Myasthenia gravis Warum Lymphozyten kontrollieren?

Autor: Carsten Isenberg

Bei meiner 31-jährigen Patientin ist vor ca. zwei Jahren die Diagnose Myasthenia gravis festgestellt worden. Kurz zuvor erfolgte eine Schilddrüsenoperation bei Hashimoto-Thyreoiditis mit Knotenbildung. Im letzten Jahr ist die Thymusdrüse entfernt worden. Die Patientin wird mit Azathioprin 150 mg/Tag behandelt. Laut der behandelnden Neurologen sollen regelmäßig die Lymphozyten in Prozent sowie die Lymphozyten absolut serologisch kontrolliert werden. Meine Fragen sind: Was ist der optimale Bereich der Lymphozyten absolut? Welchen Hintergrund hat die Kontrolle der Lymphozyten (Beurteilung der Krankheitsaktivität oder Beurteilung der Wirkung von Azathioprin? O. a.)? Bei meiner Patientin schwanken die Lymphozytenwerte zwischen 1 und 3/nl. Wodurch könnte dies bedingt sein?

Antwort:

Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, die sich klinisch in einer muskulären Schwäche und abnormen Ermüdbarkeit zeigt. Initial werden zur immunsuppressiven Therapie meist Glukokortikoide eingesetzt. Azathioprin ist das einzige immunmodulierende Medikament, das für die Therapie der Myasthenia gravis zugelassen ist. Es wird nach klinischer Remission der myasthenen Symptomatik unter Steroiden als zweites Medikament eingesetzt. Da die Wirkung mit einer langen Latenz von drei bis sechs Monaten, im Einzelfall bis zu einem Jahr, einsetzt, werden die Steroide erst im weiteren Verlauf langsam reduziert. Der volle Wirkungseintritt kann zwei Jahre beanspruchen. Die Wirkung von Azathioprin wird wahrscheinlich u. a. durch eine Hemmung der Nukleinsäuresynthese in Lymphozyten vermittelt. Die immunsuppressive Wirkung geht daher mit einer Lymphopenie einher. In älteren Therapiebüchern wird manchmal noch ein Zielbereich der absoluten Lymphozytenzahl (z. B. 800 – 1.000 Lymphozyten/μl) für die therapeutische Wirkung angegeben. Davon ist man aber abgekommen. Azathioprin wird üblicherweise initial in einem Bereich von 2 – 3 mg/kg Körpergewicht dosiert. Bei stabiler klinischer Situation wird nach einigen Monaten schrittweise die Steroidtherapie abgesetzt unter Beobachtung im Hinblick auf myasthene Symptome. Längerfristig wird dann eine Dosisreduktion von Azathioprin auf etwa 1 mg/kg KG angestrebt.

Eine häufig beobachtete Nebenwirkung von Azathioprin ist eine mäßige Leukopenie, in schweren Fällen können jedoch auch eine Panzytopenie und Knochenmarksdepression auftreten. Aus diesem Grund sind regelmäßige Blutbildkontrollen unter der Therapie erforderlich, in den ersten zwei Therapiemonaten wöchentlich. Hierbei sollte von Zeit zu Zeit auch ein komplettes Differenzialblutbild angefertigt werden, um den Lymphozytenanteil abzuschätzen. Lymphozytenzahlen größer 1.000/μl (1/nl) können als unbedenklich gewertet werden, darunter empfehlen sich kurzfristige Kontrollen, bei Werten kleiner als 800/μl (0,8/nl) sollte Rücksprache mit dem behandelnden Neurologen über eine Dosisreduktion gehalten werden.

Bei auffälligen Schwankungen der absoluten Lymphozytenzahlen unter Azathioprin sollte man überprüfen, ob eine Interaktion mit einem anderen Präparat vorliegen könnte, die die Azathioprinwirkung beeinflusst. Infrage kommen hier z. B. Allopurinol, Cotrimoxazol oder ACE-Hemmer. Im Zweifelsfall sollte die aktuelle Fachinformation konsultiert werden.


Autor:
Klinikum St. Elisabeth II. Medizinische Klinik
94315 Straubing

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (15) Seite 56
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.