Akutes rheumatisches Fieber Abgrenzung, Diagnose und Behandlung
Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A können zwei immunologisch-inflammatorische Folgeerkrankungen auslösen: das akute rheumatische Fieber und die Poststreptokokken reaktive Arthritis (siehe Kasten). Typische Vertreter der primären Streptokokkeninfekte sind Tonsillo-Pharyngitis oder Scharlach, schreiben Dr. Ulrich Neudorf vom Universitätsklinikum Essen und Kollegen in der aktuellen S2k-Leitlinie.
Das akute rheumatische Fieber (AFR) tritt vor allem bei Kindern ab vier Jahren mit einem Häufigkeitsgipfel im 10. Lebensjahr auf. Leitsymptom ist die erneute fieberhafte Erkrankung nach einem Streptokokkeninfekt. Je nach Gelenk- und Organbeteiligung kommen verschiedene Beschwerden hinzu. Bei 50–70 % der AFR-Patienten ist das Herz beteiligt, wobei von den Klappen bis zum Myokard alle Bereiche betroffen sein können. Klinisch macht sich das mit einer reduzierte Belastbarkeit als Zeichen einer Herzinsuffizienz bemerkbar. Bis zu 66 % der Erkrankten entwickeln Arthralgien oder Arthritiden, die z.T. wandern. Betroffen sind vor allem große und mehr als vier Gelenke. Die Arthritis ist selbstlimitierend und lässt keine Destruktionen zurück.
Etwa 10–30 % der ARF-Patienten weisen eine Chorea minor auf. Die überschießenden, unkontrollierten Bewegungen der Extremitäten treten oft mit wochenlanger Latenz auf und können lange anhalten. In seltenen Fällen ist die Gesichtsmuskulatur beteiligt und die Beschwerden ähneln denen der Tic-Störung. Im Gegensatz zu den anderen klinischen Manifestationen sind Hauterscheinungen wie das Erythema marginatum oder subkutane Knötchen (<6 % und 0–10 %) seltener. Das Erythema mit seinem blassen Zentrum und dem unregelmäßigen Rand findet sich am Stamm und den proximalen Extremitäten, nicht im Gesicht. Die Knötchen tauchen streckseitig vor allem an Knie und Ellenbogen auf.
Eine oder zwei Erkrankungen?
Das akute rheumatische Fieber (AFR) befällt vor allem Herz und Gelenke. Die Poststreptokokken reaktive Arthritis (PSrA) manifestiert sich an großen und kleinen Gelenken, geht aber in der Regel nicht mit den weiteren typischen Beschwerden des ARF einher. Deshalb wird diskutiert, ob es sich bei AFR und PSrA überhaupt um zwei unterschiedliche Erkrankungen handelt oder ob die PSrA ein ARF ohne Herzbeteiligung ist. Wobei sich inzwischen sogar die Hinweise mehren, dass sich auch bei der PSrA kardiale Pathologien entwickeln können.
Rachenabstrich mit Kultur ist Goldstandard
Voraussetzung für die Diagnose des ARF ist der Nachweis einer vorangegangenen Streptokokkeninfektion. Gemäß des aktuellen Goldstandards wird das Bakterium per Rachenabstrich mit Kultur nachgewiesen. Eine abgelaufene Infektion erkennt man dagegen an stark erhöhten Antikörpern (Antistreptolysin und Anti-DNAase B), besser noch am Titeranstieg:
- Antistreptolysin ist eine Woche nach Infektion nachweisbar, der Spiegel erreicht die maximale Höhe nach drei bis sechs Wochen, um dann über drei bis sechs Monate hinweg abzufallen.
- Anti-DNAase B steigt innerhalb von einem Monat nach Infekt an und erreicht ihr Maximum nach sechs bis acht Wochen.
Antikörpertests geben allerdings keine 100%ige Sicherheit, heißt es in der Leitlinie. So schließt ein negativer Antikörpernachweis eine kürzlich (3–4 Wochen) vorher stattgefundene Infektion zwar mit einiger Sicherheit aus. Umgekehrt ist ein positiver Test aber kein Beleg dafür, dass die nachgewiesene Infektion mit b-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A sicher in den letzten Wochen erfolgt ist.
Im Kontext entsprechender Klinik kann der Antigen-Schnelltest hilfreich sein. Im Vergleich zur Kultur ist seine Sensitivität mit 85–90 % zwar unzureichend, die Spezifität liegt bei positivem Test jedoch über 95 %, schreiben die Leitlinienautoren. Werden Antikörper- und Antigentest kombiniert, ist die Ausbeute recht gut: Nur 8 % der Patienten zeigen nach einer Infektion mit Beta-hämolysierenden Streptokokken sowohl einen negativen Antigentest als auch einen fehlenden Titeranstieg.
