Reflexepilepsie Anfallsauslöser: Abrupte Abkühlung
Eine 55-jährige Patientin wurde mit einer therapieresistenten Epilepsie vorstellig, die schon seit mehr als 40 Jahren bestand. Bereits als Kind hatte die Frau bemerkt, dass ihre Anfälle zuverlässig durch plötzliche Kältereize hervorgerufen werden, berichten Dr. Cathy Li und Kollegen von der Western University in London (Ontario). Das passierte etwa, wenn die Betroffene barfuß über kühle Fliesen lief, ohne vorherige schrittweise Abkühlung in einen Pool stieg oder in einem klimatisierten Raum schnell ihren Pullover auszog.
Der typische Anfall der Patientin begann mit einem Gefühl der Magendistension und einer wellenförmigen Wärmeempfindung. Nach einfachen Lautäußerungen verlor sie das Bewusstsein. Typischerweise kamen automatisierte Bewegungen einer Hand und eine dystone Haltung des kontralateralen Arms hinzu. Nach zwei Minuten sistierten die Anfälle meist, gelegentlich gefolgt von postiktalem Harndrang. Abgesehen von Situationen mit plötzlicher Kälte traten die Krampfanfälle meist nachts auf.
Partielle Callosotomie brachte keine Besserung
Im Alter von 37 Jahren war eine nicht lokalisierbare bifrontale Epilepsie wechselnder Lateralisation mit rascher bilateraler Progression diagnostiziert worden. Daraufhin wurde das anteriore Corpus callosum der Patientin neurochirurgisch durchtrennt. Dieser Eingriff hatte jedoch nicht die erhoffte Wirkung gezeigt.
Im Rahmen der erneuten Diagnostik wurde der Patientin ein Kühlpack auf den Rücken gelegt, woraufhin sie sofort den für sie typischen Krampfanfall erlitt. Elektroenzephalografisch ließ sich neben Muskelartefakten eine rhythmische Aktivität rechts temporal erkennen, die sich auf die linke Seite ausbreitete. In der Stereoenzephalografie (sEEG) mit Tiefenelektroden ergaben sich Hinweise auf einen Ursprung der Anfälle im lateralen orbitofrontalen Kortex rechts, mit zusätzlicher rhythmischer Aktivität im linken und rechten supplementärmotorischen Kortex.
Dieses Muster passt zur funktionellen Bildgebung bei Verarbeitung von Kältereizen, die eine erhöhte Aktivität im orbitofrontalen Kortex sowie dem anterioren Cingulum und der posterioren Inselregion ergab. Zu ähnlichen Veränderungen führen auch andere basale Empfindungen wie Hunger, Durst oder Schmerz. Insgesamt ist bislang allerdings schlecht verstanden, wie Kältereize im ZNS verarbeitet werden.
In vielen Fällen einer Reflexepilepsie liegt eine Hypererregbarkeit jener kortikalen Region zugrunde, die durch den auslösenden Reiz stimuliert wird. Handelt es sich um Kälte, passiert dies wahrscheinlich im orbitofrontalen Kortex. Allerdings konnten die Autoren im vorliegenden Fall nicht ausschließen, dass primär die Inselregion überreagiert und die Aktivität sich von dort sofort weiter ausbreitet.
Therapeutisch ist bei kälteinduzierter Reflexepilepsie das Meiden der auslösenden Situationen und Reize indiziert. Bleiben Antiepileptika wirkungslos, kann man eine Operation der als ursächlich erkannten Region erwägen. An dieser Therapiemöglichkeit zeigte sich die beschriebene Patientin allerdings nicht interessiert.
Quelle: Li CMF et al. JAMA Neurol 2024; DOI: 10.1001/jamaneurol.2024.0884