu impfenden Patient:innen. Die personalisierten Unterlagen werden mir dann zugeschickt. Damit soll ich die Betroffenen dann aufklären und genau diese Papiere auch unterschreiben lassen. Sollte das Impfzentrum, das ca. 25 Minuten über die Autobahn von unserer Praxis aus erreichbar ist, Impfstoff für mich übrig haben, kann ich diesen dort selbst abholen. Die Kühlbox, in der er mir überreicht wird, soll ich am Abend natürlich wieder zurückbringen. In der Zwischenzeit soll ich die Hausbesuche machen (mit je 15 Minuten Nachbeobachtung versteht sich). Nicht zu vergessen: Die verimpften Dosen noch mal am Abend ordentlich online dokumentieren.

Und das Spielchen neben dem normalen Praxisbetrieb. Aber was soll’s?! Wir machen das schon. Ein Schlag ins Gesicht für alle Landärzt:innen, die ihre Praxis nicht in der Stadt direkt neben dem nächsten Impfzentrum haben. Und für deren Patient:innen! Wenn wir den Impfstoff aus der Apotheke beziehen können und die Bürokratie noch ein bisschen abgebaut wird, läuft´s sicherlich besser.


Individuelle und kreative Lösungen sind gefragt

Die Infektionszahlen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 schnellen in die Höhe, die Menschen sind Lockdown-müde. Die COVID-19-Impfung ist DAS Mittel, um aus der Pandemie rauszukommen. Damit die Bevölkerung schnellstens gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geschützt wird, ist die dezentrale Impfung durch die Hausärzt:innen zwingend erforderlich. Das Vertrauen der Menschen in ihre Hausärzt:in ist enorm hoch und genau deshalb ist es so wichtig, dass möglichst viele Hausarztpraxen daran teilnehmen. Die COVID-Impfungen unterscheiden sich von den sonst üblichen Impfungen in der Praxis durch den enormen Dokumentationsaufwand. Die Impfung wird üblicherweise im Praxisverwaltungssystem (PVS) dokumentiert. Darüber hinaus soll sie in einem KBV-Modul gemeldet werden und abhängig vom Bundesland in noch einem weiteren Portal erfasst werden. Eine schlanke Dokumentation sieht anders aus. Aufklärung und Einwilligung sind selbstverständlich. Zum einen besteht eine sehr hohe Impfbereitschaft und Vertrauen in die bekannte Arztpraxis, andererseits ist die Beunruhigung durch Nebenwirkungen der Impfstoffe groß. In vielen Fällen wird vor der Impfung ein nochmaliges persönliches Gespräch notwendig und berechtigt sein. Die Nachbeobachtungszeit stellt die Praxen vor ungeahnte Schwierigkeiten. In Zeiten der Pandemie können nicht zwölf Patient:innen gleichzeitig im kleinen Wartezimmer Platz nehmen. Auf Abstand und Belüftung muss geachtet werden. Bei laufendem Praxisbetrieb erfordert das eine gute Vorbereitung und eine individuelle Organisation des Ablaufs. Möglichst viele Menschen sollen in möglichst kurzer Zeit geimpft werden.

Tipp: In der AG der Hausärztlichen Internisten in der DGIM wurden Empfehlungen zur individuellen Praxisorganisation für die COVID-19-Impfungen erarbeitet. Diese Empfehlungen sind nicht abschließend. Ob Einzelpraxis oder Gemeinschaftspraxis, es müssen individuelle und manchmal auch kreative Lösungen gefunden werden.


Der Teufel steckt im Detail

Vielleicht geht es Ihnen auch so, dass Sie sich regelmäßig voll Verwunderung die Augen reiben, wenn es um die Corona-Maßnahmen und die COVID-Impfung durch Hausärzt:innen geht. Obgleich im hausärztlichen Bereich gut funktionierende, lang erprobte Versorgungsstrukturen vorhanden sind, wird der Gesetzgeber nicht müde, ständig neue, sehr teure Parallelstrukturen und Maßnahmen zu erfinden, welche Millionenbeträge verschlingen ohne erkennbaren vermehrten Nutzen. In der öffentlichen Diskussion konnte man den Eindruck gewinnen, als würden die Allgemeinmediziner:innen zum ersten Mal in ihrem Leben impfen müssen. Dabei impft keine Arztgruppe mehr als die Hausärzt:innen oder kann auf eine höhere Expertise auch in puncto Impf-Organisation verweisen. Impfungen zählen zu unserem Alltagsgeschäft und dennoch wurden sämtliche Hausärzt:innen monatelang zum Schreiben von Attesten und Bestätigungen degradiert. Im April hat man endlich festgestellt, dass eine flächendeckende Versorgung mit Impfstoffen der Bevölkerung letztendlich nur über die hausärztliche, eben dezentrale Impfung möglich ist. Über diesen Erkenntnisgewinn kann man sich nur freuen.

Wie immer steckt der Teufel politisch selbst verschuldet im Detail, was uns als Hausärzt:innen vor ernsthafte Probleme stellen wird. Vor manch einer Hausarztpraxis bilden sich lange Schlangen, da die Patient:innen natürlich lieber von ihrer Hausärzt:in, die sie kennt, geimpft werden als in einem anonymen Impfzentrum. Bedingt durch eine desaströse Kommunikation von Politik und Medien ist eine extreme Verunsicherung hinsichtlich der Impfstoffe ausgelöst und gleichzeitig eine Erwartungshaltung geschürt worden, die zu einem sehr hohen Beratungsbedarf und auch zu völlig realitätsfremden Erwartungen führt. Eine kaum verständliche irrationale Impf-Priorisierung führt zudem zu Konflikten, da sich jeder irgendwo in einer Priorisierungsgruppe wiederfinden kann und nun die Erwartung hat, sofort geimpft zu werden, was ebenfalls eher unrealistisch erscheint, aber auf der hausärztlichen Ebene abgefangen werden muss. Praxisanmeldungen kommen so technisch und personell an ihre Belastungsgrenzen.

