Interview Der Fokus des DKK 2024 liegt auf der Interdisziplinarität
Was sind die wichtigsten Kennzahlen zum Deutschen Krebskongress, kurz DKK?
Prof. Dr. Reinhard Büttner: Wir haben bisher knapp 700 Anmeldungen für Abstracts erhalten, deutlich mehr als beim letzten Kongress. Wir verzeichnen außerdem mehr Poster und Bitten um Symposien, auch hier etwa 700. Die Räume reichen dafür nicht aus, weshalb wir schmerzhafte Abstriche machen mussten. Und wir haben diesmal sehr viele Beiträge von jungen Onkolog:innen. Der Nachwuchs ist häufig wissenschaftlich noch sehr viel aktiver als gestandene Onkolog:innen.
Also alle drei Parameter zeigen, dass der diesjährige Deutsche Krebskongress der größte wird, den es jemals gegeben hat. Wir rechnen mit mindestens 11.000 Teilnehmenden. Zudem wird der Kongress sehr interdisziplinär aufgestellt sein: Wir haben ein starkes Interesse bei Patient:innengruppen und bei der onkologischen Pflege, Psychotherapeut:innen, Lotsen in den Krebszentren – all diese sind neben den Ärzt:innen repräsentiert.
Bei den zwölf Kongress-Schwerpunkten taucht dreimal „Interaktion“ auf: Warum ist das so?
Prof. Büttner: Die Krebsmedizin ist hoch spezialisiert und personalisiert. Wir haben es mit sehr vielen unterschiedlichen, molekular definierten Erkrankungen zu tun, die mit sehr unterschiedlichen Medikamenten behandelt werden können. Eine Krebsdiagnose und eine personalisierte Krebstherapie sind daher eine interdisziplinäre Teamleistung. Deswegen auch das Kongress-Motto: Fortschritt gemeinsam gestalten. Der Plan, wie eine Erkrankung zu behandeln ist, muss in einem interdisziplinär aufgestellten Board besprochen werden.
Und der Patient bzw. die Patientin ist nicht mehr Befehlsempfänger:in, sondern wirkt auf Augenhöhe mit an den Entscheidungen. Um die Patient:innen besser einzubinden, als das traditionell beim DKK der Fall war, haben wir viele Symposien so aufgestellt, dass ein Sprecher ein Patient ist. Wir wollten möglichst vermeiden, dass es reine Patienten- und reine Ärztesymposien gibt.
Wie sollte das Mitspracherecht der Patient:innen aus Ihrer Sicht aussehen?
Prof. Büttner: Die Mitsprache brauchen wir auf drei Ebenen: Zum einen muss der Patient bzw. die Patientin bei allen Therapien unterstützen und mit entscheiden, welche von verschiedenen Optionen für ihn oder sie infrage kommt. Man muss die Therapie aktiv wollen und verstehen. Die zweite Ebene sind die Vereine und Selbsthilfegruppen. Ein Beispiel ist der Verein zielGENau bei Lungenkrebs. Es führt zu einem sehr großen Vertrauen, wenn Patient:innen sich untereinander beraten und Erfahrungen austauschen können. Die dritte Ebene ist die Mitwirkung von Betroffenen in Forschungsprogrammen und klinischen Studien, wie es das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen, NCT, gerade aufgreift. Ich denke, man kann keine Krebsprogramme mehr auflegen, ohne die Patient:innen einzubeziehen.
Welche weiteren Kongress-Schwerpunkte liegen Ihnen besonders am Herzen und warum?
Prof. Büttner: Erstens betonen wir die Bedeutung der Interdisziplinarität als ein hohes Gut. Bei dieser sollten alle Behandlungspartner Vertrauen aufbauen und einen Therapieplan mit den Patient:innen entwickeln. Wir haben eine strukturierte Krebsbehandlungs-Landschaft vom einzelnen spezialisierten Organkrebs-Zentrum zu den Comprehensive Cancer Centers, den onkologischen Spitzenzentren, bis zu den NCT. Niedergelassene Onkolog:innen haben da vielleicht Bedenken, einen Patienten oder eine Patientin hin zu überweisen und dann nie wiederzusehen. Das heißt, es muss allen klar sein, was macht das NCT? Und das Krebszentrum muss die Personen mit einem Therapieplan zurücküberweisen. Die Informationsflüsse müssen sehr offen und transparent sein.
