Arzt und Kasse Verschreibung ohne Indikation ist strafbare Untreue

Praxisführung Autor: Janika Sievert

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In der Frage, wie weit die Verpflichtung eines Vertragsarztes gegenüber der Krankenkasse geht, hat der Bundesgerichtshof ein neues Urteil gefällt. Danach hat der Arzt eine "Vermögensbetreuungspflicht" gegenüber der Kasse. Das schafft neue strafrechtliche Risiken für die Tätigkeit des Vertragsarztes.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem kürzlich veröffentlichten Beschluss ohne jeden Zweifel entschieden, dass ein Vertragsarzt gegenüber einer Krankenkasse eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB innehat (4 StR 163/16 vom 16.08.2016).

Der Fall

Folgender gekürzt wiedergegebener Sachverhalt lag der Entscheidung vom 16.08.2016 zugrunde:

Der angeklagte Vertragsarzt war als Chirurg und D-Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und betrieb eine eigene Praxis. Zudem arbeitete er als Kooperationsarzt mit den weiteren Angeklagten zusammen, die Gesundheitszentren für Physiotherapie führten. Der Arzt erstellte Heilmittelverordnungen für physiotherapeutische Leistungen, ohne die Patienten zuvor untersucht oder anderweitig konsultiert zu haben. Eine medizinische Indikation für die Verordnungen bestand nicht. Die Heilmittelverordnungen wurden sodann durch den Arzt an die Physiotherapeuten weitergeleitet. Im Gesundheitszentrum ließ man sich die Erbringung der Leistungen von den vermeintlichen Patienten bestätigen. Etwaige physiotherapeutische Behandlungen waren jedoch nicht erfolgt. Dies wusste der verordnende Arzt. Das Gesundheitszentrum reichte anschließend die Verordnungen bei den verschiedenen Krankenkassen ein, welche die Leistungen auch bezahlten. Der Arzt erhielt von den Zahlungen der Krankenkassen keinen Anteil. Es ging ihm lediglich darum, seine Stellung als Kooperationsarzt der Gesundheitszentren zu erhalten, da diese ein einträgliches Geschäft darstellte.

Vertretung nein, Betreuung ja

Damit setzt der BGH die inkonsequente Behandlung der Problematik konsequent fort. Denn der BGH hatte schon in seiner Aufsehen erregenden Entscheidung im März 2012 mitgeteilt, dass eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB durchaus bestehen kann (GSSt 2/11). Dies musste jedoch damals nicht weiter erörtert werden, da Gegenstand des Beschlusses lediglich die Frage war, ob ein Vertragsarzt ein Vertreter der Kasse sein kann und daher in dieser Funktion bestochen werden kann. Bekanntlich verneinte der BGH damals die Vertretereigenschaft eines Vertragsarztes im Hinblick auf seine Stellung zu den gesetzlichen Krankenkassen. Eine strafbare Bestechlichkeit wurde damit abgelehnt. Um diese vermeintliche Lücke der Ahndungsmöglichkeiten zu bekämpfen, wurde im Sommer 2016 nach hitzigen Diskussionen in Politik und Interessenverbänden der § 299a StGB geschaffen.

Ein strafrechtlicher Kunstgriff

In der neuerlichen Entscheidung aus August 2016 hat der BGH die Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Kassen in Fällen der Verschreibung von nicht indizierten Leistungen bejaht. Für eine solche Vermögensbetreuungspflicht ist keine Vertretereigenschaft nötig. Der BGH drückt sich damit mittels eines strafrechtlichen Kunstgriffs vor einer klaren Linie. Diese Taktik soll wohl zu viel Aufruhr in der Ärzteschaft vermeiden.

Das Risiko wächst

Für den behandelnden Arzt wird das strafrechtliche Risiko seiner Tätigkeit jedoch immer unkalkulierbarer, da es an belastbaren Handlungsempfehlungen aus Rechtsprechung und Gesetzgebung fehlt. Fakt ist: Ärzte können strafrechtlich jetzt "von beiden Seiten beschossen werden", mit § 266 StGB und § 299a StGB – frei nach dem Motto "viel hilft viel". Der Grundsatz, dass der Einsatz des Strafrechts stets die "Ultima Ratio" bleiben sollte, wird auf diese Weise stückchenweise ausgehöhlt.

Die aktuelle Entscheidung wird einen wesentlichen Einfluss auf künftige Ermittlungsverfahren gegen Vertragsärzte nehmen, auch wenn sie inmitten der zum Teil heftig geführten Diskussionen über die Gesetzesänderungen zur Korruption im Gesundheitswesen etwas untergegangen ist.

Der BGH hat nun entschieden, dass dem Vertragsarzt gegenüber den geschädigten Krankenkassen eine Vermögensbetreuungspflicht obliegt. Denn der Vertragsarzt konkretisiere durch seine Verordnung den gesetzlichen Anspruch des Patienten auf Krankenbehandlung gegenüber der Krankenkasse. Die Behandlung ist zu gewähren, sofern diese notwendig und das verordnete Heilmittel ausreichend zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Der Arzt habe hier durch seine Entscheidungshoheit eine tragende Rolle, wodurch er bei der Verordnung von Heilmitteln nicht nur eine rein tatsächliche Möglichkeit hat, auf das Vermögen der Krankenkassen einzuwirken.

Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots ist eine Hauptpflicht

Vielmehr begründe das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V eine wesentliche Pflicht zur Rücksichtnahme, es begrenzt die Leistungspflicht der Kasse und dient zugleich dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, der Sicherung von finanzieller Stabilität und der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Aufgrund des enorm hohen Stellenwertes dieses Wirtschaftlichkeitsgebots stellt die Beachtung eine Hauptpflicht des Arztes dar. Der BGH weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass die Pflichten des Arztes zur Wahrung der Interessen seines Patienten eine gleichzeitige Verpflichtung zur Wahrung der Vermögensinteressen der Krankenkassen nicht ausschließen.

Der angeklagte Arzt hatte die Heilmittelverordnung ohne jegliche medizinische Indikation verschrieben und zudem in der Kenntnis gehandelt, dass die verordneten Leistungen nicht erbracht, aber gegenüber den Krankenkassen abgerechnet werden sollen. Damit war eine gravierende Pflichtverletzung gegeben und eine Verurteilung nach § 266 Abs. 1 StGB statthaft. Der BGH wies nebenbei darauf hin, dass die von der Vorinstanz verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung immer noch eine "maßvolle Ahndung" darstelle.

Es ist daher zu erwarten, dass in künftigen Verfahren, die einen ähnlichen Sachverhalt behandeln, durchaus höhere Strafen ausgesprochen werden. Zudem steht – auch im Hinblick auf den neu eingeführten § 299a StGB – zu befürchten, dass ärztliche Handlungen künftig noch viel mehr unter strafrechtlichen Aspekten bewertet und auch geahndet werden.


Autor:
LL.M. Eur., ECOVIS Rechtsanwaltsgesellschaft
93055 Regensburg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (19) Seite 84-86
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.