Sexuelle Orientierung Psychiatrische Abklärung erforderlich?

Autor: U. Kuhnle-Krahl

Ist die Neigung eines 16-Jährigen, sich mit Frauenunterwäsche zu schmücken, ein Grund zum Aufsuchen einer Beratungsstelle für Transsexualität?

Antwort: Zunächst sollte man unterscheiden zwischen Transsexualität, Transvestismus, Homosexualität und Intersexualität. Letzteres halte ich bei dem geschilderten Patienten für unwahrscheinlich, da es sich dabei um eine organische Erkrankung handelt, in der Regel verbunden mit Hormonstörungen, die oft mit genitalen Fehlbildungen einhergehen, die schon bei der Geburt auffallen.

Bei der Homosexualität handelt es sich um eine veränderte sexuelle Orientierung, ein Mann oder eine Frau fühlt sich zum gleichen Geschlecht hingezogen. Die Psychiatrie und die Psychologie sind sich einig, dass es sich dabei nicht um eine Erkrankung handelt, eine urologisch-hormonelle Abklärung ist unnötig.

Der Transvestismus (und/oder transvestitischer Fetischismus) gehört zu den Varianten des menschlichen Sexuallebens und ist in der Regel mit Heterosexualität verbunden, das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechtes führt zur sexuellen Erregung. Eine organische Ursache liegt diesem Verhalten nicht zugrunde. Häufiger sind Männer betroffen. Laut ICD-10 handelt es sich um eine psychische Störung, die bei entsprechendem Leidensdruck auch psychotherapeutisch behandelt werden kann.

Bei der Transsexualität handelt es sich um eine Geschlechtsidentitätsstörung, die sich meist schon sehr früh in der Kindheit entwickelt und manifestiert. Die Betroffenen fühlen sich „gefangen“ im falschen Körper und wünschen in der Regel eine Geschlechtsumwandlung. Eine biologische Ursache konnte bisher nicht gefunden werden. Zur Diagnostik gehört eine medizinisch-endokrinologische Untersuchung ebenso wie eine psychiatrische Untersuchung mit einem entsprechenden Gutachten und eine psychotherapeutische Begleittherapie. Am Ende der „Therapie“ steht dann die chirurgische und standesamtliche Geschlechtsumwandlung.

Es gibt von der Stadt München eine „Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ (www.muenchen.de/koordinierungsstelle) und ebenfalls in München einen ärztlichen Qualitätszirkel „Transsexualität“, in dem sich Ärzte verschiedener Fachrichtungen (z. B. Endokrinologen, Urologen, Psychiater) regelmäßig austauschen (Auskunft über info@kinderarzt.com).

Kontakt
Prof. Dr. med. Ursula Kuhnle-Krahl
Kinderpoliklinik
Klinikum Innenstadt der LMU
82131 München-Gauting

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (2) Seite 44
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.