Zu allem kommt eine völlig überbordende Bürokratisierung, wie sie in Deutschland typisch ist. Schon die Impfstoff-Bestellung mit Erst- und Zweitimpfung, Zuteilungsschlüsseln und weiteren Hürden kostet und bindet Arbeitskapazitäten, die an anderer Stelle fehlen und sicherlich auch die eine oder andere Praxis überfordern dürften. Dazu kommt eine umfängliche Aufklärungs- und Dokumentationspflicht.

Jede Patient:in muss nicht nur aufgeklärt, sondern dies auch dokumentiert werden. Dazu kommen Fragebögen über Impf-Nebenwirkungen, die auch verwaltet werden müssen. Weil dies alles noch nicht reicht, besteht eine Verpflichtung, täglich die Impfquoten nach Impfstoff getrennt an das RKI zu übermitteln. Die Abrechnung dieser oben genannten Leistungen ist ebenfalls völlig überbordend und alleine 18 EBM-Ziffern müssen bewerkstelligt werden, um eine adäquate Verschlüsselung der Impfung zu gewährleisten. Im Nebensatz wird erwähnt, dass auch die Chargennummer dokumentiert werden muss, was auch wieder Aufwand bedeutet. Eine Impfung im Supermarkt, wie es in etlichen anderen Ländern üblich ist, wäre bei uns schlicht undenkbar, was so weit auch richtig und vernünftig ist. Gleichzeitig muss man klar sagen, dass bei dieser überbordenden Bürokratisierung, dem anderen Extrem zur Supermarktimpfung, eine flächenhafte Impfung nur mit Verzögerung und erheblichen Mehrkosten zu erreichen ist.

Eine für die Zukunft relevante Problematik ist die Abrechnung und Versorgung der Privatpatient:innen. Bei dem vorliegenden Modell muss jede Privatpatient:in zusätzlich in der Praxissoftware neu angelegt werden, damit sie über die allgemeine Impfversorgung abgerechnet wird. Es handelt sich also um keine Privatleistung. Dies führt aber dazu, dass wir in unserer Praxis-EDV Privatversicherte doppelt angelegt haben: einmal als normale Patient:in und ein weiteres Mal als Impfkandidat:in. Analysen und Abfragen werden so schwierig bis unmöglich, die Dokumentation erschwert und die Fehlerrate drastisch erhöht. Diese Aspekte hat man bei der Überlegung völlig außer Acht gelassen.

Wie ist der Ausblick in die Zukunft? Wir dürfen davon ausgehen, dass uns die Corona-Impfung dauerhaft die kommenden Jahre begleitet. Wesentlich ist hierbei die Dauer der Immunität nach Impfung und diese ist nicht abschließend geklärt. Da von einigen Impfstoffen berichtet wird, dass sie bereits nach wenigen Monaten eine langsame Verminderung der Wirksamkeit aufweisen und Mutationen zu berücksichtigen sind, ist zu erwarten, dass eine jährliche und damit regelmäßige Corona-Impfung zumindest in den ersten Jahren notwendig wird.

Selbst wenn es gelingt, vor dem nächsten Herbst einen Großteil der Bevölkerung lzu impfen, wird es weiter zu neuen COVID-Infektionen kommen. Der Wunsch "Einmal alle geimpft und alles ist wie vorher" wird ein frommer Vorsatz bleiben. Mutationen und im zeitlichen Verlauf abnehmende Immunität sind nur zwei Ursachen dafür. Wir sollten uns dauerhaft auf diese erhebliche Mehrbelastung logistisch und personell einstellen. Objektiviert gesprochen handelt es sich um eine Herkules-Aufgabe, die auf die hausärztliche Versorgung zukommt, insbesondere unter immer knapper werdendem ärztliche wie nicht ärztlichem Personal.

Gleichwohl bin ich zuversichtlich, dass wir dies alles schaffen werden, und überzeugt, dass eine flächenhafte und dauerhafte Versorgung der Bevölkerung nicht über die Impfzentren, sondern alleine über die hausärztliche Grundversorgung gewährleistet werden kann.


Endlich geht es los!

Prävention ist eine zentrale Aufgabe hausärztlicher Medizin. Insbesondere das Impfen hat bei uns in der Praxis einen hohen Stellenwert. Daher freue ich mich, endlich auch Teil der präventiven Verhinderung von COVID-19 zu sein und mich nicht ausschließlich auf die sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Behandlung der akuten Erkrankung konzentrieren zu müssen. Die Durchführung stellt eine logistische Herausforderung für das gesamte Team dar. Der bürokratische Aufwand für Abrechnung und Dokumentation könnte definitiv geringer sein! Die fehlende Vergütung für die intensiven Gespräche mit den Patient:innen, die vor allem durch die negative Berichterstattung zu AstraZeneca verunsichert sind und erst in mühevollen Gesprächen für die Impfung dieses Vakzins motiviert werden müssen, empfinde ich als Affront. Zumal ich dieses Gespräch mit nahezu jeder Patient:in am Tag führen muss.

Dennoch: Die Impfung gehört unbedingt in die Praxis! Auch wenn die Priorisierung innerhalb der Prioritätengruppen schwierig ist. Hier kann ich als Hausärzt:in meine Expertise endlich einbringen und diejenigen impfen, die am dringendsten geschützt werden müssen. Die Patient:innen kommen auch lieber in die Praxis, als ins 30 km entfernte Impfzentrum zu fahren. Ich bin mir sicher, dass sich bald alles eingespielt haben wird.

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 70-72
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