Umstrittene Augmentation Bremst die Anhebung des Antitrypsinspiegels bei AADT den Erkenntnisgewinn?
Etwa 60 Jahre sind vergangen, seit der Alpha-1-Antitrypsinmangel (AATD) als Ursache für eine früh auftretende Lungenerkrankung mit Emphysem entdeckt wurde. Haupttreiber der Überblähung ist die neutrophile Entzündung: Durch die Migration von Neutrophilen in das Lungengewebe kommt es zur Freisetzung sehr hoher Konzentrationen von Serinproteasen wie der neutrophilen Elastase. Diese induzieren eine Proteolyse mit Destruktion des Bindegewebes, vor allem der Elastinfasern, schreiben Prof. Dr. Robert Stockley von der Lung Investigation Unit des Universitätsklinikums Birmingham und Prof. Dr. David Parr von den Universitätskliniken Coventry und Warwickshire. Bei gesunden Menschen inhibiert Alpha-1-Antitrypsin (AAT) diesen Prozess und begrenzt damit das Ausmaß der Zerstörung. Bei Erkrankten versagt der Kontrollmechanismus jedoch, weil zu wenig AAT zur Verfügung steht und in Lungenbereichen, in denen sich AAT-Polymere ablagern, Neutrophile akkumulieren und aktiviert werden.
Untersuchungen haben gezeigt, dass ein erhöhtes Emphysemrisiko nur bei schwerer Ausprägung der Erkrankung besteht, die meist aus einer homozygoten Veranlagung resultiert. Betroffene mit heterozygoter AATD, deren Enzymkonzentration im Plasma über 10 µmol/l liegt, entwickeln eher selten ein Emphysem. Durch die Augmentationstherapie versucht man diese seit den 80er Jahren als protektiv geltende Schwelle zu erreichen und zu übertreffen.
Emphysem meist basal und panlobulär lokalisiert
Das AATD-Emphysem unterscheidet sich von dem bei COPD durch die Lokalisation. Im Gegensatz zum apikalen zentrilobulären Emphysem der COPD tritt es eher basal und panlobulär auf. Das Muster eines AATD-Emphysems zeigt zudem eine erhebliche Heterogenität. Während bei der basalen panlobulären Verteilung die Obstruktion dominiert, leidet bei der zentrilobulären Form, die sich immerhin auch bei 30 % der AATD-Betroffenen findet, mehr der Gasaustausch. Letzterer scheint sich im Verlauf der Erkrankung schon früher zu verschlechtern als die FEV1.
Bronchiektasen kommen im Zusammenhang mit AATD ingesamt seltener vor als bei COPD. Knapp 10 % der Patientinnen und Patienten weisen nur Bronchiektasen auf, weitere 27 % haben sie zusätzlich zum Emphysem. Bei herkömmlicher COPD gehen Bronchiektasen mit bakterieller Kolonisation und einem erhöhten Exazerbationsrisiko einher. Es scheint plausibel, dass dies auch auf die AATD zutrifft. Wenn Bronchiektasen vorhanden sind, könnte eine inhalative AAT-Therapie die lokale Entzündung und Proteinaseaktivität effektiver bekämpfen als eine intravenöse Gabe.
Studien haben gezeigt, dass sich durch eine Augmentationstherapie der FEV1-Verlust signifikant verlangsamen lässt, v. a. wenn die Ausgangswerte zwischen 35 % und 49 % des Solls liegen. Die geringere FEV1-Abnahme wirkt sich nicht zuletzt positiv auf die Mortalität aus.
FEV1-Verlust > 1 % pro Jahr bedeutet Verschlechterung
Zur Einleitung einer Therapie reicht eine einzige Lungenfunktionsmessung jedoch nicht aus. Vielmehr muss eine Progression der Erkrankung dokumentiert werden, idealerweise durch jährliche Messungen über drei Jahre. Ein FEV1-Verlust von mehr als 1 % des Solls pro Jahr deutet auf eine rasche Verschlechterung hin. Zusätzlich kann die DLCO gemessen werden, um die Progression genauer zu evaluieren. In Studien setzt sich zunehmend der Progressionsnachweis mittels CT-Densitometrie durch. Die Ergebnisse korrelieren mit FEV1, Gastransfer, Belastungskapazität und Exazerbationsgeschehen.
Neuere placebokontrollierte Untersuchungen haben gezeigt, dass eine AAT-Augmentation über die protektive Konzentration hinaus die Progression des Emphysems zwar deutlich verlangsamen, aber nicht stoppen kann. Dafür gibt es möglicherweise mehrere Gründe:
- Die protektive Konzentration liegt höher, als in biochemischen Studien ermittelt wurde.
- An der Pathogenese sind weitere Mechanismen jenseits des AAT-Mangels beteiligt.
- Der antiinflammatorische Effekt der AAT wird abgeschwächt durch den proinflammatorischen Effekt von abgelagerten AAT-Polymeren.
- Die gewichtsadaptierte Dosierung kann den AAT-Spiegel nicht in jedem Fall auf der gewünschten Höhe halten.
Pathologische Veränderungen beobachtet man analog zur COPD auch bei der AATD-assoziierten Lungenerkrankung bereits, wenn die FEV1 noch nicht eingeschränkt ist. Betroffen sind v. a. die kleinen Atemwege. Damit öffnet sich möglicherweise ein Therapiefenster für eine frühere Intervention.
Quelle: Stockley RA, Parr DG. ERJ Open Res 2024; doi: 10.1183/23120541.00139-2024