Moderne genomische Medizin Behandlung innerhalb des nNGM verbessert OS von Lungenkrebspatient:innen
Eine personalisierte Lungenkrebstherapie in die Breite der Versorgung zu bringen, geschieht laut Prof. Dr. Jürgen Wolf, Uniklinik Köln, vor dem Hintergrund zweier Entwicklungen, die die systemische Therapie von Lungentumoren fundamental verändert haben1: Zum einen die an Treibermutationen ausgerichtete zielgerichtete Therapie nach dem Prinzip der „Oncogene Addiction“ und zum anderen die Einführung von Checkpoint-Inhibitoren nach dem Prinzip „Overcoming Immune-Tolerance“. Prof. Wolf: „Beim NSCLC haben über 50 % der Erkrankten bereits personalisierte Therapieoptionen.“ Sei keine Treibermutation vorhanden, bleibe die Immuntherapie mit oder ohne Chemo der Standard, wenngleich derzeit keine prädiktiven Biomarker für die Immuntherapie jenseits der PD-L1-Expression existierten.
Personalisierte Behandlungen mit TKI seien in Deutschland zunächst „zurückhaltend aufgenommen“ worden, speziell im Hinblick auf die Testung der für die etabliertesten Therapien relevanten Biomarker EGFR, ALK, ROS1 und BRAF.2 Auch heute noch sei die Testung auf Mutationen, die in späteren Linien zumindest in klinischen Studien behandelt werden könnten, verbesserungsbedürftig. Der schleppende Innovationstransfer liegt laut Prof. Wolf auch im dezentral organisierten deutschen Gesundheitssystem begründet. Dies erfordere eine neue Arbeitsteilung zwischen spezialisierten Zentren, die für die komplexe molekulare Diagnostik, die Therapieempfehlungen und -evaluation sowie die Datensammlung zuständig seien, und regionalen Partnern, die die Behandlung wohnortnah durchführten.
NGS-Diagnostik bringt Überlebensvorteil
Genau dieses Prinzip verfolgt das Netzwerk für Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM), an dem derzeit 28 Zentren und etwa 500 regionale Partner mitwirken. Aufgrund von Verträgen mit Krankenkassen werde für über 90 % der gesetzlich Versicherten mit NSCLC die NGS-Diagnostik erstattet – nicht nur bei Erstdiagnose und im Rezidivfall, sondern neuerdings auch für Liquid Biopsy und in frühen Krankheitsstadien – ganz gleich, ob die Erkrankten stationär oder ambulant behandelt werden. „Es gibt kein weiteres Land auf der Welt, in dem die gesetzlichen Krankenkassen so großzügig NGS-Diagnostik bezahlen wie in Deutschland“, stellte Prof. Wolf klar. Die erste externe Evaluation im Auftrag der AOK habe einen signifikanten Überlebensvorteil für die im Rahmen des nNGM behandelten NSCLC-Patient:innen gegenüber jenen gezeigt, die nicht am nNGM teilnahmen – mit einem medianen Gesamtüberleben von 10,5 Monaten vs. 8,7 Monate (HR 0,84, 95%-KI 0,74–0,95 p = 0,008) und Ein-Jahres-Überlebensraten von 46,8 % (nNGM) vs. 41,3 % (non-nNGM).3
Pläne für die Zukunft des nNGM
Als Weiterentwicklungen stehen u.a. die Evaluation des Whole Genome Sequencing und die personalisierte Immuntherapie auf dem Programm. Ausbauen will das nNGM auch das digitale Networking im gesamten Krankheitsverlauf – auch unter Einbeziehung der Erkrankten selbst – sowie die Datenbankarbeit. Das Netzwerk orientiert sich dabei auch in Richtung europäischer Datenharmonisierung.
Die evidenzgenerierende Versorgung im nNGM, an der alle Zentren gleichberechtigt beteiligt sind, ist laut Prof. Wolf bereits heute Realität. Spezielle Task Forces (TF) widmeten sich zudem bestimmten Themenbereichen. So erreichte die TF Molekulardiagnostik bereits die Einführung einheitlicher, kontinuierlich aktualisierter NGS-Panels, SOPS und Berichte und kümmert sich aktuell um Transkriptom-Diagnostik, Multiplex-IHC sowie Liquid Biopsy zur Einschätzung des Metastasierungsrisikos. Ein Projekt der TF Molekulares Tumorboard ist die MURIEL-Datenbank mit Therapieempfehlungen; die angeschlossene MuriPedia-Datenbank liefert Informationen zu Treibermutationen, zum Zulassungsstatus von Medikamenten und zu klinischen Studien, die an jeden nNGM-Pathologiebericht angehängt werden. Eine präklinische Validierungsplattform wurde aufgebaut, um seltene Mutationen unklarer Signifikanz zu charakterisieren. Eine neue Aktivität ist die Erfassung des genetischen Lungenkrebsrisikos.
Zum Abschluss machte Prof. Wolf klar, dass die molekular geführte Sequenztherapie Grenzen habe. Die genomische Komplexität der Erkrankung nähme mit jeder Behandlungslinie zu, bei gleichzeitiger Abnahme der therapeutischen Effizienz. Drei Strategien könnten zukünftig dazu beitragen, diesem Verlauf entgegenzuwirken:
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Erstens eine „feiner granulierte“ Diagnostik, die die Erstlinientherapie durch Einbeziehung von Whole Exome Sequencing und Whole Genome Sequencing auch unter Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz noch zielgenauer machen soll,
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zweitens eine Intensivierung der Erstlinienbehandlung, etwa mittels Chemotherapie oder Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten, um die genetische Komplexität zu vermindern und die Zeit bis zur Resistenz zu verlängern und
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drittens durch ergänzende (über die Checkpoint-Inhibition hinausgehende) immunologische Therapien – etwa mit CAR-T-Zellen, bispezifischen Antikörpern oder Vakzinierung –, die TKI-resistente Tumorzellen eliminieren sollen.
Quelle: Kongressbericht 36. Deutscher Krebskongress
1. Wolf J. DKK 2024; Keynote Lecture „Implementierung und Weiterentwicklung personalisierter Diagnostik und Therapie bei Lungenkrebs: das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM)“
2. Griesinger F et al. Lung Cancer 2021; 152: 174–184; DOI: 10.1016/j.lungcan.2020.10.012
3. Kästner A et al. Lancet Reg Health Eur 2023; 36: 100788; DOI: 10.1016/j.lanepe.2023.100788