Arzt und Recht Meine Pflichten als Praxisinhaber:in
Ihre Praxis als Unternehmen
Übertragen auf das Wirtschaftsrecht setzt rechtliche Compliance voraus, dass sich Unternehmen wie z. B. eine Arztpraxis im Einklang mit dem geltenden Recht bewegen. In einem Rechtsstaat ein selbstverständliches Prinzip. Aber es stellt sich die Frage, ob auch in der Arztpraxis nicht ein gewisser organisatorischer Rahmen notwendig ist, um diese Anforderung im Praxisalltag auch zuverlässig erfüllen zu können.
Eine Reihe von Spezialgesetzen schreiben für bestimmte Unternehmen wie börsennotierte Gesellschaften oder bestimmte Branchen wie die Kreditwirtschaft eine Einrichtung von Compliance-Management-Systemen (CMS) vor, um Verstöße gegen Rechtspflichten frühzeitig zu vermeiden. Eine explizite gesetzliche Pflicht zur Einrichtung eines CMS unabhängig von Branche und Unternehmensform gibt es in Deutschland nicht. Damit existiert sie natürlich auch nicht für eine Arztpraxis. Aber: In der Rechtsprechung ist seit mehreren Jahren eine Pflicht zur Vorhaltung angemessener Compliance-Maßnahmen allgemein anerkannt – um der Pflicht, stets rechtskonform zu handeln, die alle Unternehmen unabhängig von Branche oder Organisationsform trifft, gerecht zu werden.
Herausforderungen im Praxisbetrieb
Eine Ärzt:in hat im Praxisalltag viele Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen. Zuallererst ist natürlich die Verantwortung für die Behandlung der Patient:innen zu nennen. Aber mit dem Praxisbetrieb stehen niedergelassene Hausärzt:innen auch mitten im Wirtschaftsleben und werden mit einer Vielzahl von Vorschriften konfrontiert, die Arbeitsabläufe beeinflussen und deren Nichtbeachtung Bußgelder oder gar strafrechtliche Konsequenzen bedeuten kann. Die Regelungsdichte ist für rechtliche Laien oft nur schwer zu durchschauen. Die erste Hürde besteht darin, die Vielzahl der Themen zu erkennen und systematisch zu analysieren, welche Handlungspflichten sich ergeben.
Als Praxisinhaber:in sollte man auch bedenken, dass Rechtspflichten vielfach nicht nur das eigene Handeln betreffen, sondern dass man als Inhaber:in aufgrund des arbeitsteiligen Zusammenwirkens der Mitarbeiter:innen dafür Sorge tragen muss, dass alle im notwendigen Maße sensibilisiert sind, die Rechtspflichten kennen und dass interne Handlungsvorgaben bestehen, welche die Einhaltung sicherstellen.
Beispiel 1: Unternehmenskultur
Gehen Sie als Vorbild voran und werben Sie für einen offene Gesprächskultur, in der alle Vorkommnisse aus dem Praxisalltag angesprochen werden können. Zeigen Sie eine konsequente Haltung, wenn es zu Regelverletzungen kommt. Wenn Ihnen z. B. offen kommuniziert wird, dass eine Mitarbeiter:in einige Patient:innen bei der Terminvergabe bevorzugt, wenn diese ihm im Gegenzug bei jedem Besuch kleine Aufmerksamkeiten zukommen lassen, sollten Sie die Hinweise Ihrer anderen Mitarbeiter:innen ernstnehmen. Klären Sie, ob die Behauptung stimmt, und wenn ja, ziehen Sie Konsequenzen (z. B. Abmahnung). Die Motivation, sich regelkonform zu verhalten steigt, wenn die Mitarbeiter:innen sich mit ihren Anliegen ernst genommen fühlen. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass jeder machen kann, was er möchte, und Fehlverhalten ohnehin unentdeckt bleibt, weil weggeschaut wird.
Spezielle Regelungen des Gesundheitswesens, wie z. B. das Vertragsarztrecht, das Berufsrecht, das Wettbewerbsrecht oder das Heilmittelwerberecht sind genauso wichtig wie die allgemeinen Vorschriften im Arbeitsrecht, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht und Strafrecht. Auch die Regelungen zum Datenschutz spielen in einer Praxis aufgrund der Sensibilität der ausgetauschten Informationen eine besondere Rolle. Die aus der Presse bekannten Skandale zu Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie auch traditionell dem Wirtschaftsstrafrecht zuzuordnende Fragestellungen im Healthcare-Bereich relevant werden können.
Eine niedergelassene Ärzt:in ist in der Regel immer auch Arbeitgeber:in, und schon bei der Auswahl von Bewerber:innen greifen arbeitsrechtliche Ge- und Verbote, deren Nichtbeachtung Konsequenzen haben kann. Die arbeitsrechtliche Compliance setzt sich fort beim Vertragsschluss, im Arbeitsverhältnis und auch bei Beendigung einer vertraglichen Beziehung. Der gesamte Lebenszyklus eines Arbeitsverhältnisses unterliegt gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Das Problem: Vielfalt an Regelungen
Der rechtliche Rahmen für Geschenke an Patient:innen oder Kooperationspartner ist eng. Berufsrechtliche Vorschriften und strafrechtliche Regelungen gilt es im Detail zu kennen. Während die einfache Pralinenschachtel als Geschenk in der Regel noch mit dem Berufsrecht vereinbar sein sollte, ist die Frage bei einer hochwertigen Flasche Wein deutlich schwieriger zu beantworten. Wie viel Sponsoringleistung von Pharmaunternehmen ist rechtlich zulässig? Wann überschreitet eine grundsätzlich zulässige Kooperationsform die Grenze zur strafrechtlichen Relevanz? Die beschriebenen Szenarien verdeutlichen, welche Regelungsvielfalt bereits in den hier nur stichpunktartig aufgeworfenen Aspekten steckt.
Der Lösungsansatz: eigenes CMS
Die verschiedenen Lösungen, die sich im Bereich der Compliance-Management-Systeme (CMS) in gewerblichen Betrieben etabliert haben, können auch für eine Arztpraxis ein Gewinn sein. Denn wer sich einmal die Mühe macht, für die eigene Praxis die individuellen Risiken zu analysieren und bewusst mit ihnen umzugehen, gibt für die Zukunft Sicherheit und schützt vor allem vor Schäden, die drohen, wenn die Risiken unerkannt bleiben.
Ziel eines CMS ist es, Rechtsverstöße zu verhindern und potenzielle Schadens- und Haftungsfälle zu vermeiden. Dadurch sichern Sie als Ärzt:in effizient und nachhaltig Ihre Reputation, was im Arztberuf, geprägt durch das persönliche Vertrauensverhältnis, besonders wichtig ist.
Konkrete Vorteile durch CMS
Zu Beginn steht eine Risikoanalyse. Eine sorgfältige Betrachtung, welchen individuellen Risiken die Hausarztpraxis ausgesetzt ist, ist die Voraussetzung für ein System, das zu den praxisspezifischen Anforderungen passt. Je kleiner der Betrieb, desto geringer sollte der Aufwand sein, das Thema ist risikoorientiert und verhältnismäßig zu steuern. Es gilt der Grundsatz der Flexibilität und Wirtschaftlichkeit.
Praxisbeispiel 2: Digitalisierung
Sie sind stolz und erleichtert, in Ihrer Praxis eine neue Patientensoftware eingeführt zu haben, zusammen mit einem Patientenbildschirm. Diesen können Sie gemeinsam mit den Patient:innen einsehen, wenn Sie mit ihnen im Arztzimmer ein Gespräch führen. Sie können dort für die jeweilige Patient:in sichtbar die Akte öffnen und diese kann z. B. Ergebnisse einer Blutabnahme oder Befunde mitverfolgen. Sie öffnen die Akte jeweils selbst, wenn Sie das Gespräch beginnen. Nach der Behandlung sind Ihre Mitarbeiter:innen dafür zuständig, das Behandlungszimmer wieder für die nächste Patient:in vorzubereiten. In Bezug auf den Umgang mit der Patientenakte haben Sie keine konkrete Anweisung an Ihre Mitarbeiter:innen erteilt. Es trägt daher keiner dafür Sorge, dass die geöffnete Akte geschlossen wird, bevor die nächste Partei den Raum betritt.
