CLL-Patientin trotz Serumtherapie 70 Tage lang SARS-CoV-2-positiv

Autor: Josef Gulden

Nur aufgrund des COVID-­19-Ausbruchs im Altenheim kam die Infektion der 71-Jährigen zutage. (Agenturfoto) Nur aufgrund des COVID-­19-Ausbruchs im Altenheim kam die Infektion der 71-Jährigen zutage. (Agenturfoto) © Mongkolchon – stock.adobe.com

Immunsupprimierte Patienten können viel länger infektös sein als die Allgemeinbevölkerung. Auch, wenn keine Symptome vorliegen. Doch wie lange tatsächlich, wurde bislang unterschätzt. Das führt die Kasuistik einer 71-jährigen asymptomatischen Patienten mit chronisch lympathischer Leukämie und SARS-CoV-2-Infektion vor Augen.

Die 71-Jährige, die seit zehn Jahren an einer chronisch lymphatischen Leukämie (CLL) und mittlerweile an einer erworbenen Hypogammaglobulin­ämie litt, war Mitte Februar 2020 wegen einer Wirbelfraktur mit Spinalstenose operiert worden. Aus der Rehabilitation wurde sie wegen einer Anämie erneut hospitalisiert; ein Röntgen-Thorax sowie eine Computertomographie waren unauffällig. Aber in ihr Pflegeheim konnte sie nun nicht mehr zurückkehren, weil es dort inzwischen einen COVID-19-Ausbruch gegeben hatte. Sie wurde deshalb ebenfalls getestet, obwohl sie asymptomatisch war und erwies sich als infiziert.

Infektiöse Viren bis zum 70. Tag nach der Diagnose

Während der Isolierung wurden im weiteren Verlauf insgesamt 14 positive Abstriche gewonnen, schreiben die Kollegen um die drei Erst­autoren Victoria­ A. Avanzato­, M. Jeremiah­ Matson­ und Professor Dr. Stephanie­ N. Seifert vom National Institutes of Health in Hamilton. Und dass, obwohl die Frau zu keinem Zeitpunkt Symptome aufwies. In Zusammenarbeit mit einem Hochsicherheitslabor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) dokumentierten sie den Verlauf der Infektion in den folgenden Wochen genauer.

Zwischen dem 49. und dem 70. Tag fanden sie in den Abstrichen infektiöse Viren, obwohl die Patientin wegen ihrer Hypogammaglobulin­ämie weiter intravenöse Immunglobuline erhalten hatte. Zur Kontrolle hatten sie diese ebenfalls auf SARS-CoV-2 gescreent, mit einem negativen Ergebnis. Auf Anregung der Spezialisten vom NIAID bekam die Seniorin innerhalb von zwei Wochen zweimal Plasma von rekonvaleszenten Patienten, die eine COVID-19-Infektion durchgemacht und sich davon erholt hatten. Gegen SARS-CoV-2 gerichtete Anti­körper aus diesen Transfusionen befanden sich nach der Behandlung auch im Blut der Frau, aber erst am Tag 105 nach Erstdiagnose der Infektion fielen ihre Abstriche negativ aus.

Der Grund dafür bleibt unklar: Zumindest die erste Behandlung mit Rekonvaleszenten-Plasma scheint nicht gegen die Viren in Nasen- und Rachenschleimhaut gewirkt zu haben. Zwei Erklärungen könnte es dafür geben, so die Autoren: Zum einen enthielt das Plasma der beiden Spender relativ geringe Titer an neutralisierenden Antikörpern. Zum anderen waren zum Zeitpunkt der beiden Serumtherapien zwar die Abstriche positiv, aber es wurden ab Tag 70 keine infektiösen Viren mehr bei der Patientin nachgewiesen.

Positiver Nachweis nicht an intaktes Virus gekoppelt

Da die PCR nur einzelne Gene des Erregers detektiert, muss bei einem positiven Nachweis nicht zwingend intaktes Virus vorhanden sein. Erstaunlich bleibt den Autoren zufolge, dass die immunkompromittierte Patientin trotz ihrer Hypogammaglobulinämie zu keinem Zeitpunkt COVID-19-Symptome zeigte.

Die aus den Abstrichen der Frau isolierten Viren wurden mehrmals sequenziert. Dabei zeigte sich eine erhebliche genomische Evolution im Verlauf der Infektion, die aber nach Ansicht der Kollegen nicht die persistierende Infektion erklärt. Denn dominante virale Varianten kehrten mehrmals wieder und die Mutationen beeinflussten nicht die Fähigkeit zur Replikation der Viren in Zellkulturen.

Dieser Fall stellt die längste bisher publizierte aktive Infektion mit SARS-CoV-2 dar. Aber sehr wahrscheinlich gibt es solche inapparenten, lang anhaltenden Infektionen häufiger, vor allem unter Patienten mit Immunsuppression aufgrund von Krebstherapien, Stammzelltransplantationen, HIV-Infektionen oder der Behandlung mit Kortikosteroiden. Ganz ähnliche Fälle sind von Infektionen mit Influenza- sowie mit dem Middle East Respiratory Syndrome(MERS)-Virus bekannt, das ebenfalls zu den Coronaviren gehört.

Quelle: Avanzato VA, Matson MJ, Seifert SN et al. Cell 2020; 183: 1-12; DOI: 10.1016/j.cell.2020.10.049