Unterstützung für Patienten Pflegestufe abgelehnt – was nun?

Praxisführung Autor: Susanne Grundke, Andreas Klement

Fragen zur Beantragung einer Pflegestufe gehören immer häufiger zum hausärztlichen Beratungsalltag. Atteste, Bescheinigungen oder Stellungnahmen sollen helfen, den subjektiv wahrgenommenen Pflegebedarf bei der Angehörigenpflege medizinisch zu begründen. Hier gilt es mit Missverständnissen aufzuräumen und den Bedarf z. B. mit einem Pflegetagebuch zu dokumentieren.

Seit 2006 stieg die jährliche Anzahl der Anträge zur Gewährung einer Pflegestufe von ca. 800 000 auf jetzt rund 1 Million. Hiervon wird im langjährigen Mittel etwa jeder vierte Antrag abgelehnt. Jedes Jahr werden vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mehr als 100 000 Widerspruchsgutachten angefertigt. Allein 2013 sind über 6 000 Widerspruchsbescheide mit einer Klage vor dem Sozialgericht angefochten worden (Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache 18/4730). Entsprechend häufig suchen Patienten und deren Angehörige Unterstützung und Hilfe bei ihrem Hausarzt.

Gut vorbereitete Antragstellung

Die zielgerichtete Zusammenstellung der Vorbefunde und Diagnosen ist ausschlaggebend, nicht die Menge. Stellen Sie Ihren Patienten für das Antragsverfahren (Erst-, Folge- oder Widerspruchsbegutachtung) Behandlungsunterlagen und Vorbefunde zur Verfügung. Bedenken Sie dabei: Im Pflegestufengutachten verschlüsseln die MDK-Gutachter ein bis zwei Diagnosen nach ICD-10, die Pflegebedürftigkeit im Wesentlichen begründen. Achten Sie deshalb bei der Antragstellung unbedingt darauf, die Diagnosen anzugeben (nach ICD-10), die im Wesentlichen die Pflegebedürftigkeit/den Unterstützungsbedarf und damit den Antrag auf eine Pflegestufe begründen. Geben Sie stets die Diagnose zuerst an, die den meisten Pflegebedarf verursacht (Begutachtungsrichtlinien BRi, XI. Buch SGB 2014, S. 39). Es reicht also nicht aus, allein die Apoplexie oder Demenz anzuführen. Besser wäre "vaskuläre Demenz nach Apoplex". Zusätzlich können hier Ihre Dokumentationen zu Funktionseinschränkungen, Orientierungsstörungen (zeitlich, örtlich, persönlich, situativ), Weglauf- und/oder Sturzgefahr, Malnutrition, Gewichtsverlust etc. hilfreich sein für die Meinungsbildung des MDK-Gutachters zum Unterstützungsbedarf Ihres Patienten. Wichtig sind auch Informationen zu (relevanten) Klinikaufenthalten, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Heil- und Hilfsmittelversorgung sowie häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V.

Häufige Missverständnisse

Gewünscht werden häufig vom Hausarzt Atteste, Bescheinigungen oder Stellungnahmen, die den subjektiv wahrgenommenen Pflegebedarf bei der Angehörigenpflege auf "medizinische Gründe" zurückführen, um den MDK-Gutachter zu "überzeugen". Hier liegen oft zwei Missverständnisse vor, die im ärztlichen Gespräch ausgeräumt werden sollten, um falschen Erwartungen und Enttäuschungen vorzubeugen: Zum einen bedeutet eine schwere Krankheit nicht gleich "Pflegebedürftigkeit" im Sinn der §§ 14, 15 und/oder § 45a SGB XI. Zweitens müssen bereits für die Pflegestufe 1 tägliche Zeitaufwände von 90 Minuten (sog. Gesamtpflegezeit) für Unterstützungsleistungen anfallen – davon mindestens 45 Minuten für Leistungen der Grundpflege (insbesondere Körperpflege, Mobilität und Ernährung).