Es kommt, wie es kommen muss: Eine Mitarbeiterin führt eine Patientin in das Arztzimmer und die Akte der zuvor behandelten Partei ist noch geöffnet, zufällig ist es der Nachbar der Patientin. Die Wartezeit bis zu Ihrem Eintreffen wird nun kurzweilig. Die wartende Patientin studiert ausführlich, wie alt der Nachbar genau ist und welche Befunde Sie erhoben haben. Als die Patientin an diesem Abend nach Hause kommt, berichtet sie ihrem Ehepartner, dass sich der Nachbar mit einer ansteckenden Krankheit infiziert hat.
Dieser Vorgang stellt einen gewichtigen Verstoß gegen berufsrechtliche Pflichten und gegen Datenschutzbestimmungen dar. Die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht ist sogar eine Straftat. Sie haben es in diesem Fall versäumt, das Risiko zu erkennen und durch organisatorische Maßnahmen, wie z.B. einen Arbeitsanweisung, dafür Sorge zu tragen, dass niemals eine andere Akte, als die eigenen Patientenakte geöffnet ist, wenn andere Patient:innen das Arztzimmer betreten. Daher kann Ihnen zusätzliche ein Bußgeld für die Verletzung Ihrer Aufsichtspflicht drohen. Die Datenschutzverletzung ist eine betriebsbezogene bußgeldbewehrte Pflichtverletzung.
Auch aus Sicht der rechtlichen Prophylaxe ist ein systematisches Vorgehen hilfreich: Die Rechtsprechung erkennt seit einigen Jahren an, dass ein funktionierendes CMS eine gehörige Aufsicht im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts darstellt. Wer also nachweisen kann, dass er die individuellen Risiken seines Praxisbetriebs analysiert hat und sie bewusst steuert, gegen den kann der Vorwurf von Versäumnissen bei der Aufsichtspflicht nicht erhoben werden. Das Risiko einer Bußgeldhaftung wird so bereits effizient reduziert.
Ein CMS reduziert auch das Haftungsrisiko der Praxisinhaber:in. Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt eine Aufsichtspflicht (§ 130 OWiG), welche sie verpflichtet, eine "gehörige Aufsicht" zu führen, um straf- oder bußgeldbewehrte betriebsbezogene Pflichtverletzungen von Mitarbeiter:innen zu verhindern.
Fehlt es an dieser gehörigen Aufsicht und kommt es zu einer Pflichtverletzung, drohen der Praxisinhaber:in empfindliche Bußgelder, bei Fahrlässigkeit können das bis zu 500.000,- € sein.
Neben der Rechtssicherheit leistet ein CMS aber auch einen wertvollen Beitrag für die Unternehmenskultur. Eine Kultur, die sich durch gemeinsame Ideen, Begeisterung, Wert und Überzeugungen auszeichnet, bewegt Mitarbeiter:innen positiv. Das hat den Effekt, dass die Regeltreue zur Selbstverständlichkeit wird und Motivationslagen für regelwidriges Verhalten verhindert werden.
Die Einführung eines CMS stellt auch in der Arztpraxis einen Mehrwert für Sie und Ihren Praxisbetrieb dar. Nur wer seine tatsächlichen Risiken kennt und einzuschätzen weiß, kann auch gegensteuern. Mit einem funktionierenden CMS verringern Sie Ihre Haftungsrisiken, schaffen Vertrauen und sichern nachhaltig den Erfolg Ihrer Arztpraxis. Dafür werden Ihnen Ihre Patient:innen und die, die es noch werden wollen, dankbar sein.
Autorin
Bette Westenberger Brink Rechtsanwälte
Partnerschaftsgesellschaft
kap@bwb-law.de
Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 61-63
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.