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Kardiovaskuläre Sterblichkeit „Bei der Prävention sind wir grottig“

Die aktuelle Studienlage zeigt viele verschiedene Möglichkeiten, Gesundheitsrisiken zu senken bzw. eine Diabetesremission zu erreichen. Die Botschaft lautet: „Ihr müsst Euer Leben nicht völlig umkrempeln, auch kleine Schritte sind zielführend.“
Eine aktuelle Publikation konstatierte für Deutschland ein „ungünstiges Muster bei der kardiovaskulären Sterblichkeit“, das „möglicherweise auf eine unzureichende Primärversorgung und Krankheitsprävention zurückzuführen ist.“1 Auf die fünf Risikofaktoren BMI, systolischer Blutdruck, Non-HDL-Cholesterin, Rauchen und Diabetes sind gemäß einer gepoolten Analyse von 112 Kohortenstudien mit mehr als 1,5 Millionen Menschen bei Frauen 57,2 % der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen und bei Männern 52,6 %.2 Während Deutschland im Bereich der Akutbehandlung gut aufgestellt sei, sehe es bei der Primärprävention tatsächlich schlecht aus, bestätigte Prof. Martin. Dabei könne man, wie seit der DiRECT-Studie aus 2018 bekannt, durchaus eine Remission des Typ-2-Diabetes erreichen.
Je länger die Remission, desto besser die Risikoreduktion
Wie das gelingen könnte, zeigt eine chinesische Studie, die sich mit dem Einfluss von intermittierendem Fasten bei Typ-2-Diabetes beschäftigte.3 Jeweils fünf „Fastentage“ gemäß der Chinese Medical Nutrition Therapy (CMNT), einer speziellen Form des Intervallfastens mit 840 kcal/Tag, danach jeweils zehn Tage mit normaler Ernährung über sechs Zyklen wiederholt, ergab eine klinische Effizienz hinsichtlich der Diabetesremission nach 12 Monaten: 44,4 % der Proband*innen waren weiterhin in Remission (HbA1c unter 6,5 %). „Ihr müsst euer Leben nicht komplett ändern“, ist laut Prof. Martin eine Botschaft, die Patient*innen wirklich unterstützt. Er wies auf einen interessanten pathologischen Effekt hin: Nach der sogenannten „Personal-Fat-Threshold“-Hypothese hat jeder Mensch einen individuellen Schwellenwert für Lipidüberschüsse und dadurch bedingte negative Auswirkungen auf die Betazellfunktion. Eine britische Forschergruppe hat dafür neue Hinweise gefunden: Demnach hängt die Ätiologie des Typ-2-Diabetes nicht allein vom BMI ab.4
Den Einfluss einer Diabetesremission auf klinische Endpunkte zeigt eine neue Publikation zur Look-AHEAD-Studie: Verglichen wurde die Inzidenz von chronischer Niereninsuffizienz (CKD) und kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) basierend auf der Diabetesremission und deren Dauer während zwölf Beobachtungsjahren.5
Die mittlere Diabetesdauer betrug zu Beginn der Studie sechs Jahre, der BMI lag durchschnittlich bei 35,8 kg/m² und das Durchschnittsalter bei 59 Jahren. Proband*innen mit jeglicher Diabetesremission wiesen eine um 33 % niedrigere Composite-CKD-Rate und eine um 40 % niedrigere CVD-Rate auf; adjustiert waren etliche Einflussgrößen wie HbA1c, Blutdruck und Fettwerte.
