Behandlung einer Alopezie Können die Hoden schrumpfen?

Autor: R. M. Trüeb

Mein 46-jähriger Patient leidet seit ca. sieben Jahren unter diffusem Haarausfall. Seit einem Monat erhält er nun 1 mg Finasterid (Propecia®). Nun ist ihm aufgefallen, dass seine Hoden etwas geschrumpft sind. Erektionsstörungen sind nicht vorhanden. Kann sich Finasterid auf das Hodenvolumen auswirken?

Antwort: Während Hodenschwund (testikuläre Atrophie) als Nebenerscheinung einer Finasteridbehandlung bisher nicht beschrieben wurde, hat die männliche Infertilität im Zusammenhang mit langfristiger Einnahme von Finasterid zur Behandlung von Haarausfall (Originalpräparat: Propecia®) zunehmend die Aufmerksamkeit von Publikumsmedien und Internet-Plattformen erhalten. Das Haarwuchsmittel wird als Risikofaktor für die Samenbildung kolportiert, und Männern wird geraten, "davon lieber Finger und Haare zu lassen", denn das Medikament könne "bei den Spermienzellen bleibende Schäden verursachen".

Zum Thema der Infertilität unter Propecia® finden sich fünf wissenschaftliche Publikationen [1 – 5]. Da es sich um nicht kontrollierte, kleine Fallserien [1, 2] mit einer maximalen Anzahl von drei Personen bzw. Einzelfallberichte [3 – 5] handelt, bleibt der Grad der medizinischen Evidenz niedrig. Glina et al. [1] berichten als Erste über drei ungewollt kinderlose Männer, bei denen unter Propecia® eine schlechte Samenqualität nachgewiesen wurde, räumen aber ein, dass die Männer zusätzliche Faktoren für eine schlechte Samenbildung hatten, mitunter Varikozelen. Collodel et al. [2] schließen bei ihren drei Patienten andere Ursachen für die verminderte Samenqualität ebenfalls nicht aus. Bei den Männern verbesserte sich die Samenqualität nach Absetzen von Propecia®, so dass die Empfehlung dahingehend formuliert wurde, bei verminderter Fertilität im Zusammenhang mit anderen Ursachen auf die Einnahme von Propecia® zu verzichten.

Unbeachtet bleibt dabei die Untersuchung von Overstreet et al [6], die in einer doppelblinden, plazebokontrollierten Studie an 181 Männern zwischen 19 und 41 Jahren die Wirkung von Propecia® im Vergleich zu Plazebo über 48 Wochen untersuchten. Es fanden sich in den beiden Gruppen bezüglich Samenqualität (Zahl, Beweglichkeit und Form der Spermienzellen) keine Unterschiede. Die Autoren schlossen daraus, dass die langfristige Behandlung mit Propecia® keinen Einfluss auf die Spermienbildung junger Männer hat. Aufgrund von Studiendesign, Probandenzahl und Studiendauer weist diese Studie den höchsten Grad der medizinischen Evidenz auf und bildet damit weiterhin die Grundlage für unsere Expertenempfehlungen in Bezug auf den Einfluss von Propecia® auf die Fertilität junger Männer.

Nichtsdestotrotz ist seit Abschluss der Fünf-Jahresstudie mit klaren Aussagen zu Wirkung und Nebenwirkungen von Propecia® bei Männern im Alter zwischen 18 und 40 Jahren [7] immer wieder mit neuen Meldungen über angebliche unerwünschte Wirkungen zu rechnen, die in der Studie gegenüber Plazebo nicht als signifikant erfasst wurden, wie Gynäkomastie, persistierende sexuelle Nebenwirkungen, Depression etc. Eine sorgfältige Postmarketinganalyse hat uns bezüglich der realen Risiken auf dem Laufenden zu halten.

Kontakt
Prof. Dr. med. Ralph M. Trüeb
Dermatologische Praxis und Haarcenter Professor Trüeb
CH-8304 Wallisellen (Zürich)

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (15) Seite 52
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.