Hausarzt im Pflegeheim So ziehen Sie an einem Strang

Praxisführung Autor: Susanne Grundke, Andreas Klement

Zunehmend komplexere Versorgungsprozesse und ein verändertes Morbiditätsspektrum erfordern eine bessere Verschränkung primärärztlicher und pflegerischer Versorgung. Grundvoraussetzung für eine bedarfsgerechte Versorgung ist die abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Hausarztpraxis und Pflegefachkräften in gemeinsamer Fallplanung, effektiver Kommunikation und nicht zuletzt in wechselseitigem Verständnis für die Arbeitsanforderungen des jeweils anderen.

Die Rahmenbedingungen für die Gestaltung der Zusammenarbeit primärärztlicher und (Langzeit-)pflegerischer Versorgung sind jeweils bestimmt von enormer Arbeitsdichte, zunehmenden bürokratischen Anforderungen und Personalengpässen.

Der Personalbedarf in der Pflege – insbesondere in ambulanten und langzeitstationären Einrichtungen für Altenpflege – ähnelt stark den Nachwuchssorgen in der Allgemeinmedizin: Zum einen entscheiden sich zu wenige Berufsanfänger für dieses Berufsfeld, zum anderen scheiden durch Alter und Erschöpfung viele erfahrene Kräfte aus oder reduzieren ihre Arbeitszeit [3, 4]. Weder Kapazitäten noch Versorgungsformen sind derzeit ausreichend für die kommenden Herausforderungen [4, 5]. Zwar weisen Statistiken einen deutlichen Beschäftigungszuwachs in Altenpflegeheimen aus, dieser betrifft jedoch kaum Vollzeitstellen. Zugenommen haben vor allem Teilzeitbeschäftigung und geringfügige Beschäftigung. Der Anteil an akademisch ausgebildeten Pflegekräften in häuslicher, Akut- und Langzeitpflege ist nach wie vor äußerst gering und deutlich unter der geforderten akademischen Durchdringung von 10 bis 20 %, die der Wissenschaftsrat (2012) als Ziel benannt hat [6].

So ist die flächendeckende, wohnortnahe primärärztliche Versorgung ebenso gefährdet wie die pflegerische Langzeitversorgung [4, 6, 7, 8]. Umso wichtiger ist es, die Zusammenarbeit zwischen Hausarztpraxis und Pflegefachkräften ressourcenschonend und effizient zu gestalten.

Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit

Hauptprobleme in der Zusammenarbeit zwischen Hausarztpraxis und Pflegefachkräften liegen v. a. im unvollständigen und unsystematischen Informationsaustausch. Unzureichend abgestimmte Therapiestrategien/Pflegeplanungen gefährden ärztliche Behandlungserfolge und das Erreichen von Pflege(qualitäts-)zielen gleichermaßen [2, 9, 10, 11].

Im Rahmen einer Studie zur gemeinsamen Versorgung insulinpflichtiger geriatrischer Diabetiker erfassten die Autoren die Problemsicht auf die berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit aus beiden Perspektiven – der Hausärzte und der Pflegefachkräfte [9, 10]:

Aus Sicht der Hausärzte wird die Zusammenarbeit mit Pflegefachkräften in Altenpflegeheimen erschwert, wenn

  • die Kompetenz der Pflegefachkraft zur Situations- und Risikoeinschätzung unzureichend ist, mit der Folge mangelhafter Differenzierungskompetenz zwischen "Notfall" und pflegeprofessionell bewältigbarer Situation (Pflegebedürftige werden eilig ins Krankenhaus verbracht oder unnötig ein dringlicher Hausbesuch angefordert);
  • die Situations- und Risikoeinschätzung durch die Pflegefachkraft nicht mittels evidenzbasiertem Assessment objektiviert und entsprechend systematisch an die Hausarztpraxis übermittelt wird;
  • Rückinformation zu verändertem Versorgungsbedarf/Veränderung des Befindens des Pflegebedürftigen an den Hausarzt ausbleibt, unvollständig ist oder fachsprachlich lückenhaft übermittelt wird;
  • bei Hausbesuchen keine Ansprechpartner anzutreffen sind, die zum Befinden des Pflegebedürftigen umfassend informiert und auskunftsfähig sind;
  • die Durchführungskompetenz in der Behandlungspflege unzureichend ist und nicht den allgemeingültigen pflegefachlichen Standards (hier u. a. die sogenannten Expertenstandards) entspricht;
  • Wissensvorräte veraltet sind und damit bestmögliche Krankenbeobachtung und evidenzbasierte Pflege unmöglich machen.

