Beschwerdemanagement Machen Sie den Quengler zum VIP

Praxisführung Autor: A. Haug

Ein Patient fühlt sich schlecht behandelt und beschwert sich lautstark an der Rezeption. Die Medizinische Fachangestellte, die das abkriegt, ist verärgert. Sie führt triftige Gründe ins Feld, was zu einer weiteren Eskalation der erregten Worte führt. Wartende Patienten fühlen sich durch den Streit unangenehm berührt. Wie kann eine derartige Situation, die wohl jeder in der Praxis schon erlebt hat, vermieden werden?

Wer sich beschwert, ist nicht nur verärgert. Er outet sich öffentlich, er zeigt Verletztheit und Wut - Affekte, die im Nachhinein oft mit Schamgefühl verbunden sind. Daher ist klar, dass eine öffentliche Debatte über eine Beschwerde am Anmeldetresen emotionalen Schaden auslösen kann und unbedingt zu vermeiden ist.

Andererseits ist es keiner MFA zuzumuten, sich Beschwerden zähneknirschend und stumm anhören zu müssen, wenn sie ganz anderer Meinung ist. Daher ist es wichtig, dass jede Praxis im Rahmen des internen Qualitätsmanagements in einer eigens dafür angesetzten Teambesprechung sich eine einheitliche Vorgehensweise zum Umgang mit Patientenbeschwerden erarbeitet und verbindlich festlegt. Wie könnte das entsprechende Vorgehen aussehen?

Schritt 1: Nehmen Sie die Beschwerde ernst und bitten den Beschwerdeführenden um einige Minuten seiner Zeit

Diejenige MFA, die vom Patienten – egal ob zu Recht oder zu Unrecht – zuerst mit einer Beschwerde konfrontiert wird, muss den Vorfall als „emotionalen Notfall“ behandeln. Wie bei jedem anderen Notfall auch, muss sie sich Soforthilfe holen – in diesem Fall eine Kollegin, welche die Arbeit an der Rezeption kurzfristig übernimmt. Dann bittet sie den Beschwerdeführenden mit freundlichen Worten, sie für eine Minute in einen freien Nebenraum zu begleiten, damit sie seine Beschwerde angemessen aufnehmen kann. Bitten Sie ihn, Platz zu nehmen, und gönnen Sie ihm einen Moment der Besinnung, in dem sie ihm ein Glas Wasser anbieten.

Schritt 2: Dokumentieren Sie die Beschwerde auf einem entsprechenden Formular

Nachdem Sie sich zu dem Patienten gesetzt haben, bitten Sie ihn, seine Beschwerde noch einmal in aller Ruhe zu formulieren. Unterbrechen Sie seinen Redefluss keinesfalls, auch wenn er noch so sehr zum Widerspruch reizt. Wenn der Patient geendet hat, teilen Sie ihm mit, dass Sie verstehen können, dass er sich geärgert hat. Nehmen Sie zum Inhalt

seiner Klagen möglichst nicht inhaltlich Stellung. Fragen Sie den Beschwerdeführenden, ob Sie seine Klage auf einem entsprechenden Beschwerdeformular schriftlich aufnehmen und das Problem im Praxisteam ansprechen dürfen. Erklären Sie ihm, dass eine Beschwerde für das Praxisteam ein wichtiges Hilfsmittel sein kann, seine Qualität weiter zu verbessern.

Fragen Sie ihn auch, ob er seine Beschwerde „pseudanonymisiert“ haben möchte, so dass die anderen Teammitarbeiter ihn nicht identifizieren können. Erläutern Sie dem Patienten, in welchem Zeitrahmen das Praxisteam über seine Beschwerde sprechen wird. Fragen Sie ihn, ob er eine Rückmeldung zum Ergebnis dieser Erörterung wünscht, und ob Sie selbst oder jemand anders ihm diese geben sollen. Danken Sie ihm abschließend dafür, dass er Ihnen zur Verfügung stand.

Schritt 3: Die Beschwerde wird in der Teambesprechung diskutiert

Patientenbeschwerden sollten immer so zeitnah wie möglich in der nächsten Praxisteambesprechung thematisiert werden. Diejenige MFA, die die Beschwerde zu Protokoll genommen hat, stellt den Fall vor, der nach den Regeln der Teambesprechung diskutiert wird.

Hier wird einerseits nach einer Lösungsstrategie für das angesprochene Problem gesucht, die konsensfähig ist und schließlich als „Arbeitsanweisung“ für alle gelten soll. Andererseits geht es auch darum, wie dem speziellen Anliegen des Beschwerdeführenden Rechnung getragen werden kann. Abschließend wird festgelegt, wer das Ergebnis der Diskussion dem Patienten mitteilt. Das wird üblicherweise derjenige sein, der die Beschwerde protokolliert hat (oder aber der vom Patienten gewünschte Gesprächspartner). Nur im Ausnahmefall, oder wenn er selbst stark in das Problem involviert ist, sollte der Praxisinhaber das Gespräch mit dem Patienten übernehmen.

Schritt 4: Das Diskussionsergebnis wird dem Beschwerdeführenden mitgeteilt

Von großer Bedeutung ist, wie das Ergebnis der Teamdiskussion dem Patienten mitgeteilt wird. Kommt er öfters im Quartal, und hat er sich nicht wegen seines Ärgers von der Praxis abgewandt, kann man getrost seinen nächsten Praxisbesuch abwarten. Dann sollte er aber darauf angesprochen werden, dass Frau X., die für ihn zuständige „Protokollantin“, kurz mit ihm sprechen möchte. Wieder wird das Gespräch in einem ruhigen Nebenraum in störungsfreier Atmosphäre geführt. Frau X. teilt ihm das Ergebnis der Teamdiskussion mit und fragt nach, ob er mit dieser Lösung einverstanden ist. Bei fehlendem Einverständnis kann der Patient noch einmal seine Meinung darlegen, und es wird abschließend vereinbart, wie man verbleibt. Es gibt durchaus Fälle, wo ein Problem in der Teambesprechung nur scheinbar gelöst wurde, und ein weiteres Mal diskutiert werden muss.

Kommt der Patient eher selten in die Praxis oder ist er „vergrellt“, sollte ihn seine Protokollantin anrufen und ihm das Diskussionsergebnis telefonisch mitteilen. Ergänzend kann sie ihm einen persönlichen Gesprächstermin in der Praxis anbieten, insbesondere wenn das Problem komplexer Natur ist oder weiter Widersprüche bestehen.

Das Ergebnis dieses Verfahrens

Das beschriebene Vorgehen mag vordergründig formalistisch erscheinen. Es hat aber zwei wesentliche Vorteile: Erstens wird die Beschwerde entemotionalisiert. Zweitens wird sie aufgewertet – nämlich als wichtiger Hinweis, anhand der die Qualität der Praxis weiter entwickelt werden kann.

Der Beschwerdeführende wird somit vom „Quengler“ zum Überbringer einer wertvollen Botschaft. Und da er das in dem hier beschriebenen Qualitätskreislauf auch selbst spürt, wird er sich auch nicht abwenden, sondern im Ergebnis sogar zu einem begeisterten Botschafter „seiner“ Praxis werden.


Autor:
Allgemeinarzt
28355 Bremen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (14) Seite 24-25
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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