Sektorübergreifenden Versorgung Wie groß ist das Potenzial für Level-1i-Kliniken?
Level-1i-Einrichtungen stellen einen wesentlichen Baustein des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes dar, um die Krankenhausstruktur in den Regionen zu optimieren“, sagt Prof. Dr. Boris Augurzky, gesundheitspolitischer Sprecher am RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. „Sie bieten die Chance, die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser zu verbessern, das Personal zu entlasten und für eine höhere medizinische Qualität zu sorgen.“
In den meisten Regionen gebe es mehrere kleine Kliniken mit wenig spezialisierten Leistungen. Daraus sollen in enger Kooperation mit den Regionalversorgern ambulante Zentren bzw. sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen (SVE) entstehen. „Dabei geht es nicht um hochkomplexe Medizin, sondern um die Basisversorgung“, so Prof. Augurzky.
Level-1i-Krankenhäuser nehmen nicht an der Notfallversorgung teil. Sie sollen künftig weniger vollstationär, sondern mehr ambulant versorgen. Zudem müsse es eine spezialfachärztliche Versorgung vor Ort geben. Den Bürgerinnen und Bürgern sei flächendeckend ein Zugang zu ermöglichen. Über- und Fehlversorgung müssten durch eine gezielte, digital unterstütze Patientensteuerung stärker begrenzt werden.
Erweiterung um Angebote der ambulanten Reha und Pflege
Das Potenzial vieler kleinerer Kliniken zur Umwandlung in dezentrale sektorübergreifende Gesundheitszentren sei immens und mit Blick auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel auch wichtig, meint Prof. Augurzky. Je nach lokalem Bedarf könne man passende Module mit der SVE kombinieren, z. B. eine ambulante Reha oder eine pflegerische Versorgung mit eigenständiger Behandlungskompetenz.
Prof. Augurzky betont, dass eine Level-1i-Einrichtung ein Krankenhaus bleibt, jedoch als dritte Versorgungsform neben Praxen und Kliniken Anerkennung finden soll. Es handele sich um ein Haus mit etwa 30 Betten, das auch ein neues Vergütungssystem erhalte: eine kostendeckende degressive Tagespauschale.
Wenn man sich die Krankenhäuser nach dem Level ihrer G-BA-Notfallstufe ansehe, erkenne man, dass es viele kleine Häuser des Levels 1n mit 648 Standorten oder des Levels 0 mit 274 Standorten gebe. Durch den Transformationsfonds könne man zahlreiche Zentralisierungen und Umwandlungen finanzieren. So ergebe sich eine neue Struktur, mit mehr Level-2- und 3- sowie 1i-Kliniken. Außerdem gebe es weniger 1n- sowie Fachkliniken und keine Krankenhäuser des Notfalllevels 0 mehr.
Transformation erfordert gute Abstimmung in der Region
Das Konzept der sektorübergreifenden Versorgung stößt jedoch auch auf Vorbehalte. SVE seien eine begrüßenswerte Idee, allerdings sei es wichtig, ein mit Praxen und Kliniken abgestimmtes Angebot herbeizuführen, sagt Dunja Kleis, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Nah beieinanderliegende Kliniken und Facharztpraxen führten teilweise die gleichen medizinischen Behandlungen zu unterschiedlichen Preisen durch. Hierbei werde unnötig viel Fachpersonal gebunden.
Für eine erfolgreiche Transformation sei eine gute Abstimmung in der Region wichtig, betont auch Dr. Sonja Optendrenk, Staatssekretärin im hessischen Gesundheitsministerium. „Kommunen, Krankenhausgesellschaft, Vertragsärzteschaft, Krankenkassen und das Land müssen bei der Beurteilung der Bedarfsnotwendigkeit und Bedarfsgerechtigkeit zusammenarbeiten.“
Dr. Andreas Bartels, KV-Vize in Rheinland-Pfalz, sieht in der sektorenübergreifenden Versorgung eine Einbahnstraße. „Der ambulante Bereich wird bisher nicht richtig eingebunden und berücksichtigt.“ Man sehe, dass dieses Gesetz rein wissenschaftlich ausgearbeitet worden sei, so Dr. Bartels. „Es ist ein Wolkenkuckucksheim. All das, was künftig in SVE gemacht werden soll, ist jetzt schon möglich.“ Kliniken könnten MVZ errichten, die das gesamte ambulante Spektrum abbilden. „Das machen sie aber nicht, weil es sich wirtschaftlich nicht trägt.“
Konzept erinnert an eine eierlegende Wollmilchsau
Prof. Dr. Steffen Gramminger, geschäftsführender Direktor der hessischen Krankenhausgesellschaft, moniert ebenfalls: „Seit vielen Jahren versucht die Gesundheitspolitik die Sektorengrenzen durchlässiger zu machen. Durch die Verzahnung verschiedener Bereiche sollen Synergien geschaffen und soll das System effizienter gestaltet werden.“ Doch Belegärzte, integrierte Versorgung oder die ambulante spezialärztliche Versorgung hätten nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt.
„Mit dem KHVVG sollen es jetzt die SVE richten. Die Ideen der Regierungskommission erinnern aber eher an eine eierlegende Wollmilchsau.“ Der KHVVG-Rahmen gleiche einer Wundertüte. Die Leistungserbringer würden aufgrund des wirtschaftlichen Überlebenskampfs zu den Bewahrern alter Strukturen. Man brauche jetzt klare Vorgaben, wirtschaftliche Sicherheit, Vertrauen und Perspektiven für Mutige und Innovationen.
Quelle: Barmer-Länderforum