Das Pflegetagebuch

Dem Pflegestufenantrag/Widerspruch sollte ein Pflegetagebuch beigefügt werden, welches jegliche Hilfe- und Unterstützungsleistungen in den Bereichen Körperpflege, Mobilität, Ernährung und hauswirtschaftliche Versorgung tages- und wochengesamt aufführt. So können die Gutachter des MDK bei der Erst-, Folge- oder Widerspruchsbegutachtung den tatsächlichen Hilfebedarf leichter nachvollziehen – insbesondere dann, wenn Pflegebedürftige in der Situation der Pflegestufenbegutachtung eher zur Positivdarstellung ("…ach, das geht schon"…) neigen. Pflegende Angehörige wissen meist wenig darüber, wie der MDK-Gutachter Pflegebedürftigkeit feststellt und "berechnet". Meist empfinden pflegende Angehörige ihre Hilfe- und Unterstützungsleistungen als derart selbstverständlich, dass sie diese in einer Pflegestufenbegutachtung nicht angeben. Hier empfiehlt sich ein Pflegetagebuch, um alle tatsächlich erbrachten Unterstützungsleistungen und damit den tatsächlichen Hilfebedarf zu dokumentieren. Denn letztlich summieren sich die 1-3 Minuten für das Kämmen der Haare, die 2-3 Minuten für die mundgerechte Zubereitung einer Hauptmahlzeit und Bereitstellen eines Getränkes sowie die 1-2 Minuten für jedes Händewaschen mit vielen anderen "kleinen Dingen" zu größeren "Zeitbeträgen". Da die Einstufung in eine Pflegestufe entlang von Zeitkorridoren erfolgt, fehlen dann schlimmstenfalls nur wenige Pflegeminuten, um die beantragte Pflegestufe zu erhalten.

Widerspruch einlegen

Wenn die Patienten Widerspruch gegen die festgesetzte oder abgelehnte Pflegestufe einlegen möchten, so muss dieser unbedingt schriftlich (formlos) innerhalb von vier Wochen bei der Pflegekasse eingereicht werden. Der Patient sollte unbedingt im Widerspruchsschreiben eine Kopie des originalen MDK-Gutachtens anfordern (falls noch nicht vorliegend). Spätestens jetzt sollte mit der Dokumentation des Hilfe- und Unterstützungsbedarfs begonnen werden. Eine Vorlage für ein Pflegetagebuch ist erhältlich über die Pflegekasse oder – erstmalig angelehnt an die Begutachtungsrichtlinie und Empfehlungen des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen – in unserer Praxishilfe (siehe unten). So wird es möglich, konkret und gestützt auf eigene Dokumentation in der "Widerspruchsbegründung" auf die Entscheidung des MDK-Gutachtens zu reagieren. Es ist nicht hilfreich, im Internet zirkulierende "Standardvorlagen" für das Widerspruchsschreiben zu verwenden. Erfolgversprechender ist es, auf den Einzelfall und das Pflegestufengutachten "Punkt für Punkt" Bezug zu nehmen.

Haben wir Ihr Interesse geweckt?

Unsere Praxishilfe informiert darüber, wie Sie pflegebedürftige Patienten und deren Angehörige noch besser darin unterstützen können, Zugang zu geeigneten Pflege-, Versorgungs- und Betreuungsleistungen zu finden. Wir zeigen darüber hinaus Möglichkeiten der Gestaltung gemeinsamer Pflegeheimvisiten und kooperativer Fallplanung von Hausärzten und Pflege auf – damit es gemeinsam besser und leichter geht. Im Anhang finden sich viele nützliche Hilfen, z. B. eine Vorlage für ein Pflegetagebuch entsprechend der aktuellen Begutachtungsrichtlinie (BRi). Zu beziehen ist die Praxishilfe für 14,90 Euro beim Kirchheim-Verlag (www.kirchheim-shop.de, Telefon 0711/6672-1483).


Autoren:
Prof. Dr. phil. Susanne Grundke, Department Gesundheit und Pflege, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes

Prof. Dr. med. Andreas Klement, Sektion Allgemeinmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (19) Seite 60-62
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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