Viele Wege führen nach Rom – und vieles ist im Umbruch
Bei Ernährungsempfehlungen sei vieles im Umbruch, stellte der Kliniker fest. Während über viele Jahre eine fettarme Ernährung mit Betonung auf der Kalorienrestriktion propagiert wurde, legten etliche neuere Studien eher die Empfehlung zu einer kohlenhydratreduzierten oder sogar streng kohlenhydratarmen/ketogenen Ernährung nahe. Neben einer Energierestriktion scheinen pflanzenbasierte, mediterrane, stark kohlenhydratreduzierte (<26 Energie-%) Ernährungsformen oder eine proteinreiche Ernährung sowie eine hohe Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren vorteilhaft zu sein – zu diesem Schluss kam ein Umbrella-Review, das den Ernährungseinfluss auf die kardiovaskuläre Gesundheit bei Typ-2-Diabetes analysierte (88 systematische Reviews mit 312 Meta-Analysen von RCTs).6 Die methodische Qualität wurde bei vielen der zugrundeliegenden Studien bemängelt; für die genannten Ergebnisse konnten die Autoren eine moderate Evidenzsicherheit angeben.6
„Wenn wir von individualisierter Medizin sprechen, so ist dies auch bei der Ernährung zu berücksichtigen. Ganz im Vordergrund stehen aber auch die individuellen Vorlieben der Betroffenen“, sagte Prof. Martin, der im Land der Brotliebhaber eine eigene Studie mit 80 übergewichtigen Erwachsenen durchgeführt hat: Ähnliche Textur und ähnlicher Geschmack sowie nahezu gleicher Energiegehalt erlaubten den direkten, verblindeten Vergleich zwischen einem speziell hergestellten Low-Insulin-Brot und einem Roggenvollkornbrot. Das Ergebnis nach drei Monaten spreche für die Glukose-Insulin-Hypothese: Nur in der Interventionsgruppe wurde eine signifikante Gewichtsabnahme beobachtet (-1,8 ± 2,9 kg), die bei Personen über 55 Jahren ausgeprägter war und parallel mit signifikanten Reduktionen von BMI und Hüftumfang einherging.7 Somit habe der einfache Austausch eines herkömmlichen, insulinogenen Brotes gegen eines mit geringer Insulinwirkung das Potenzial gezeigt, eine Gewichtsabnahme bei übergewichtigen, insbesondere älteren Personen zu bewirken. Prof. Martin erinnerte daran, dass die postprandial ausgelöste Insulinsekretion neben der glukosesenkenden Wirkung die Fettverbrennung blockiert und die Lipogenese fördert.
Hülsenfrüchte: ja; künstliche Süßstoffe: nein
Eine dreimonatige chinesische Interventionsstudie spricht ebenfalls für intermittierendes Fasten als Option zur Gewichtsabnahme und zur Verbesserung metabolischer Parameter, insbesondere in Verbindung mit kohlenhydratreduzierter Kost.8 Dabei können Hülsenfrüchte als Lieferanten vieler wertvoller sekundärer Pflanzenstoffe und Proteine unbedenklich konsumiert werden. Aus Hülsenfrüchten extrahierte Peptide haben nicht nur einen Einfluss auf den Insulinrezeptorsignalweg, sondern auch auf Schlüsselenzyme wie Alpha-Amylase, Alpha-Glucosidase und Dipetidylpeptidase (DDP-4) antidiabetisches Potenzial gezeigt.9
Über viele Jahre künstliche Süßstoffe wie Aspartam oder Saccharin zu verzehren, ist nicht ratsam, da diese zu Anstiegen des viszeralen, intermuskulären und subkutanen Fettgewebes führen können – unabhängig von der sonstigen Qualität der Ernährung oder der Kalorienzufuhr.10 Zudem mehren sich Studien, die einen hohen Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln mit zahlreihen nachteiligen gesundheitlichen Folgen in Verbindung bringen – dabei schneiden auch hochverarbeitete vegetarische Ersatzprodukte nicht besser ab.11
Quelle: Diabetes Update 2024
1. Jasilionis D et al. Eur J Epidemiol 2023; 38(8): 839-850; doi: 10.1007/s10654-023-00995-5
2. Global Cardiovascular Risk Consortium. N Engl J Med 2023; 389(14): 1273-1285; doi: 10.1056/NEJMoa2206916
3. Yang X et al. J Clin Endocrinol Metab 2023;108(6):1415-1424; doi: 10.1210/clinem/dgac661
4. Taylor R et al. Clin Sci (Lond) 2023;137(16):1333-1346; doi: 10.1042/CS20230586
5. Gregg EW et al. Diabetologia 2024;67(3): 459-469; doi: 10.1007/s00125-023-06048-6
6. Szczerba E et al. BMJ Med 2023; 2(1): e000664; doi: 10.1136/bmjmed-2023-000664
7. Kempf K et al. Nutrients. 2023; 15(5): 1301; doi: 10.3390/nu14122537
8. He M et al. Cell Rep Med 2022; 3(10):100777; doi: 10.1016/j.xcrm.2022.100777
9. Hu K et al. Nutrients 2023; 15(5): 1096; doi: 10.3390/nu15051096
10. Steffen BT et al. Int J Obes (Lond) 2023;47(10):939-947; doi: 10.1038/s41366-023-01336-y
11. Sellem L et al. BMJ 2023; 382: e076058; 10.1136/bmj-2023-076058
12. Speakman JR et al. Nat Metab 2023; 5(4): 579-588; doi: 10.1038/s42255-023-00782-2
13. Banach M et al. Eur J Prev Cardiol 2023; 9: zwad229; doi: 10.1093/eurjpc/zwad229