Adipositas ist nicht gleich Adipositas Am Konzept von „Metabolically Healthy Obesity“ wird intensiv geforscht

Autor: Dr. med. Judith Lorenz

Ein hoher Body Mass Index (BMI) gilt als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Ein hoher Body Mass Index (BMI) gilt als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. © mashot - stock.adobe.com

Ein hoher Body Mass Index (BMI) gilt als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Das individuelle Risiko hängt jedoch vermutlich nicht allein vom BMI ab, auch Stoffwechselfaktoren spielen diesbezüglich eine Rolle – und möglicherweise sogar eine wichtigere als der BMI.

Das postuliert zumindest das Konzept der „metabolisch gesunden Adipositas“ (engl. Metabolically Healthy Obesity, MHO), das gegenwärtig große wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt.

Der Begriff MHO beschreibt eine Adipositas, bei welcher im Wesentlichen keine weiteren kardiometabolischen Risikofaktoren vorliegen, erläutern Professor Dr. Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke in Nuthetal und Professor Dr. Norbert Stefan vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) in Neuherberg. Das Gegenstück hierzu bildet die „metabolisch ungesunde Adipositas“ (Metabolically Unhealthy Obesity, MUHO). Auch normalgewichtige und übergewichtige Personen können entsprechend in die Kategorien „metabolisch gesund“ und „metabolisch ungesund“ eingeteilt werden. 

Dass Übergewicht nicht gleich Übergewicht ist, ahnten Forschende schon vor Jahrzehnten: Bereits 1947 beschrieb Jean Vague, dass Personen mit androider, also stammbetonter Adipositas, ein ungünstigeres kardiometabolisches Risiko aufweisen als Personen mit gynoider Adipositas, also am Unterkörper konzentrierten Fettdepots. In der Folge kristallisierte sich dann zunehmend die metabolische Gesundheit als wichtiger Prognosefaktor heraus. 

Welche Eigenschaften diese genau auszeichnen, wird allerdings nach wie vor diskutiert. Gängige Definitionen berufen sich auf das Fehlen von Kriterien des Metabolischen Syndroms, von Insulinresistenz oder von kardiometabolischen Erkrankungen (z. B. Hypertonie, Diabetes, Dyslipidämie), so die Experten. Sie schlagen stattdessen eine empirisch entwickelte, weniger komplexe Definition vor, welche die Parameter Glukosestoffwechsel, Blutdruck und Körperform berücksichtigt (siehe Kasten). Diese neue Definition sagt die kardiovaskuläre Mortalität über alle BMI-Kategorien hinweg voraus, berichten die Autoren.

Niedrigrisikogruppe oder Übergangszustand?  

Epidemiologische Untersuchungen zeigen: Bei Verwendung der gängigen Definitionen haben Individuen mit MHO im Vergleich zu metabolisch gesunden Normalgewichtigen ein mäßig erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko. Bei Verwendung ihrer neuen MHO-Definition unterscheiden sich die genannten Kollektive dagegen bezüglich des kardiovaskulären Mortalitätsrisikos nicht signifikant. Andere Daten deuten darauf hin, dass die MHO möglicherweise einen intermediären Phänotyp, also einen Übergangszustand zwischen metabolisch gesundem Normalgewicht und der MUHO, darstellt. Hier besteht erheblicher weiterer Forschungsbedarf, meinen die Autoren.

Bei der Pathophysiologie der MHO und MUHO spielt vermutlich die Verteilung der Körperfettdepots eine entscheidende Rolle, berichten sie weiter. Genetische Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich die MHO durch die Fähigkeit auszeichnet, verstärkt femorale und gluteale Fettdepots anzulegen. Erblich bedingt ausgeprägtere abdominale Fettansammlungen stellen dagegen einen metabolisch ungesunden Phänotyp dar und prädisponieren für kardiovaskuläre Komplikationen. Die biologischen Mechanismen hinter diesen Beobachtungen betreffen dabei offenbar die Adipo- und die Angiogenese sowie die Insulinresistenz. 

Quelle: Schulze MB, Stefan N. Nat Rev Endocrinol 2024; 20(11): 633-646; doi: 10.1038/s41574-024-01008-5