Wirtschaftlichkeitsprüfung Steigt die Regressgefahr?

Praxisführung Autor: W. Enzmann

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Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz war zum 1. Januar 2012 der Grundsatz „Beratung vor Regress“ eingeführt worden. Seit eine enge Auslegung dieses Grundsatzes durch das Bundessozialgericht das Regressrisiko wieder vergrößert hat, ist auch die Bedeutung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen wieder gewachsen.

Das Sozialgesetzbuch verpflichtet Ärzte bei der Verordnung von Arzneimitteln zur Wirtschaftlichkeit. Ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig müssen danach die verordneten Leistungen sein: Ausreichend, wenn sie nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen für eine Heilung bieten und einen Mindeststandard garantieren; zweckmäßig, wenn sie zur Herbeiführung des Heilerfolgs geeignet und hinreichend wirksam sind, notwendig, wenn sie unentbehrlich, unvermeidlich oder unverzichtbar sind, und wirtschaftlich, wenn die gewählte Therapie im Vergleich zu anderen ein günstiges Verhältnis von Kosten und Nutzen aufweist.

Ob Ärzte diesen Vorgaben entsprechend arbeiten, soll die gesetzlich vorgeschriebene Wirtschaftlichkeitsprüfung ermitteln, die es als Richtgrößenprüfung (Auffälligkeitsprüfung) und als Stichprobenprüfung (Zufälligkeitsprüfung) gibt. Seit Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) zum 1. Januar 2011 kann in den Prüfvereinbarungen zudem eine arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen – bezogen auf die Wirkstoffauswahl und -menge im jeweiligen Anwendungsbereich – aufgenommen werden, die die Richtgrößenprüfung ablösen kann.

In den Prüfvereinbarungen können weitere Prüfungen (beispielsweise nach Durchschnittswerten, Einzelfallprüfung) vorgesehen werden.

Die Richtgrößen- oder Auffälligkeitsprüfung

Die Prüfung nach Richtgrößen ist als Regelprüfmethode vorgesehen. Solche Richtgrößen sind im Vorhinein bekanntgegebene Durchschnittswerte (sogenannte Orientierungswerte). Sie werden bei Arzneimitteln und Verbandsstoffen auf der Basis des auf Landesebene vereinbarten Ausgabenvolumens gebildet, das vereinbarte Volumen wird um Zuzahlungen und Rabatte ergänzt. Werden die Richtgrößen um einen festgelegten Prozentsatz überschritten, muss die Prüfungsstelle untersuchen, inwieweit die Überschreitung durch definierte Praxisbesonderheiten bedingt ist. Diese können von KV-Bereich zu KV-Bereich variieren.

Besonderheiten und finanzieller Mehrbedarf bei teuren Therapien ohne wirtschaftliche Alternative sollen bereits während einer Wirtschaftlichkeitsprüfung (Vorab-Prüfung) gefiltert werden, um so den bürokratischen Aufwand zu verringern. Allerdings gilt auch hier die Voraussetzung, dass die Praxisbesonderheiten wirtschaftlich verordnet wurden. Darüber hinaus können Vertragsärzte individuelle Praxisbesonderheiten geltend machen, die die Prüfungsstelle entsprechend bewertet.

Ist der Vertragsarzt einem Rabattvertrag zwischen einer Krankenkasse und einem Arzneimittelhersteller beigetreten, so sind die verordneten, rabattierten Produkte nicht Gegenstand der Richtgrößenprüfung. Ist der Arzt einem Vertrag hingegen nicht beigetreten, sind die Rabatte von der Prüfungsstelle als pauschalierte Beträge abzuziehen.

Wer kommt in eine Prüfung?

Nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sollen Richtgrößenprüfungen in der Regel für nicht mehr als 5 % der Ärzte einer Fachgruppe durchgeführt werden. Auf Landesebene werden hierzu Auswahlkriterien definiert. Geprüft wird dabei auf der Basis elektronisch übermittelter Fälle, die der Vertragsarzt pro Quartal behandelt hat, und elektronisch übermittelter Rezeptdatensätze.

Kommt ein Vertragsarzt in eine Richtgrößenprüfung, ist es wichtig, dass er detailliert Stellung zu seinen Verordnungskosten bezieht. Dazu kann er sich von seiner KV beraten lassen. Reichen weder die Stellungnahme des Arztes noch die hinzugezogenen Unterlagen zur Begründung der Überschreitung aus, beschließt die Prüfungsstelle je nach Überschreitungshöhe das weitere Vorgehen (Beratung oder Regressfestsetzung).