Aus Sicht der Pflegefachkräfte wird die Zusammenarbeit mit Hausarztpraxen (Allgemeinarzt und MFA) erschwert, wenn

  • Diagnosen und Therapieziele des Hausarztes nicht mit den Pflegefachkräften besprochen werden, so dass diese ihre Pflegeplanung entsprechend anpassen können;
  • nicht festgelegt ist, ab wann und wie fallindividuell bei akuten Ereignissen vorgegangen werden soll;
  • keine (für beide Seiten geeignete) Zeit für regelmäßige Visiten und gemeinsame Fallbesprechung geplant werden kann;
  • zu selten die Pflegedokumentation (u. a. Pflegeplanung und Pflegebericht) eingesehen wird;
  • Angaben zu Diagnosen und Arzneimitteltherapie unvollständig sind oder Verordnungsdokumentation in der Pflegeakte verweigert wird;
  • haftungs- und delegationsrechtliche Rahmen der Pflegearbeit unbekannt sind – dies betrifft oft Themen wie Bedarfsmedikation oder auch vom Pflegebedürftigen selbst gekaufte Medikamente (diese dürfen von der Pflegefachkraft nicht verabreicht werden, sondern bedürfen, anders als in der Laienpflege, einer ärztlichen Anordnung).

Möglichkeiten guter Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Pflege

Pflegefachkräfte werden viel zu selten in die hausärztliche Therapiegestaltung einbezogen [1, 9, 10, 11, 12]. Hausärzte und Pflegeeinrichtungen sollten den gegenseitigen Informationsaustausch miteinander verbindlich vereinbaren. Dazu gehört v. a. auch, wie pflege- und behandlungsrelevante Informationen wechselseitig (möglichst standardisiert) übermittelt werden können. Am Anfang könnte das gemeinsame Erarbeiten einer übersichtlichen Handlungsempfehlung zum Informationsaustausch (wer ist wann für wen auf welchen Wegen erreichbar und wie sollten Routine- bzw. dringliche Nachrichten gekennzeichnet bzw. übermittelt werden?) stehen. Diese könnte als verbindlicher Bestandteil des Qualitätsmanagements in Hausarztpraxis und Pflegeheim eingesetzt werden und stellt eine wichtige Grundlage einer systematischen Kommunikation und Verständigungssicherung dar [1, 2, 9, 10, 11, 12].

Nutzen der Pflegedokumentation für die gemeinsame Fallplanung

Pflegefachkräfte dokumentieren ihre Be-

obachtungen systematisch in der Pflegedokumentation. Die zusammenfassenden Berichte der Pflegevisiten (turnusmäßige Maßnahme zur hausinternen Qualitätssicherung in Pflegeeinrichtungen) sind obligatorischer Bestandteil der Pflegedokumentation und können dem Hausarzt einen zusammenfassenden und übersichtlichen Eindruck geben zu verändertem Allgemeinzustand und veränderten Versorgungsbedarfen. Unter Zuhilfenahme des Pflegeberichts könnten Hausarzt und Pflegefachkraft bei einer gemeinsamen Visite gezielt besprechen, welche (Neu-)Anpassungen nötig sind [12].

Pflegefachkräfte sind gehalten, die Pflegedokumentation übersichtlich zu führen und jegliche Doppeldokumentation zu vermeiden. Auch sei angemerkt, dass es nicht Aufgabe des Hausarztes sein kann, aus einer "dicken Papiersammlung" oder einem nicht vertrauten elektronischen Dokumentationssystem im zeitlich begrenzten Rahmen des Hausbesuchs Informationen zu veränderten Versorgungsbedarfen des Hausbesuchspatienten selbst zu "entdecken". Pflegefachkräfte sind hier in der Verantwortung, die für den Hausbesuch wichtigen Informationen übersichtlich zur Einsicht vorzuhalten und auskunftsfähig zum Patientenfall und dessen Entwicklung/veränderten Versorgungsbedarfen zu sein.

