Behandlungs-Bias in der Krebstherapie Bestimmte Patientengruppen signifikant benachteiligt
Schon in den 1970er-Jahren wiesen Forscher auf eine hohe Krebsinzidenz und -mortalität unter der schwarzen Bevölkerung in den USA hin. Doch die Ungleichgewichte bestünden auch heute noch, sagte Prof. Dr. Nathaniel Evans, Thomas Jefferson University in Philadelphia.1 So erhielten Schwarze und Latinos mit Speiseröhrenkrebs im Vergleich zu kaukasischen Patienten viel seltener eine Ösophagektomie. Das zeigten Daten aus den Jahren 2003–2008. Auch die Mortalität lag für diese Personengruppen um etwa 38 % bzw. 20 % höher. Beides hing offenbar unmittelbar zusammen: Adjustierten die Autoren ihre Analyse an die OP-Rate, verschwanden die Unterschiede.
„Obwohl wir wissen, wie man Patienten therapieren sollte, sehen wir immer wieder, dass einige nicht auf demselben Niveau behandelt werden“, betonte der Referent. Sehr oft seien dies Angehörige von Minderheiten und sozioökonomisch schlechter gestellte Menschen. Unter den Erkrankten mit Speiseröhrenkrebs waren es laut einer Auswertung Afroamerikaner, Frauen und schlecht Versicherte, die häufig nicht operiert wurden. Schwarze kamen aber nicht nur seltener unters Messer, sie warteten auch länger auf eine Therapie, wurden zu einem höheren Prozentsatz gar nicht behandelt und hatten ein schlechteres Fünf-Jahres-Überleben – selbst dann, wenn man die Krankenhausvariablen herausrechnete. Doch es gebe auch gute Nachrichten, betonte Prof. Evans. So stieg der Anteil an Patienten, die in einem High-Volume-Zentrum versorgt wurden, zwischen den Jahren 2000 und 2011 von 30 % auf rund 60 %. Und damit hätten sich auch die postoperativen Sterberaten zwischen den Bevölkerungsgruppen angenähert.
Nach dem, was Prof. Dr. Susan Tsai, Medical College of Wisconsin, in ihrem Vortrag schilderte, lässt sich diese Situation fast 1:1 auf Personen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs übertragen.2 Die Chirurgin berichtete ebenfalls von niedrigeren Resektionsraten und schlechterer Versorgung bei Minderheiten und ärmeren Bevölkerungsschichten.
Schwerpunkt auf mehr Spezialisierung und Versorgung in Zentren
Um die Chancen für diese Menschen zu verbessern, sahen es beide Referenten als notwendig an, das Problem auch als solches anzuerkennen und durch mehr kulturelle Vielfalt im Team, bessere Kommunikation sowie Ausbildung Vorurteile und Misstrauen abzubauen. Außerdem sollte ein Schwerpunkt auf mehr Spezialisierung und Versorgung in Zentren mit hohen OP-Zahlen gelegt werden. Solche Kliniken hätten nicht nur erfahrenere Chirurgen – sie könnten auch mit Komplikationen besser umgehen, so Prof. Tsai.
Diese müssen aber auch erreichbar sein. Für Betroffene wäre es „umso unwahrscheinlicher, eine neue, dringende Therapie zu erhalten, je weiter sie dafür fahren mussten“, sagte die Expertin. Zudem laufe inzwischen viel ambulant. Die Erkrankten müssten also häufig in die Klinik kommen. Und es bestehe die Gefahr, dass die fortschrittlichen Technologien in akademischen Zentren „gebunkert“ werden und auf privilegierte Personen beschränkt bleiben.
Für Prof. Tsai ebenfalls wichtig: Patienten aus Minderheiten stärker in Studien zu berücksichtigen. Dort machten Schwarze und Hispanics nur 3–5 % der Teilnehmer aus, während Asiaten überrepräsentiert seien. Man müsse sich bewusst machen, was diese Ungleichgewichte aufrecht erhält und dass diese auch moderne Methoden beeinflussen – z.B. die Präzisionsmedizin und die Künstliche Intelligenz.
Kongressbericht: 2022 ASCO Gastrointestinal
1. Evans NR. ASCO-GI 2022; Vortrag „Disparities in Upper Gastroesophageal Cancer Surgical Management“; Breakout Session „Understanding Disparities and Expanding Access Through Diagnostic Technology and Treatment in Gastroesophageal Cancers“
2. Tsai S. ASCO-GI 2022; Vortrag: „Access and Disparities in Pancreatic Cancer Surgery“; Breakout Session „New Approaches and Equalizing Access in Pancreatic Cancer“