Nach gelungenem Nachweis einer Streptokokkeninfektion helfen die aktuellen Jones-Kriterien zur Diagnose. Bei der gründlichen klinischen Untersuchung ist vor allem auf Zeichen der Herzinsuffizienz und auf Gelenkmanifestationen zu achten. Letztere sollten akkurat gezählt und dokumentiert werden, falls erforderlich, hilft die Gelenksonografie weiter. Die Haut muss nach Erythemen und Knötchen abgesucht werden. Neurologische Symptome äußern sich meist erst später im Verlauf der Erkrankung.
Zur Überprüfung der Herzfunktion dienen 12-Kanal-EKG – zeigt sich eine verlängerte PQ-Zeit? – und das Herz-Echo zum Nachweis von Klappeninsuffizienzen und weiterer Pathologien. Eine MRT gilt als diagnostisch nicht erforderlich, kann aber myokardiale Schäden aufdecken. Den Herzkatheter sehen die Leitlinienautoren in der Regel als überflüssig und nur im Zweifel als indiziert an.
Zur Beurteilung der Gelenkschmerzen hilft neben der klinischen Untersuchung der Ultraschall. Die Arthrosonografie lässt bei einer Arthritis schon früh den Gelenkerguss und die Hyperproliferation erkennen und erleichtert so die Unterscheidung zwischen Arthralgie und Arthritis. Dies ist wichtig, weil die Arthritis zu den Hauptkriterien, die Arthralgie aber nur zu den Nebenkriterien gehört. Auf Röntgen kann man zur Beurteilung der Gelenke verzichten.
Labordiagnostisch sollen NT-pro-BNP/BNP und Troponin als Marker der kardialen Beteiligung bestimmt werden. Leber-, Nieren- und Urinwerte dienen dazu, weitere Organbeteiligungen zu erkennen und/oder eine Herzinsuffizienz zu kontrollieren.
Ob anhand der gewonnen Befunde ein ARF vorliegt, entscheiden letztendlich die aktualisierten Jones-Kriterien. Sie variieren je nach Inzidenz des ARF. Deutschland mit einer ARF-Inzidenz ≤ 2/100.000 Personen unter 14 Jahren gilt als Land mit Niedrig-Risiko-Population. Daher wird die Erstmanifestation eines ARF beim Vorliegen zweier Haupt- und eines Nebenkriteriums oder zweier Nebenkriterien diagnostiziert (siehe Tabelle). Beim Rezidiv müssen zwei Hauptkriterien, ein Haupt- und zwei Nebenkriterien oder drei Nebenkriterien vorliegen. Eine Ausnahme bilden die Chorea minor und die Karditis: Schon ihr alleiniges Auftreten berechtigt bei entsprechendem Infektionsnachweis zur Diagnose eines ARF.
Die Poststreptokokken reaktive Arthritis (PSrA) hat mit 1–2/100.000 eine ähnliche Inzidenz wie andere reaktive Arthritiden. Betroffen sind insbesondere Kinder von 8–14 Jahren und Erwachsene von 21–37 Jahren. Typischerweise kommt es zu schmerzhaften Arthritiden, die oft von Tenosynovitiden begleitet werden. Sie manifestieren sich sowohl am Achsenskelett als auch an großen und kleinen Gelenken. Im Gegensatz zum ARF wandern die Arthritiden nicht, sondern bleiben stationär. Zudem treten die Gelenkbeschwerden etwa eine Woche früher auf (oft innerhalb von 10 Tagen nach Infekt) und halten länger – ca. zwei Monate – an.
Vollständiger Gelenkstatus ist unbedingt erforderlich
Für die PSrA gibt es bisher keinen allgemein akzeptierten Kriterienkatalog. In jedem Fall diagnostisch erforderlich ist die akkurate klinische Untersuchung der Sehnen und das vollständige Erfassen des Gelenkstatus. Dazu gehören Zahl und Lokalisation betroffener Gelenke sowie die Unterscheidung, ob es sich um eine Arthritis oder eine Arthralgie handelt (ggf. über Gelenksono). Weitere Hinweise auf eine PSrA ist der Leitlinie zufolge das gute Ansprechen auf Antiphlogistika und hohe Entzündungswerte.
Im Rahmen der Diagnostik von ARF und PSrA sind zahlreiche Erkrankungen abzugrenzen. Dazu gehören vor allem die juvenile idiopathische Arthritis einschließlich des Morbus Still und andere reaktive Arthritiden. Bei einer Herzbeteiligung beim ARF müssen z. B. Myokarditis, dilatative Kardiomyopathie sowie die bakterielle Endokarditis ausgeschlossen werden. Als Differenzialdiagnosen der Chorea sind u.a der Morbus Wilson, der systemische Lupus erythematodes und ZNS-Vaskulitiden zu bedenken.
Quelle: S2k Leitlinie „Akutes rheumatisches Fieber und Poststreptokokken reaktive Arthritis“, AWMF-Registernr. 023-027