Wirtschaftlichkeits-Prüfung Gericht kippt Regressbescheid

Praxisführung Autor: Torsten Münnch

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Ein Honorarregress wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise ist rechtswidrig, wenn der Regress durch eine unzulässige Prüfmethode festgestellt wurde. So entschied es jüngst das Sozialgericht Berlin (Urteil vom 30.09.2015, Aktenzeichen S 79 KA 327/14). Das Urteil zeigt: Prüfbehörden müssen sich an Prüfformalien halten. Tun sie es nicht, bestehen für Vertragsärzte gute Chancen auf eine erfolgreiche Regressabwehr. Ab 1. August 2015 wurden die Dokumentationspflichten im Rahmen des Mindestlohngesetzes (MiLoG) vereinfacht. Den administrativen Aufwand macht das aber für Ärzte nur in Teilen einfacher und besser.

Der entschiedene Fall spielte im vertragszahnärztlichen Bereich, ist aber genauso gut in der Allgemeinmedizin denkbar: Ein Vertragszahnarzt rechnete im Vergleich zum Durchschnitt der Zahnärzte deutlich mehr Honorar pro Fall ab und wurde deswegen prompt für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgewählt. In einer mündlichen Anhörung musste er sich in etwa 40 Einzelfällen rechtfertigen. Danach war die Prüfungsstelle und nach erfolglosem Widerspruch auch der Beschwerdeausschuss überzeugt, dass sich die statistische Auffälligkeit nicht durch Besonderheiten im Patientenklientel erklären lässt. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Zahnarzt Leistungen abgerechnet hat, die aus zahnmedizinischer Sicht gar nicht notwendig waren. Die deswegen ausgesprochene Honorarkürzung griff der Zahnarzt vor dem Sozialgericht an – und bekam Recht. Die Prüfgremien hatten nämlich etwas Entscheidendes übersehen. Aber der Reihe nach.

Vertragsärzte müssen stets das sogenannte Wirtschaftlichkeitsgebot beachten. Verankert ist es in § 12 Sozialgesetzbuch fünftes Buch (SGB V). Bei dieser Norm handelt es sich um eine "das gesamte Vertragsarztrecht prägende Regelung", so das Bundessozialgericht (BSG). Erst jüngst hat das Gericht wieder betont, dass der Vertragsarzt verpflichtet ist, die erforderliche – d. h. ausreichende und zweckmäßige – Leistung mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erbringen (sogenanntes Minimalprinzip). Entsprechend dem Minimalprinzip ist der Vertragsarzt bei zwei zur Behandlung einer bestimmten Gesundheitsstörung zur Verfügung stehenden, medizinisch gleichwertigen Therapieansätzen gehalten, den kostengünstigeren zu wählen (BSG-Urteil vom 13.05.2015, Aktenzeichen B 6 KA 18/14 R).

In der Praxis ist die Sachlage allerdings nicht immer klar. Man kann durchaus darüber streiten, ob eine bestimmte medizinische Handlung und damit das dafür anfallende Honorar der kostengünstigste Weg war oder ob eine noch kostengünstigere Behandlungsalternative das Behandlungsziel genauso gut erreicht hätte. Ein echter Beweis kann häufig gar nicht erbracht werden, denn zum einen lässt sich der ursprüngliche Zustand z. B. eines Gebisses nachträglich kaum noch feststellen. Und zum anderen kann der Patient ja nicht vor das Prüfgremium zitiert und mit den – tatsächlich oder nur vermeintlich – kostengünstigeren Behandlungsmaßnahmen versorgt werden. Die Frage der wirtschaftlichsten Behandlung in einem bestimmten Einzelfall ist also äußerst streitträchtig.

Knackpunkt Prüfmethode

Und genau hier begann für den beklagten Beschwerdeausschuss in der eingangs geschilderten Entscheidung des Berliner Sozialgerichts das Problem. Die zwischen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und den Kassenverbänden ausgehandelte Prüfvereinbarung sah nämlich die Anwendung ganz bestimmter Prüfmethoden vor. Verankert waren nur die "repräsentative Prüfung" und die "Prüfung anhand einzelner Behandlungsfälle". Diese Prüfmethoden verlangen beide die konkrete Feststellung der Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall – mit den soeben geschilderten Nachweisproblemen. Außerdem erlauben diese Methoden lediglich die Honorarrückforderung für die jeweils im Einzelnen als unwirtschaftlich erkannten Abrechnungspositionen. Wollen die Prüfbehörden von einzelnen Fällen auf die Gesamtheit aller Behandlungsfälle des Zahnarztes schließen, ist dies nur nach Prüfung einer statistisch belastbaren Zahl von Einzelfällen möglich. Das BSG verlangt die Prüfung von 20 % aller Fälle, mindestens aber 100 Fälle pro Prüfquartal.