Zweitens markiert das Jahr 2024 das 50. Gründungsjahr der Deutschen Krebshilfe. Die enge Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe hat zu sichtbaren Strukturverbesserungen geführt, darunter Zertifizierungen von Krebszentren. Die Krebshilfe finanziert bedeutende Programme, wie die onkologischen Spitzenzentren, ausschließlich durch Spenden. Diese Errungenschaften sollen gemeinsam mit der Politik diskutiert werden, um den Beitrag beider Krebsgesellschaften zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems zu würdigen.
Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz beim DKK?
Prof. Büttner: In zwei großen Plenarsitzungen mit internationalen Speakern werden die Digitalisierung von Bildgebung und deren Auswertung durch Künstliche Intelligenz behandelt. In der Radiologie ist dies bereits Realität. Zum Beispiel wird bei einer Mammografie zur Brustkrebsvorsorge oder -diagnostik häufig ein KI-Mechanismus zur Auswertung genutzt. Patholog:innen verwenden bereits ein Programm, das automatisch Prostatakarzinome erkennen und graden kann. Die Integration komplexer Datensätze, einschließlich Texte, Arztbriefe, Bildgebung, Pathologie und Genomsequenzierung, erfordert Künstliche Intelligenz.
Welche pathologischen Kongressinhalte haben Sie im Programm des DKK gesetzt?
Prof. Büttner: Es ist kein Zufall, dass nun ein Pathologe als Kongresspräsident gewählt wurde, denn die Bedeutung der Diagnostik, speziell der immunologischen und molekularen Diagnostik mit Biomarkerbestimmungen für die onkologische Therapie, ist zentral geworden. Zwei große Plenarsitzungen befassen sich mit der Rolle der Pathologie bei der Auswahl personalisierter Krebstherapien.
Das „Junge Programm“ beim DKK beinhaltet einen Studierendentag am 22. Februar und einen Tag der Jungen Onkolog*innen. Was erwartet die Teilnehmer:innen?
Prof. Büttner: Das Junge Forum Onkologie hat den Studierendentag komplett selbst organisiert, mit einem breiten Spektrum von der Karriereentwicklung bis hin zur Wissenschaft. Es wird zwei Symposien unter anderem zu beruflichen Perspektiven, Beratung und Karrierewegen in der Onkologie geben. Darüber hinaus haben die jungen Onkolog:innen wissenschaftliche Symposien zu Themen wie Wirkweisen von Immuntherapie oder der Genomsequenzierung geplant.
Gibt es in der Onkologie und in Ihrem Fach, der Pathologie, einen Nachwuchsmangel?
Prof. Büttner: Das Fach Onkologie und die Pathologie leiden europaweit unter starkem Nachwuchsmangel, hauptsächlich bedingt durch Finanzierungsprobleme und fehlende Attraktivität in der Ausbildung. In Deutschland müssen die Institute die Ausbildungsstellen in der Pathologie aus dem laufenden Krankenversorgungs-System finanzieren. Dies führt zu einem akuten Mangel, verstärkt durch das Ausscheiden vieler Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt. In den nächsten fünf Jahren gehen fast 50 % der Universitätsprofessor:innen in Ruhestand. Die Bewältigung dieses Mangels erfordert intelligente Maßnahmen, wie die Integration Künstlicher Intelligenz, um den Anforderungen gerecht zu werden.
An meinem Institut in Köln haben wir zum Glück keinen Nachwuchsmangel und hohe Bewerber:innenzahlen. Die Pathologie ist so etwas wie ein detektivistisches Fach, das ist intellektuell faszinierend, da wir überlegen müssen, wie wir den Patient:innen die besten Optionen bieten können. Die klinische Interaktion macht Spaß, vor allem das fordernde interdisziplinäre Gespräch. Daher bin ich dankbar, dass sich die Pathologie in zwei großen Plenarsitzungen beim DKK so gut darstellen kann.
Interview: Jochen Schlabing