Hypersexualität Die Datenlage wird etwas besser

Autor: Dr. Susanne Meinrenken

Exzessiver Pornokonsum ist eine häufige Erscheinungsform von Hypersexualität. Exzessiver Pornokonsum ist eine häufige Erscheinungsform von Hypersexualität. © Katie Chizhevskaya – stock.adobe.com

Zwanghaftes sexuelles Verhalten tritt bei verschiedenen neurologischen Krankheiten auf, doch die Befunde sind uneinheitlich. Eine Übersichtsarbeit bringt endlich Licht ins Dunkel – zumindest ein wenig.

Obwohl Hypersexualität oder „Sexsucht“ als Krankheitsbild schon lange bekannt ist, mangelt es an wissenschaftlich fundierten Daten zu diesem Phänomen. In die ICD-11 wurde erstmals die „zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung“ aufgenommen. Sie ist gekennzeichnet durch die Unfähigkeit, intensive und wiederkehrende sexuelle Impulse zu kontrollieren, was zu erheblichen Beeinträchtigungen im persönlichen, sozialen oder beruflichen Bereich führt – etwa durch den exzessiven Konsum von Pornografie, zwanghafte Masturbation oder Sex mit häufig wechselnden Partnern.

Seit geraumer Zeit weiß man, dass Hypersexualität mit verschiedenen neurologischen Krankheiten assoziiert sein kann. Ein Team um Prof. Dr. Natalie Tayim vom Institut für Graduiertenstudien in Doha (Katar) wertete 79 Arbeiten aus, um mehr darüber herauszufinden, welche Charakteristika Patientinnen und Patienten mit sekundärer Hypersexualität bei primären neurologischen Erkrankungen aufweisen.

Die mehrheitlich nach 2010 publizierten Untersuchungen aus 24 Ländern umfassten 32.662 Patientinnen und Patienten, davon waren 42 % Frauen. In mehr als der Hälfte der Studien war die primäre neurologische Diagnose Morbus Parkinson (56 %), gefolgt von demenziellen Erkrankungen (17 %), Restless-Legs-Syndrom (7 %) und traumatischer Hirnverletzung (4 %). Andere Diagnosen waren seltener vetreten.

Das höchste Risiko für zwanghaft gesteigerte Sexualität fand sich beim Kleine-Levin-Syndrom: Rund 40 % der Betroffenen wies entsprechende Symptome auf. Unter den Demenzerkrankten lag der Anteil bei 11 %, bei Parkinson waren es knapp 9 %. Auffällig war die Nutzung dopaminerger Medikamente als Risikofaktor. So litten Patientinnen und Patienten mit Restless-Legs-Syndrom, die mit Dopaminagonisten behandelt wurden, zu 14 % an Hypersexualität.

Es ließ sich kein klares Muster bestimmter sexueller Verhaltensweisen bei einzelnen Erkrankungen erkennen. Allerdings zeigten Parkinson-Betroffene eine Tendenz zu zwanghafter oder impulsiver Sexualität, während Demenzerkrankte eher durch inadäquates und enthemmtes Verhalten auffielen.

Nur wenige Therapieversuche wurden dokumentiert

Die Diagnostik erfolgte vor allem mithilfe von standardisierten Fragebogen zur Selbstauskunft. Diese Methode müsse in Zukunft durch strukturierte Diagnosekriterien und klinische Interviews ergänzt werden, schreibt das Autorenteam. Therapieversuche waren in den meisten Fällen nicht dokumentiert. Sofern eine Maßnahme genannt wurde, war das am häufigsten eine Anpassung der Medikation. Auch Psychotherapie und Beratung sowie tiefe Hirnstimulation kamen zum Einsatz.

Wichtig ist laut Prof. Tayim und Koautoren, pharmakologische Ursachen für ein gesteigertes Sexualverhalten im Blick zu behalten. Neben Dopaminagonisten sind als Trigger für Hypersexualität anfallssupprimierende Medikamente, Acetylcholinesterasehemmer und Tranquilizer bekannt.

Die optimale Behandlungsstrategie für Hypersexualität umfasst wahrscheinlich eine Kombination aus pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Interventionen (z. B. kognitive Verhaltenstherapie, Gruppen- oder Paartherapie, Schulungen für betreuende Personen und/oder eine Anpassung der Umgebung). Diese Maßnahmen müssten individuell ausgewählt werden, wobei es die Symptome der Betroffenen, ihren kognitiven Status und die zugrunde liegende neurologische Erkrankung zu berücksichtigen gilt.

Quelle: Tayim N et al. BMJ Ment Health 2024; 27: 1-9; DOI: 10.1136/bmjment-2024-300998