Diesen Aufwand hielt der beklagte Beschwerdeausschuss für nicht leistbar. Bei rund 130 pro Quartal zu prüfenden Praxen würde dies die Prüfung von mindestens 13 000 einzelnen Behandlungsfällen bedeuten. Der Ausschuss verlangte deshalb Beweiserleichterungen. Im angegriffenen Bescheid nahm er diese bereits in Anspruch und wandte statt einer Einzelfallprüfung die sogenannte Durchschnittswertprüfung an. Bei dieser Methode ist dann von einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise des geprüften Arztes auszugehen, wenn sein Fallkostendurchschnitt den der Vergleichsgruppe um mindestens 40 % übersteigt und dies nicht mit Praxisbesonderheiten gerechtfertigt werden kann. Die konkrete Prüfung einzelner Fälle ist bei dieser Methode nicht erforderlich.

Gesetze gelten auch für Prüfbehörden

Diesem Vorgehen erteilte das Sozialgericht eine Absage. Zwar seien die Prüfbehörden befugt, die Prüfmethode selbst auszuwählen, sofern der Gesetzgeber nicht die Anwendung einer bestimmten Methode vorschreibe. Ausgewählt werden könne aber nur eine Prüfmethode, die in der Prüfvereinbarung enthalten sei. Der Gesetzgeber habe es den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen überlassen, festzulegen, welche Prüfmethoden von den Prüfbehörden ausgewählt werden dürfen. Und die in Berlin geltende Prüfvereinbarung sehe nun einmal die Prüfung nach Durchschnittswerten nicht vor.

Das Urteil zeigt wieder einmal, dass es in einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht nur auf medizinische Aspekte des ärztlichen Behandlungs- oder Verordnungsverhaltens ankommt. Vielmehr kann auch der Einhaltung der Prüfungsformalien entscheidende Bedeutung zukommen. Auch die Prüfbehörden sind – wie alle Behörden – an Recht und Gesetz gebunden. Sind sie der Auffassung, mit der bestehenden materiellen oder personellen Ausstattung ihren Aufgaben nicht gewachsen zu sein, bleibt ihnen nur die Einwirkung auf den Gesetzgeber, hier also auf die Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Krankenkassen als Partner der Prüfvereinbarung. Damit diese reagieren, lässt der Gesetzgeber deren Vorstände persönlich dafür haften. Keinesfalls sind die Prüfbehörden berechtigt, sich ihr eigenes Recht zu schaffen.

Ab 2017 jede Menge Streit?

Wichtig könnte diese Erkenntnis werden, wenn ab 2017 die Richtgrößenprüfung im Arzneimittelbereich passé ist. Der Gesetzgeber stellt es den Partnern der Prüfvereinbarung zukünftig frei, nach welcher Methode sie das Verordnungsverhalten geprüft wissen wollen. Eine gesetzlich vorgeschriebene Regelprüfmethode – wie derzeit die Richtgrößenprüfung im Bereich der Arzneimittelverordnungen – wird es nicht mehr geben. Umso wichtiger wird der Blick in die Prüfvereinbarung. Jede Prüfmethode, die zur Anwendung kommen soll, muss dort genannt werden. Ist eine bestimmte Prüfmethode nicht erwähnt, dann kann sie nicht angewendet werden. Da zu erwarten ist, dass verstärkt neue Prüfmethoden "erfunden" werden, zu denen es noch keine etablierte Rechtsprechung der Sozialgerichte gibt, wird man die Prüfvereinbarung auch daraufhin untersuchen müssen, ob die erwähnte Prüfmethode ausreichend anwendungssicher beschrieben wird. Praktiker des Prüfgeschäfts erwarten hier jede Menge Streit. Es empfiehlt sich deshalb, in künftigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht allein auf die Kraft der ärztlichen Argumente zu vertrauen, sondern genauso intensiv in Angriffe auf formale Fehler des Prüfverfahrens zu investieren. Gerade bei diesem Aspekt kann die Einschaltung eines im Prüfgeschäft erfahrenen Anwaltes den entscheidenden Vorteil bringen.


Autor:
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Dierks + Bohle Rechtsanwälte, Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (20) Seite 70-72
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.