Gegen ärztlichen Rat entlassen heute obsolet?

Autor: Dr. Dorothea Ranft, Foto: thinkstock

Nach wie vor ist es üblich, Patienten gegen ärztlichen Rat zu entlassen. Ein Unsinn, meinen amerikanische Ethikspezialisten, es schadet dem Kranken ebenso wie dem Arzt. Sie zeigen, wie man es besser machen kann – ohne juristisches Risiko.

Allein in den USA verlässt jedes Jahr etwa eine halbe Million Patienten die Klinik gegen ärztlichen Rat – was mit erheblichen Gefahren verbunden ist. So dürfte die 30-Tage-Mortaliät in dieser Gruppe um etwa 10 % höher und die Rate der erneut eingewiesenen Kranken sogar um 20 bis 40 % höher liegen als bei den konventionell entlassenen.

Gestörte Kommunikation fördert Kunstfehlerklagen

Ärzte und Pflegekräfte fühlen sich oft machtlos, wenn Patienten die angebotene optimale Behandlung nicht annehmen wollen und der Streit um die Entlassung kann die Arzt-Patienten-Beziehung erheblich beeinträchtigen. Dr. David 
Alfandre von der Universität New York und sein Kollege suchen deshalb nach neuen Zugangswegen.


Schon der Begriff „gegen ärztlichen Rat entlassen“ sei weder klar definiert noch entspreche er heutigen ärztlichen Standards. Die Mediziner sollten den Patienten stattdessen gut aufklären und eine durch Information getragene Einigung (informed consent) anstreben. Die Entscheidung einschließlich der Gründe des Kranken muss peinlich genau dokumentiert werden.


Grundsätzlich sollte der Arzt die Wertvorstellungen und Präferenzen des Kranken achten – 
auch wenn dessen Entscheidung im medizinischen Sinn ungünstig erscheint. Der Hinweis auf den fehlenden ärztlichen Rat untergrabe die Bereitschaft des Patienten, sich medizinisch behandeln zu lassen, und sei selbst aus juristischen Gründen nicht erforderlich, meinen die Autoren. Sie halten auch spezielle Formulare zur Absicherung des Arztes für überflüssig. Umgekehrt kann die gestörte Kommunikation zwischen Arzt und Patient sehr wohl juris­tische Konsequenzen haben, sprich Kunstfehlerklagen Vorschub leisten.

Recht auf Empathie auch 
bei abweichender Meinung

Zudem weisen die beiden Kollegen darauf hin, dass die Art der Entlassung keinen Einfluss auf die Kostenübernahme durch die Kassen hat – in den USA „drohen“ immer noch viele Ärzte entlassungswilligen Kranken mit einer entsprechenden Verweigerung. Auch der Patient mit einer abweichenden Meinung hat das Recht auf die volle Empathie des Arztes, betonen die Kollegen abschließend. Eine Entlassung wider ärztlichen Rat schade nur. Stattdessen solle sich der Arzt fragen, warum er den Patienten gegen ärztlichen Rat entlassen würde.


Quelle: David Alfandre et al., 
JAMA 2013; 310: 2393-2394

 

 

Sicherungsaufklärung immer ganz genau dokumentieren!

Henriette Marcus

Fachanwältin für Medizinrecht, Frankfurt


Wenn ein Patient auf eigenen Wunsch und gegen ärztlichen Rat vorzeitig eine stationäre Behandlung abbricht und sich selbst entlässt, ist es für den behandelnden Arzt wichtig, genau zu dokumentieren, wann und mit welchem Inhalt die sogenannte Sicherungsaufklärung erfolgte.


Bei der Sicherungsaufklärung nach § 630c BGB hat der behandelnde Arzt den Patienten auch über alle nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen zu informieren. So ist z.B. darauf hinzuweisen, dass nach einer Sedierung die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sein kann oder dass eine bestimmte Diät oder Medikation einzuhalten ist. Auch über Wiedervorstellungen zu Nachkontrollen ist zu informieren oder darüber, dass sich an die Entlassung eine Reha-Behandlung anzuschließen hat und der Patient dazu mit geeigneten Einrichtungen Kontakt aufnehmen soll.

 

Dem Patienten ist mitzuteilen, dass die Krankenkasse die Kostenübernahme mindestens teilweise verweigern kann, wenn die Diagnostik oder Behandlung aufgrund seiner Eigenentlassung aus medizinischer Sicht vorzeitig abgebrochen wird und nicht weiterverfolgt werden kann. Fehlt im Streitfall der Nachweis einer ärztlichen Sicherungsaufklärung, wird dies als Behandlungsfehler bewertet. Daraus können Schmerzensgeldansprüche des Patienten gegenüber dem behandelnden Arzt drohen, wenn sich sein Gesundheitszustand infolge der vorzeitigen Entlassung auf eigenen Wunsch verschlechtert.


Auch das Krankenhaus kann ein sog. Organisationsverschulden treffen, wenn bei einem Patienten nach einer Sedierung die Überwachung nicht ausreichend sichergestellt ist und dieser unter Einwirkung der Medikamente das Krankenhaus unbemerkt verlässt und sich dabei verletzt. Ein Patient kann nicht dazu verpflichtet werden, eine Sicherheitsaufklärung zu unterzeichnen. Es reicht für den Arzt aus, nachzuweisen, dass diese Aufklärung immer nach demselben Muster – und so auch im vorliegenden Fall – dokumentiert wurde und wird.