Gemeinsame Fallbesprechungen im Rahmen von Hausbesuchen

Die Erstkontakt- und nachfolgende (geplante) Regelvisite sollte gemeinsam mit einer Pflegefachkraft vorbereitet werden. Bei der Strukturierung von Pflegeheimbesuchen können die abgebildeten Checklisten "Erstvisite" und "Regelvisite" hilfreich sein.

Das Buch zum Thema

PRAXISHILFEN Praktische Geriatrie, Band 5: Pflegebedürftigkeit
14,90 €, ISBN 978-3-87409-586-0
Überall im Buchhandel oder per Internet www.kirchheim-shop.de

Delegationsgrundsätze

Im Rahmen der Erst- und Regelvisite sollte der Hausarzt sicherstellen, dass die Pflegefachkraft komplexe Krankheitsbilder richtig in den Pflegeprozess übersetzt, alle wichtigen Parameter der Patientenbeobachtung im Blick hat, Komplikationen rechtzeitig erkennt, richtig beurteilt sowie systematisch an den Arzt übermittelt (in Anlehnung an die Delegationsgrundsätze – Instruktions-, Beratungs- und Überwachungspflicht) [12]. Die ärztliche Gesamtverantwortung beginnt damit, sich zu vergewissern, dass die (medizinische) Behandlungspflege als ärztlich delegierte Leistung fachgerecht durchgeführt werden kann und die Pflegefachkraft u. a. die dafür nötigen Informationen (wie z. B. zu Nebenwirkungen und/oder möglichen Risiken einer Behandlung) zur Verfügung gestellt bekommt. Der behandelnde Arzt ist, ebenso wie der Einrichtungsträger, verpflichtet, eine Gefährdung der Patienten auszuschließen (§ 28 Abs. 1 S. 3 SGB V). Genau hierzu sollte ggf. der Arzt im Hausbesuch kurze Mitteilungen zur ärztlichen Einschätzung des Patientenzustandes bzw. zur Krankenbeobachtung in der Pflegeakte hinterlegen.

Doppelnutzen durch Qualitätssicherung und Expertenstandards

Die Träger der Pflegeeinrichtungen stehen in der Eigenverantwortung, die Qualität der Erbringung von Pflegeleistungen sicherzustellen und weiterzuentwickeln (gem. § 112 SGB XI). Der MDK überprüft die Einhaltung dieser Verpflichtung. Kommen die Pflegeeinrichtungen (bzw. auch deren dort beschäftigte Pflegefachkräfte) den gesetzlich festgeschriebenen Qualitätsanforderungen nicht nach, müssen anlassbezogene Prüfungen beim MDK oder beim Prüfdienst des Verbandes Privater Krankenkassen angefragt werden – dies ggf. angeregt auch durch den Hausarzt in Wahrung der ärztlichen Delegationsverantwortung.

Zur Qualitätsverantwortung der Pflegeeinrichtungen gehört die Pflicht, Expertenstandards anzuwenden (gem. § 113a SGB XI) [13]. Expertenstandards (DNQP) bieten eine gute Grundlage für die gemeinsame Fallplanung: So enthält beispielsweise der Expertenstandard "Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen" Möglichkeiten des Schmerz-Assessments (z. B. bei kognitiv eingeschränkten Menschen); Anwendungshinweise für Selbst- und Fremdeinschätzungsinstrumente sind dem Expertenstandard beigestellt. Expertenstandards existieren u. a. für die Bereiche Entlassungsmanagement, Schmerzmanagement, Sturzprophylaxe, Pflege von Menschen mit chronischen Wunden sowie Ernährungsmanagement in der Pflege. Damit sind wichtige Schnittstellen zwischen hausärztlichen und pflegerischen Aufgabenfeldern (auch) auf pflegerischer Seite "standardisiert". Dies lässt sich für Hausärzte nutzen, da die inhaltliche Struktur eines pflegerischen Expertenstandards stets Risikoerhebung (Screening/Assessment), Verfahrensregelungen für interdisziplinäre Zusammenarbeit und sogenannte Auditinstrumente umfasst, die Kriterien zur internen Erfolgs- bzw. Qualitätskontrolle beinhalten.