Gegen den Bescheid der Prüfungsstelle kann der Vertragsarzt Widerspruch beim Beschwerdeausschuss einlegen. Dieses Widerspruchsrecht haben auch die Krankenkassen und die KV. Wird vom Beschwerdeausschuss wiederum ein Regress verhängt, steht dem Vertragsarzt wie auch den Krankenkassen und der KV eine Klage vor dem Sozialgericht offen. Wird ein Bescheid rechtskräftig, wird eine Honorarkürzung in Höhe des Regresses vorgenommen; das bedeutet, die Verrechnung erfolgt automatisch bei der KV.

Ergänzend zur Richtgrößenprüfung sind pro Quartal mindestens 2 % der Ärzte nach Arztgruppen zu prüfen. Die Zufälligkeitsprüfungen umfassen neben dem zur Abrechnung vorgelegten Leistungsvolumen unter anderem auch Überweisungen, Krankenhauseinweisungen und Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit.

Einzelfallprüfung

Krankenkassen, aber auch KVen können Prüfungen beantragen, wenn aus ihrer Sicht Arzneimittel außerhalb der Leistungspflicht der Krankenkasse verordnet wurden. Hierzu zählen beispielsweise Off-Label-Use, Dosisüberschreitungen (z. B. bei Asthma-Sprays), Blutzuckerteststreifen ohne Insulin-Therapie und bestimmte Rezepturen wie z. B. Bisphosphonate, die aus Sicht der Antragssteller auch als Fertigarzneimittel hätten verordnet werden können. Darüber hinaus kann die Leistungspflicht aufgrund eines Ausschlusses durch die Arzneimittel-Richtlinie fehlen, etwa bei Lifestyle-Mitteln und nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Ausnahmeindikationen, aber auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, für die eine nicht verschreibungspflichtige und ebenso zweckmäßige Alternative existiert. Auch über einen längeren Zeitraum verordnete Schlafmittel und Tranquillantien sowie Arzneimittel bei geringfügigen Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten fallen darunter. Die Prüfungsstelle entscheidet und setzt gegebenenfalls einen Regress fest, gegen den der Arzt zum Teil nur noch den Klageweg beschreiten kann – vor allem, wenn Medikamente definitiv von der Versorgung ausgeschlossen sind, etwa Lifestyle-Mittel. Aber auch ein Widerspruch vor dem Beschwerdeausschuss ist möglich, z. B. bei Verordnungen außerhalb der Zulassung.

Engere Voraussetzungen

Mit dem AMNOG war zum 1. Januar 2011 eine neue Regelung für Ärzte aufgenommen worden, die erstmalig ihr Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschreiten. Danach müssen die Ärzte in den ersten beiden Jahren einer Überschreitung nicht die festgestellten Mehrkosten zurückzahlen, sondern einen pauschalen Betrag von höchstens 25 000 Euro.

Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurde zum 1. Januar 2012 der Grundsatz „Beratung vor Regress“ eingeführt. Bis dahin war bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 15 % eine Beratung des Arztes bezüglich seines Verordnungsverhaltens vorgesehen. Bei einer Überschreitung um mehr als 25 % wurde ein Regress festgesetzt, sofern die Überschreitung nicht durch Praxisbesonderheiten begründet werden konnte. Das neue Gesetz legte fest, dass bei erstmaliger Überschreitung um mehr als 25 % zunächst eine individuelle Beratung erfolgt. Ein Regress kann dann bei künftigen Überschreitungen erstmals für einen Prüfzeitraum nach der Beratung festgelegt werden. Der Gesetzgeber wollte damit die Regressgefahr abschwächen, da diese nicht nur Vertragsärzte verunsichert, sondern auch junge Mediziner von einer Niederlassung abhält.

Doch das Bundessozialgericht hat zwischenzeitlich klargestellt, dass als „erstmalige Überschreitung“ auch Fälle vor Inkrafttreten der neuen Regelung im Januar 2012 gelten. Damit gilt der Grundsatz „Beratung vor Regress“ ausschließlich für Ärzte, die niemals zuvor ihr Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschritten haben. Mehrere Fachgerichte hatten diese Frage zuvor anders beurteilt. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte zum Beispiel entschieden, dass als „erstmalige Überschreitung“ die anzusehen sei, die nach der Einführung des Grundsatzes „Beratung vor Regress“ erfolgt sei. Damit hätten Überschreitungen und Regresse vor 2012 keine Rolle mehr gespielt.

Dieser Auffassung „hat das Bundessozialgericht nun einen Dämpfer verpasst“, kritisierte KBV-Vorstand Dipl.-Med. Regina Feldmann. Jetzt seien wieder weitaus mehr Vertragsärzte von einem Regress bedroht. „Es wird nun Aufgabe des Gesetzgebers sein, den Forderungen der Vertragsärzte nachzukommen und die Regressgefahr als Versorgungshindernis endlich zu beseitigen.“


Autor:
Werner Enzmann, Quelle: KBV

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (19) Seite 82-84
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.