Immer mehr Patienten suchen Rettungsstellen auf

Autor: Cornelia Kolbeck, Foto: Fotolia/fischer-cg

Die Fallzahlen in Notaufnahmen bzw. Rettungsstellen von Krankenhäusern steigen jedes Jahr. Dabei ist gar nicht jeder Patient wirklich ein Fall für die Notaufnahme. Warum der Weg dorthin dennoch oft gewählt wird, zeigt eine aktuelle Umfrage.

Dr. Bernd A. Leidel ist stellvertretender Leiter der interdisziplinären Rettungsstelle des Campus Benjamin Franklin an der Berliner Charité. Der Notfallmediziner und seine Kollegen wollten genauer wissen, warum Patienten die Notaufnahme aufsuchen.

Sie initiierten deshalb mit Unterstützung der TU Berlin eine standardisierte und anonymisierte Patientenbefragung an zwei Rettungsstellen Berliner Krankenhäuser der Maximalversorgung (Charité – Universitätsmedizin Berlin und Helios Klinikum Berlin-Buch).

In beiden Einrichtungen werden jährlich rund 60 000 Patienten aller Altersstufen versorgt. Befragungszeitraum war Mai bis Juni 2015. Studien mit entsprechenden Fallzahlen gab es bisher nicht in Deutschland.

Mehr als 90 % der Patienten kamen in die Rettungsstelle

Beim Berliner "Spreestadt-Forum zur Gesundheitsversorgung in Euro­pa" präsentierte Dr. Leidel die Ergebnisse der Umfrage. Wie sich zeigte, kamen mehr als 90 % der sich selbstständig vorstellenden Patienten in die Rettungsstelle, weil sie sich als Notfall sahen.

Ebenso schätzten 89 % der Patienten ihre Beschwerden als akut, sehr dringlich oder dringlich behandlungsbedürftig ein. Nur 10 % sahen die Behandlung als weniger dringlich an. Für 1 % war sie gar nicht dringlich. Drei Viertel der Patienten klagten über Schmerzen, 17 % über starke Schmerzen. Diese Angaben korrelierten auch mit der Dringlichkeit.

Insgesamt hatten nur 37 % der Befragten zuvor versucht, einen niedergelassenen Arzt zu kontaktieren. In mehr als einem Drittel dieser Fälle (38 %) war die Praxis geschlossen oder kein kurzfristiger Termin verfügbar. Andere glaubten, in der Rettungsstelle besser versorgt zu werden oder sie wollten eine zweite Meinung einholen.

KV-Notdienst? Kenne ich nicht!

Ähnlich argumentierten die 63 % der Interviewten, die zuvor gar nicht erst versucht hatten, einen ambulanten Arzt aufzusuchen. Von diesen gaben fast zwei Drittel (65 %) an, dass der Hausarzt keine Sprechstunde habe oder im Urlaub sei.

Mehr als jeder dritte Patient (36 %) stellte sich während regulärer Praxissprechzeiten (Montag–Freitag, 8–19 Uhr) in der Rettungsstelle vor. 69 % von ihnen waren von der Praxis in die Notaufnahme geschickt worden, in 35 % der Fälle gab es keine Einweisung.

11 % aller Patienten hatten vor dem Besuch der Rettungsstelle den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst angerufen. Drei von vier Anrufern waren von diesem an die Notaufnahme verwiesen worden. Dass der KV-Notdienst von der Mehrheit der Befragten (89 %) nicht kontaktiert wurde, ist nicht verwunderlich angesichts der Aussage jedes zweiten Patienten (55 %), dass er den KV-Notdienst gar nicht kennt.

Mit dem Krankenhausstrukturgesetz wurden die Voraussetzungen für eine breitere Notfallversorgung, u.a. durch sog. Portalpraxen, geschaffen. Diesbezüglich wurden die Patienten gefragt, ob sie außerhalb des Krankenhauses Notfalleinrichtungen der niedergelassenen Ärzte in Anspruch nehmen würden. 59 % der Befragten sagten hierzu ganz klar Ja.

Ob Portalpraxen helfen, bleibt abzuwarten

Dr. Leidel zieht das Fazit, dass ein großer Teil der Menschen die Notaufnahme aus Mangel an alternativen ambulanten Versorgungsstrukturen oder Unkenntnis aufsucht. Ähnliche Ergebnisse aus dem Ausland würden diese Erfahrungen bestätigen.

Prinzipiell sollten seiner Meinung nach aber ambulante Notfallstrukturen eng mit Notfallkrankenhäusern verbunden und rund um die Uhr für Patienten zugänglich sein. "Inwiefern die geplanten Portalpraxen hier eine Entlastung der Notaufnahmen bringen, bleibt abzuwarten", so Dr. Leidel.

Nach einem Gutachten der Deutschen Krankenhausgesellschaft von 2015 wird in Rettungsstellen jeder zweite Patient ambulant versorgt, Tendenz steigend. Von 2012 zu 2013 stieg die Zahl ambulanter Notfallbehandlungen gesetzlich Versicherter um 9 %.


Quelle: Spreestadt-Forum