Expertenstandards (DNQP) sind verbindliche Handlungsorientierung (§ 113a Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 01.07.2008) in der Pflegeprozessgestaltung und gelten somit bei juristischen Auseinandersetzungen als vorweggenommene Sachverständigengutachten. Im Schadensfall erfolgt bei Nichtbeachtung oder Nichtumsetzung die Klärung der Haftungsverantwortung (straf- und zivilrechtlich). Daher ist es für Hausärzte sinnvoll, diese Standards zu kennen oder sich anlassbezogen in der Pflegeeinrichtung erläutern zu lassen, um Konflikte zu vermeiden und bereits vorhandene Kenntnisse/Assessmentinstrumente zu nutzen (z. B. bei der Schmerzmittelbedarfsmedikation oder Wundbehandlung).

Literatur:
1. Tandjung R, Rosemann T, Badertscher N. Gaps in continuity of care at the interface between primary care and specialized care: general practitioners´ experiences and expectations. Int J Gen Med. 2011; 4: 773-8
2. Nina Fleischmann1, Britta Tetzlaff, Jochen Werle, Christina Geister, Martin Scherer, Siegfried Weyerer, Eva Hummers-Pradier1 and Christiane A., Mueller. Interprofessional collaboration in nursing homes (interprof): a grounded theory study of general practitioner experiences and strategies to perform nursing home visits. BMC Family Practice (2016) 17:123.
3. Kassenärztliche Bundesvereinigung gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/17016.php, Zugriff 23. März 2016
4. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Bedarfsgerechte Versorgung - Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. 2014, Ziffer 163.
5. Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A. Pflegereport 2016. Schwerpunkt: Die Pflegenden im Fokus. Stuttgart: Schattauer.
6. Wissenschaftsrat (2012) Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen. Drs. 2411-12, Berlin 13 07 2012.
7. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) Sondergutachten. Gutachten 2012. Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung
8. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) Gutachten 2014. Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche.
9. Grundke S, Klement A (2015) Betreuungsprobleme älterer insulinpflichtiger Diabetiker in der Hausarztpraxis. In: Detka C (Hrsg.) Qualitative Gesundheitsforschung: Beispiele aus der interdisziplinären Forschungspraxis. Opladen: Budrich.
10. Grundke S, Klement A. Insulintherapie im Alter: Eine qualitative Versorgungsstudie. Diabetes, Stoffwechsel und Herz 2015, 24 (1): 11 – 17.
11. Rosemann T, Joest K, Körner T, Schaefert R, Heiderhoff M, Szecsenyi J. How can the practice nurse be more involved in the care of the chronically ill? The perspectives of GPs, patients and practice nurses. In: BMC Fam Pract. 2006 Mar 3;7:14.
12. Grundke S, Klement A. Pflegebedürftigkeit (2015) In: Mader FH, Landendörfer P (Hrsg.) Praxishilfen Geriatrie: Der ältere Patient beim Hausarzt. 1. Auflage. Mainz: Kirchheim.
13. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Expertenstandards und Auditinstrumente. www.dnqp.de/de/expertenstandards-und-auditinstrumente/, Zugriff 12. September 2016


Autoren:
htw saar, Department Gesundheit und Pflege
66117 Saarbrücken
Sektion Allgemeinmedizin
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
06112 Halle (Saale)

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (16) Seite 22-26
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Abb. 1: Checkliste Erstvisite für neue Heim-/neue Hausbesuchspatienten [12] Abb. 1: Checkliste Erstvisite für neue Heim-/neue Hausbesuchspatienten [12]
Abb. 2: Checkliste Regelvisite [12] Abb. 2: Checkliste Regelvisite [12]
Das Buch zum Thema: PRAXISHILFEN Praktische Geriatrie, Band 5: Pflegebedürftigkeit
Das Buch zum Thema: PRAXISHILFEN Praktische Geriatrie, Band 5: Pflegebedürftigkeit