Nebennierenrindentumor Adrenalektomie versus Watch & Wait

DGIM 2023 Autor: Dr. Angelika Bischoff

Statt der Bezeichnung „milde autonome Cortisolsekretion“ sollte die Bezeichnung mildes Cushing-Syndrom verwendet werden. Statt der Bezeichnung „milde autonome Cortisolsekretion“ sollte die Bezeichnung mildes Cushing-Syndrom verwendet werden. © peterschreiber.media – stock.adobe.com

Soll man einen Nebennierenrindentumor mit milder autonomer Cortisolsekretion eher operieren oder darf man stattdessen zuwarten? Für beides gibt es gute Argumente. Komorbiditäten müssen aber in jedem Fall behandelt werden.

Wenn ein Tumor der Nebennierenrinde (NNR) zufällig entdeckt wird und laborchemische Hinweise für einen Hypercortisolismus vorliegen, aber Zeichen eines manifesten Cushing-Syndroms fehlen, spricht man von einer autonomen Cortisolsekretion.

Ausschlaggebend ist der Dexamethason-Hemmtest, erläuterte Prof. Dr. ­Martin ­Fassnacht vom Universitätsklinikum Würzburg. Werte von > 1,8 µg/dl Cortisol sprechen für eine milde auto­nome Cortisolsekretion. NNR-Inzidentalome finden sich bei 3 % aller über 50-Jährigen. In der Hälfte der Fälle sind sie nicht hormonaktiv. Die übrigen weisen irgendeine Form von Cortisolsekretion auf, überwiegend eine leichte. Die milde autonome Cortisolsekretion betrifft somit eine große Zahl von Menschen.

Bei einer milden autonomen Cortisolsekretion treten verschiedene Komorbiditäten wie Hypertonie, Typ-2-Diabetes und Dyslipidämie häufiger auf. Wie aus aktuellen Studien hervorgeht, scheint sich das auch ein Stück weit auf die Mortalität auszuwirken. Man würde also erwarten, dass Morbidität und Mortalität abnehmen, wenn die Cortisolsekretion durch eine Adrenalektomie gesenkt wird, führte der Referent aus. Tatsächlich gibt es Evidenz dafür, dass Blutdruck- und Diabeteseinstellung postoperativ besser gelingen. Allerdings, so der Referent einschränkend, beruht diese Evidenz auf den Ergebnissen aus relativ kleinen retrospektiven Kohortenstudien. Auch dürfe man niemals Assoziation mit Kausalität gleichsetzen. Etwa 40 % der Patienten hatten durch die OP keinen Vorteil. Und bei einigen Teilnehmern bestand überhaupt keinerlei mit der Erkrankung assoziierte Morbidität. Zudem war in der Studie die Therapie der Hypertonie und des Diabetes nicht standardisiert, sodass unklar ist, inwieweit die Adrenalektomie zu deren Besserung beigetragen hat. Wenn man dazu noch die mit dem Eingriff verbundene Morbidität und Mortalität einkalkuliert, bleibt vom Nutzen kaum etwas übrig

Prof. Fassnacht sieht deshalb keinen Grund dafür, alle Patienten mit milder autonomer Cortisolsekretion zu operieren. Die Datenlage, die dafür spricht, sei viel zu schwach, um das OP-Risiko für alle Patienten zu rechtfertigen. Wichtig sei jedoch, die Komorbiditäten adäquat zu behandeln. „Einfach nur ein Watch & Wait ist zu wenig.“

Prof. Dr. ­Martin ­Reincke, Universität München, bezog Position pro Operation. Zunächst machte er darauf aufmerksam, dass der für die milde autonome Cortisolsekretion definierte Cut-off von 1,8 µg/dl Cortisol im Dexamethason-Hemmtest eine völlig willkürliche Festlegung ist. Eine distinkte klinische Entität ergebe sich daraus nicht. Er wies darauf hin, dass auch Patienten mit floridem Cushing-Syndrom nicht immer typische klinische Merkmale zeigen. Selbst das runde Gesicht als häufigstes Cushing-Zeichen beob­achtet man nur bei zwei Drittel der Patienten. Anhand klinischer Merkmale ein Cushing-Syndrom zu diagnostizieren, sei schon schwierig genug, und eine milde autonome Cortisolsekretion lasse sich davon überhaupt nicht unterscheiden. 

Auch biochemisch lässt sich keine klare Grenze ziehen. Es gibt Patienten mit floridem Cushing-Syndrom, die im Dexamethason-Hemmtest Cortisolwerte < 1,8 µg/dl haben. Und auch bei Patienten mit milder autonomer Cortisolsekretion finden sich erniedrigte ACTH-Werte. Nach Ansicht von Prof. Reincke handelt es sich um ein Spektrum, sowohl biochemisch als auch klinisch betrachtet. Ein weiteres Argument dafür liefern Komorbiditäten und Mortalität. Das Risiko für beides steigt mit dem Cortisolspiegel im Dexamethasonhemmtest linear an. Quantitativ sind sowohl Morbidität als auch Mortalität bei Patienten mit milder autonomer Cortisolsekretion kaum niedriger als bei Patienten mit floridem Cushing-Syndrom. 

Insgesamt bezeichnete Prof. Reincke den Begriff „milde autonome Cortisolsekretion“ deshalb als irreführend und als gefährliche Verharmlosung einer kardiovaskulären Hochrisikosituation. Man solle deshalb diese künstliche Sonderkategorie wieder abschaffen und einfach von einem milden Cushing-Syndrom sprechen. Und Patienten mit mildem Cushing-Syndrom müssen adrenal­ektomiert werden, betonte er. Das erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko der Patienten dürfe man nicht durch eine Watch-and-Wait-Strategie einfach so in Kauf nehmen.

Quelle: Kongressbericht 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin